Torhüter über Fußball in Schottland: „Das Lauteste, was ich je gehört habe“
Alexander Schwolow steht im Tor von Heart of Midlothian und führt mit seinen Klub die Liga an. Da spielen lauter geile Jungs, sagt er.
taz: Herr Schwolow, willkommen am „Top of the table“ der Scottish Premiership. Wie fühlt sich das gerade an, der erklärte Rückhalt bei Heart of Midlothian zu sein?
Alexander Schwolow: Ich genieße es unheimlich, auf der anderen Seite der Tabelle zu stehen. Es ist zwar auch ein gewisser Druck, jedes Spiel gewinnen zu wollen, aber doch ganz anders, als wenn du um den Abstieg spielst. Ich habe das in Freiburg, auf Schalke und bei Hertha oft genug mitgemacht. Das war sehr anstrengend.
taz: Wann hatten Sie zuletzt so ein Hochgefühl?
Schwolow: Da gab es einige, aber besonders ist mir ein Pokalspiel in Bielefeld in Erinnerung. Da sind wir mit der Arminia in der Saison 2014/15 als Drittligist bis ins Halbfinale des DFB-Pokals gekommen. Das war eine unglaubliche Reise, zumal ich im Viertelfinale gegen Borussia Mönchengladbach nach der Verlängerung zwei Elfmeter halten konnte.
taz: Inzwischen haben Sie bei den „Maroons“ gleich die ersten vier Spiele ohne Gegentor absolviert. Das gilt als inoffizieller Vereinsrekord für einen neuen Keeper. Hat das sehr geholfen?
Schwolow: Die Mannschaft hatte bisher drei Spiele gewonnen und einmal unentschieden gespielt, aber relativ viele Gegentore bekommen. Da half es ungemein, dass das so aufging. Ich hatte zum Debüt bei den Rangers (2:0 für die Hearts, Anm. d. Red.) einiges zu erledigen, sonst war gar nicht so viel zu tun. Aber das Kompliment gilt dem ganzen Team. Du kannst das „clean sheet“ als Torwart nie garantieren, auch wenn du selbst alles perfekt machst.
taz: Wie kam der Kontakt zu dem 151 Jahre alten Traditionsklub aus Edinburgh zustande?
Schwolow: Klassisch-unromantisch über meinen Berater. Ich habe nicht so viel über die schottische Liga gewusst, man kriegt über die europäischen Wettbewerbe ja nur Celtic und die Rangers mit. Dann bin ich im August mit der Familie hingeflogen. Wir haben uns die Stadt angeschaut, die Verantwortlichen im Klub kennengelernt und die Facilities rund um den Verein gecheckt. Das war alles sehr gut. Drei Tage nach dem Rückflug habe ich mein „Go“ gegeben.
taz: Was war für Ihre Entscheidung ausschlaggebend?
Schwolow: Mit den Jahren bekommst du sehr schnell mit, wenn dich jemand wirklich will. Die haben mich gleich ins Stadion eingeladen, den Kindern Trikots geschenkt, das war alles sehr herzlich. Trotzdem ist das ein Riesenschritt, wenn du bisher immer in Deutschland warst und zwei kleine Kinder hast, anderthalb und fünf Jahre alt. Deswegen war für mich klar, dass die Familie mitkommen muss.
taz: Bedeutete das im Vergleich zur Bundesliga nicht finanzielle Abstriche?
Schwolow: Ich bin jetzt an einem Punkt angelangt, wo andere Sachen wichtig sind: Spaß haben, auf dem Platz stehen und die Zeit, die mir als Profi bleibt, bestmöglich zu gestalten. Wir wohnen inzwischen in einem Mietshaus im Stadtteil Bruntsfield, ziemlich zentral, und fühlen uns sehr wohl. Edinburgh hat mit einer halben Million Einwohner eine angenehme Größe. Du bist schnell überall, das ist cool. In Berlin war ich immer gleich eine Stunde unterwegs.
taz: Haben Sie auch so rüde Aufnahmerituale durchlebt, wie sie im britischen Fußball angeblich an der Tagesordnung sind?
Schwolow: Nee, das sind alles richtig geile, anständige Jungs. Die haben ein gutes Gespür dafür gehabt, dass man als Neuzugang erst mal Unterstützung braucht. Und auf dem Platz haben sie mich für jede gelungene Aktion gelobt, um mich zu pushen. Unglaublich empathische Truppe. Ich mag aber auch diesen speziellen britischen Humor, sich ab und zu gegenseitig auf die Schippe zu nehmen.
taz: Woran haben Sie gemerkt, dass die Fans am Tynecastle Park Sie inzwischen ziemlich ins Herz geschlossen haben?
Schwolow: Wir haben vorgestern im Stadion Kalender für die Fans unterschrieben. Da klopfen einem die Leute auf die Schulter und sagen: „unfassbar guter Torwart“ und solche Sachen. Daran merkst du, wie viel der Klub ihnen bedeutet. Der Sieg neulich im Celtic Park (2:1) oder das gewonnene Derby gegen Hibernian, also die Hibs (1:0) – so was hat für die einen unglaublichen Stellenwert. Das musst du als neuer Spieler erst mal begreifen.
taz: Wie viel Lärm kommt bei euren Heimspielen so auf?
Schwolow: Das ist sehr reaktiv. Wenn es gegen ein Team vom unteren Tabellendrittel 0:0 steht, kannst du manchmal dein eigenes Wort hören. Aber wenn eine geile Situation kommt, explodiert das Ding aus dem Nichts. Da erzeugen die steilen Ränge im Stadion eine besondere Akustik. Beim späten Siegtor gegen die Hibs (Anfang Oktober, Anm. d. Red.) habe ich Gänsehaut bekommen. Es hörte sich wie das Lauteste an, was ich je gehört habe.
taz: Welchen Anteil haben der englische Investor Tony Bloom und das von ihm entwickelte, datenbezogene Scouting am Aufschwung der Hearts? Das hat offenbar auch weniger bekannte Profis herausgefischt, die im Herbst gleich Leistungsträger wurden.
Schwolow: Das sehr gute Scouting ist tatsächlich auffällig. Ich sehe die extrem hohe Qualität der neuen Spieler in jedem Training, die spielen hier auch sofort tragende Rollen. Ich hatte ein ziemliches Gefälle im Vergleich zur Bundesliga erwartet, aber so war es nicht. Dieses Analyse-Tool ist auf jeden Fall eine spannende Geschichte, es hat auch bei Blooms anderen Vereinen sehr guten Effekt gehabt. Also bei Brighton and Hove Albion und Union St. Gilloise.
taz: Vielleicht sind Sie auch dadurch auf den Einkaufszettel geraten.
Schwolow: Gut möglich. In dem System sind 50.000 Torhüter gespeichert, und ich war wohl in den Top 70, obwohl ich in den letzten zwei, drei Jahren unter meinem Potenzial geblieben bin. Außerdem war ich ablösefrei. Mit gutem Scouting kannst du ja auch mal einen Spieler unter Wert bekommen.
taz: Hat sich jetzt das Team darauf verabredet, den schottischen Titel anzupeilen, und wie realistisch ist das?
Schwolow: Wir hatten nach unserem Lauf eine kurze Ergebniskrise, da ist der Vorsprung von neun auf drei Punkte geschmolzen. Daran siehst du, wie schwer es ist. Außerdem hast du hier nach 33 Spieltagen noch mal eine Meisterschaftsrunde, da spielst du ein viertes Mal gegen die fünf Besten der Liga. Wenn wir es schaffen würden, oben zu bleiben, wäre das in etwa so, als würde der SC Freiburg Meister werden. Aber wir sind die Letzten, die unsere Fans am Träumen hindern.
taz: Am Samstag nach Weihnachten kommt es zum nächsten Edinburgh-Derby zwischen den Hibs von Hibernian und den Hearts. Ist die Rivalität ähnlich verbissen wie die zwischen Celtic und Rangers?
Schwolow: Man spürt auf jeden Fall, wie relevant das ist. Unser Zeugwart arbeitet seit 27 Jahren im Verein, der ist dann eine Woche lang nicht ansprechbar. Als ich hier anfing, habe ich auch mal gesagt, ich fahre nach Portobello Beach und guck mir da den Strand an. Da meinte mein Kollege Craig Gordon, der hier eine Legende ist, das sei eher eine Hibs-Region, da würde er nicht hinfahren. So werden die meisten Stadtteile mit einem der Klubs in Verbindung gebracht.
taz: Lässt sich das annähernd mit den Derbys zwischen Union und Hertha oder BVB und Schalke vergleichen, die Sie bereits erlebt haben?
Schwolow: Die Ultraszene ist viel kleiner hier, das macht es etwas entspannter. Aber ich bin in keinem anderen Spiel von den Rängen so unter der Gürtellinie beleidigt worden, da geht’s schon richtig ab.
taz: Bleibt zwischen Training und Spiel noch genug Zeit, um etwas von der Stadt mitzukriegen?
Schwolow: Es ist auf jeden Fall eine Stadt, die man mal gesehen haben sollte. Wenn du oben am Schloss bist, guckst du bis aufs Meer hinunter, das ist schon geil. Edinburgh ist ’ne richtige Harry-Potter-Welt mit all den historischen Gebäuden. Und die Menschen sind sehr zuvorkommend, sehr höflich. Das ist gerade nach meiner Station in Berlin, wo es eher ruppig zugeht, sehr angenehm.
taz: Können Sie sich als neues Hearts-Gesicht noch frei und anonym bewegen?
Schwolow: Ich werde inzwischen öfter erkannt, aber man ist hier sehr zurückhaltend. In Deutschland warten immer so 20, 30 Leute auf den Mannschaftsbus. In Glasgow war kein Fan da, als wir wieder nach Hause fuhren. Hier in der Nähe ist eine High School, da erkennen einen schon viele. Einmal sind sie mir beim Einkaufen nachgerannt, um ein gemeinsames Foto zu machen. Da hat einer gesagt: „Thanks for saving Hearts!“ Das war mir fast zu groß, gibt aber schon ein gutes Gefühl.
taz: Bilden die „big saves“, die Sie schon geleistet haben, nicht auch so etwas wie ein emotionales Guthaben bei den Fans?
Schwolow: Fußball ist ein Tages- und Wochengeschäft. Die eine Woche ist es „yeah“, die andere Woche bist du der Idiot. So geht es die ganze Zeit. Gerade im Tor gelingt nicht immer alles. Gegen Kilmarnock (1:1, Anm. d. Red.) habe ich neulich einen Schuss abtropfen lassen, das hat uns am Ende den Sieg gekostet – nachdem ich zuvor zweimal hervorragend gehalten habe. Aber so ist nun mal das Leben eines Torwarts.
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