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Heintje-Forschung im MuseumHeintje als Urinprobe und Vorstellung

Der Künstler Dieter Glasmacher hat Ende der 1960er ein Institut für Heintje-Forschung betrieben. Die Ergebnisse sind jetzt in Lüneburg zu sehen.

Gab es die Heintje-Maus wirklich? Der Kurzfilm in Dieter Glasmachers Archiv könnte ein Beweisstück sein Foto: Dieter Glasmacher/Sparkassenstiftung

Aus Lüneburg

Frank Keil

Archivnummer 38: ein Pappteller mit Pommes frites, stehengelassen in einer Aachener Imbisshalle. Haare, dunkelbraun, gesammelt in einer durchsichtigen Tüte (Nr. 7). Oder: kleine, braune Flasche, halbgefüllt mit Urin, Schuluntersuchung (Nr. 5). Drei Jahre lang sammelt der Hamburger Künstler Dieter Glasmacher mit seinem „Institut für Heintje-Forschung“ von 1970 an Exponate oder eher Reliquien zum zeitgleichen Leben des erfolgreichsten Kinderstars der Bundesrepublik Hendrik Nikolaas Theodoor Simons, den alle Welt nur Heintje nannte.

Fake-Exponate würde man sie heute nennen, vorab konzipierte Artefakte, die seinerzeit oft genug für echte Hinterlassenschaften des bejubelten Sängerknaben gehalten wurden. Lange war diese Arbeit nicht zu sehen; nun zeigt sie die Lüneburger Galerie im Glockenhof. Es ist ein Ausflug in der Gegenwartskunst der späten 1960er Jahre; es ist auch die Geschichte zweier kurz sich kreuzender Künstler-Wege.

Glasmacher, Jahrgang 1940, wächst in einem Arbeiterhaushalt in Krefeld-Uerdingen auf. „Bei uns zu Hause gab es keine Bilder“, skizziert er seine Herkunft. Er lernt Patroneur und Musterzeichner, besucht Kurse in der örtlichen Werkkunstschule. Und findet den Mut, ein Kunststudium draufzusatteln: ab 1963 in Hamburg an der dortigen Hochschule für Bildende Künste.

Malen, bis der Arzt kommt

Glasmacher trifft dort drei Gleichgesinnte. Sie bilden eine Künstlergruppe, wohnen zusammen. Was sie eint, ist auch der Wunsch, sich durchzusetzen: „Hamburg war ja keine Stadt für Kunst; bevor die erste Galerie mit junger Kunst eröffnete, gab es nur die ‚Galerie Mensch‘, und da war der Star ein Polizist, der naive Bilder malte.“

Heintje-Forschung

Ausstellung: Heintje-Forschung – Versuch einer Spurensicherung: Galerie im Glockenhof, Große Bäckerstr. 17. a, Lüneburg, Di-Sa., 10-18 Uhr. Bis 23.12.2025. Zur Ausstellung ist ein gleichnamiger Katalog erschienen

Entsprechend selbstbewusst der Titel ihrer ersten Ausstellung 1966: „Aus euch wird nichts“ – im fernen Tübingen. „Wir haben Feldbetten aufgestellt, uns da draufgelegt, Schlaftabletten genommen – und Gunter Gerlach, der später vor allem Schriftsteller wurde, hat unsere Träume aufgeschrieben und vorgelesen“, erzählt er.

Wir wollten ja den Trash in die Museen holen, den Alltag

Dieter Glasmacher, Künstler, über die späten 1960er Jahre

Zurück in Hamburg folgt die erste Weltmeisterschaft im Dauermalen: Sie malen in einer Studentenkneipe, so lange, bis ein befreundeter Arzt einschreitet.

Ein andermal löschen sie in einer Galerie in Stein am Rhein alles Licht, verteilen Kerzen, dass man das Ausgestellte nur vage betrachten kann. „Otto Dix kam mit seinem Gefolge vorbei, hat kurz geraunt ‚Sehr gut – weitermachen!‘, aber ich weiß nicht, ob er verstanden hat, um was es uns ging“, erzählt Glasmacher.

1968, nach dem Studium, wie das so geht, löst sich die Gruppe auf. Glasmacher malt, entdeckt nebenher den Kinderstar Heintje: „Wir wollten ja den Trash in die Museen holen, den Alltag; ich bin damals öfter in Kaufhäuser gegangen als in Kunsthäuser.“

Zu Heintje systematisch konzeptionelle Feldforschung zu betreiben, dafür ein Institut zu gründen, ist zunächst eine Idee, die umso mehr an Fahrt aufnimmt, als besonders Tageszeitungen an noch so abseitig klingenden Geschichten über das singende Wunderkind interessiert sind.

Ein viel gefragter Experte

Schon sehr bald interessierte sich die niederländische Presse für Dieter Glasmachers Vermessung des Heintje-Universums Bild: Glasmacher/Sparkassenstiftung

Institutsleiter Glasmacher, mit dichtem Bart und dunkler Brille, wird bald als Heintje-Experte weitergereicht: „Ich habe nie gesagt, dass das, an dem ich forsche, von Heintje ist, habe es aber auch nicht verneint“, so Glasmacher.

Dann habe sich das mit jedem Bericht immer mehr verschleiert. „Am Ende glaubte ich fast selbst: die Unterhose von Heintje oder der Kamm aus seiner Garderobe, das ist echt.“

Heintje, vorher Henrik Nicolaas Theodoor Simons, nähert sich da dem Höhepunkt seiner Karriere. Er war oft in der Gastwirtschaft seiner Mutter, in einem kleinen holländischen, grenznahen Dorf, wo er als Kind zur Musik aus der Juke-Box sang und ob seiner hellen, klaren Stimme die Gäste beeindruckte.

Eines Tages im Jahr 1967 sitzt unter ihnen ein Talentsucher. Ihm gelingt ein Coup: ein Auftritt Heintjes in der ZDF-Show „Der goldene Schuß“. Völlig unbekannt darf er ganze 55 Sekunden aus seinem Lied „Mama“ singen. Textprobe: „Mama, du sollst doch nicht um deinen Jungen weinen/ Mama, einst wird das Schicksal uns vereinen“.

Einschaltquote von 70 Prozent

Das Publikum im Saal ist aus dem Häuschen. Die Begeisterung setzt sich bundesweit fort, beträgt doch die Einschaltquote heute unerreichbare 70 Prozent. In den kommenden Jahren wird Heintje 40 Millionen Schallplatten verkaufen, dazu kommen Tourneen durch Deutschland, durch Europa, nach Übersee.

Es folgen die sogenannten Pennäler-Filme mit Peter Alexander; dass er nicht schauspielern kann, ist kein Problem. Im Gegenteil: Es verstärkt den Eindruck, hier schaut man einem jungen Menschen zu, der sich des Lebens freut, im Gegensatz zu den randalierenden und ewig nörgelnden Studenten.

Am Ende glaubte ich fast selbst: die Unterhose von Heintje oder der Kamm aus seiner Garderobe, das ist echt.

Dieter Glasmacher, Direktor des Instituts für Heintje-Forschung

Und drumherum sammelt Dieter Glasmacher zu Heintje; beantwortet Fragen, gibt Statements, baut sein Archiv aus: „Die Erfahrungen mit anderen Genies, Goethe oder Beethoven, haben ja deutlich gezeigt, wie schwierig es ist, nach ihrem Ableben Forschungen anzustellen“, zitieren ihn die Zeitungen. Er züchtet die Heintje-Maus; denn wo geforscht wird, da braucht es Mäuse.

Die Ausstellung verzichtet weitgehend auf die damals gesammelten Objekte und konzentriert sich auf die Abbildungen ihrer Dokumentationen. Was gut und konsequent ist: Glasmachers Heintje-Forschung überzeugt auch heute durch ihr kluges Spiel aus gebotenem Ernst und heiterem Spott.

Sie widmet sich der zeitlosen Frage: Wie kann ich als Kunstbetrachter entscheiden, ob ein Exponat echt oder unecht ist, und was heißt das jeweils überhaupt? Dazu steht in der Mitte ein raumfüllendes Bild: die Heintje-Single ‚Heidschi Bumbeidschi‘ auf Leinwand, umrahmt von gestempelten Heintje-Gesichtern; plus eine handschriftliche Anleitung in sieben Schritten: Jeder kann sich fortan ein Heintje-Bild malen.

Und dann ist da noch ein zehnminütiger Fernsehfilm, produziert im Winter 1970, zu sehen in einem tragbaren Fernseher aus rotem Hartplastik. „Der NDR rief mich an, sie gaben mir einen Übertragungswagen mit Technikern, und dann fuhren wir zu Heintje“, sagt Glasmacher. „So war ich auch geschützt, denn man dachte: Na ja, da kommt das Fernsehen.“

Heintjes wahre Größe

Nur einmal droht die Sache aufzufliegen, zeigt sich doch Heintjes Vater empört: „‚Ihr kommt ja von Hamburg, da soll es einen Idiot geben, der verkauft die Pisse von Heintje; also, wenn ich den in die Finger kriege …‘“, ahmt Glasmacher den Akzent aus dem deutsch-niederländischen Grenzgebiet nach. Niemand vom Team verrät ihn.

So sitzen bald der 30-jährige Forscher und der halb so alte Heintje bei den Simons in der guten Stube: Glasmacher möchte sein Objekt vermessen, von wegen: wahre Größe. Auf 1,58 Meter schätzt sich der Junge, springt auf, rennt zum Schrank, holt ein Maßband: 1,63 oder 1,62, sie einigen sich auf 1,61.

„Bin ich schon wieder gewachsen“, lacht Heintje freudestrahlend, hüpft durch das nach damaliger Sitte vollgestellte und mit Nippes überbordende Wohnzimmer, legt das Maßband brav in das Schrankfach zurück und setzt sich wieder.

Weit mehr als 50 Jahre ist das jetzt her. „Heute ist mir das sehr fremd“, sagt Glasmacher. Der sich auf die Malerei konzentrierte, später kam Keramik dazu; er wurde Kunstprofessor, erst in Düsseldorf, dann in Hamburg. In diesem Frühjahr hat ihm die dortige Akademie der Künste zum 85sten eine Retrospektive ausgerichtet.

Nachrichten aus ungewisser Quelle

Sein Vorlass wird von der Lüneburger Sparkassen-Stiftung fortlaufend betreut, eine nächste Ausstellung im Kunstverein des nahen Buchholz will vorbereitet werden. Er seufzt und sagt: „Ach, Leute, ich will mal wieder Bilder malen.“

Heintje taucht später nur noch gelegentlich in der Schlagerwelt auf – zuletzt 2017 mit dem Album „Heintje und ich“, Heintje und der erwachsene Hein Simons im Duett. Vor allem aber führt er einen Pferdehof; ist sich somit treu geblieben, denn als erstes Honorar wünschte er sich seinerzeit ein Pony. Und er bekam es auch.

„Er soll ja sehr krank sein“, sagt Glasmacher noch, aufrecht mitfühlend: „Er soll bis zu 14 Tabletten am Tag nehmen.“ Im Nu kann man sich die nächste Archivkarte mit Nummer vorstellen, etwa mit der Abbildung einer Tablettenschachtel, dazu die Angaben, von welchem Apotheker wo der Heintje-Forschung überreicht. „Nee, nee“, sagt Glasmacher: „Das habe ich gelesen; das war so ein kurzer Artikel, ich glaube in der BILD.“

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