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Surfen in MünchenDie Ersten ihrer Art am Eisbach

Die berühmte Welle ist verschwunden. In der Stadt herrscht Ratlosigkeit. Die Pioniere auf dem Brett erinnern sich an ganze Sommer ohne Welle.

Pionier: Michael Nowak reitet Ende der 1970er Jahre als einer der Ersten die Welle auf dem Eisbach Foto: Super-8-Still privat

Es gibt nicht viel zu sehen am Eisbach in München. Die Welle ist weg. Kein Surfer. Schaumig schnellt das Wasser unter der Brücke an der Prinzregentenstraße in den Englischen Garten. Oben auf der Brücke stehen auch jetzt eigentlich immer ein paar Leute, zeigen mit Fingern auf das Wasser oder machen mit ihren Smartphones Aufnahmen von dem wilden Wasser.

Die Eisbachwelle ist eine Sehenswürdigkeit, auch wenn es sie gar nicht mehr gibt. Gesprächsthema ist sie sowieso. Es fehlt eben etwas. Es ist beinahe so, als hätte man der Frauenkirche ihre Zwiebeltürme genommen. München ohne Surfer auf der Eisbachwelle? Undenkbar.

Dabei gab es in diesem Jahr schon einmal eine Surfpause am Spaßsporthotspot neben dem Haus der Kunst, jenem wuchtigen Nazibau, der so gar nichts Leichtes an sich hat. Mitte April war eine Frau beim nächtlichen Surfen ums Leben gekommen. Aus dem Fun war bitterer Ernst geworden. Die Stadt sperrte die Zugänge zum Wasser ab, die Staatsanwaltschaft ermittelte. Bald hängten Mitglieder der Münchner Surfszene ein Transparent an die Brücke über dem Eisbach: „Surf must go on.“

Warum die Surferin zu Tode gekommen ist, ließ sich nicht aufklären. Es handle sich um ein „äußerst tragisches, trotz umfangreicher Ermittlungen nicht aufklärbares Unglück“, teilte die Staatsanwaltschaft München I mit. Niemand trage eine strafrechtliche Verantwortung. Auch die Landeshauptstadt München nicht, die den Surfzirkus erlaubt hatte.

Die Welle ist freilich Chefsache

Der Spaß durfte also weitergehen. Oberbürgermeister Dieter Reiter ließ es sich nicht nehmen, höchstpersönlich die Welle wieder freizugeben für die Sportlerinnen und Sportler. Der Termin Ende Juni war der erste nach einer Schulter-OP. Wenn es um die Welle geht, ist eben der Chef gefragt. Wäre ja noch schöner! Die erste Mass auf dem Oktoberfest zapft schließlich auch nicht irgendein Stellvertreter an.

Auch in diesen Tagen ist Reiter gefragt. Er soll gefälligst dafür sorgen, dass die verschwundene Welle sich wieder aufbaut. Die ist seit der sogenannten Bachauskehr Ende Oktober weg. Einmal im Jahr wird die Wasserzufuhr in Flüssen und Kanälen reduziert, um sie reinigen und eventuelle Schäden beseitigen zu können. Als das Wasser aus der Isar, die den Eisbach speist, wieder freigegeben wurde, war das Entsetzen groß. Die stehende Welle war weg. Experten waren gefragt.

Oberbürgermeister Reiter lud wissenschaftliche Fachleute der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, der Universität Innsbruck sowie der Hochschule München ins Baureferat ein, um sich zusammen mit den in der Interessengemeinschaft Surfen in München und dem Surf-Club München organisierten Sportlern zu besprechen.

Weil der Wahlkampf um die Rathausspitze, die im März 2026 neu gewählt wird, gerade anläuft, machte sich prompt CSU-Spitzenkandidat Clemens Baumgärtner in einem lokalpatriotischen Anfall lustig darüber, dass man nun schon Experten aus Hamburg hole, um ein Problem zu lösen, für das Münchner Surfer doch längst eine Lösung gefunden hatten.

Nächtliche Experimente

Auf Instagram kursieren da Videos von einer nächtlichen Aktion, bei der Surfer ein Brett im Bachbett angebracht hatten, das dafür sorgte, dass sich eine stehende Welle aufbaute. Derartige Einbauten sind gefährlich, deshalb illegal, und die Tüftler aus der Surfszene entfernten sie nach dem nächtlichen Wellenritt wieder. Man ist vorsichtig geworden. Nach dem tödlichen Surfunfall im Frühjahr wird es nicht einfach sein, derartige Einbauten genehmigen zu lassen.

Von einer solchen spricht auch Walter Strasser. Den Mann, den sie am Eisbach „Hausmeister“ genannt haben sollen, hat die Abendzeitung auf Sardinien ausfindig gemacht und ihn als „Vater der Eisbachwelle“ geadelt. Man müsse ihn nur einfliegen, dann würde er sich schon drum kümmern, dass wieder gesurft werden kann. Dass die Welle mal verschwindet, habe es des Öfteren gegeben.

Auch Heinz Lindenberger kann sich an ganze Sommer ohne Welle am Eisbach erinnern. 1982 sei das gewesen oder ein Jahr später. Große Wellen geschlagen haben die wellenfreien Sommer damals nicht. Surfen war noch kein Thema in der Stadt. Für Lindenberger schon. Zusammen mit einer Handvoll Freunden ist er bereits Ende der 1970er Jahre auf der Eisbachwelle geritten, lange bevor der Hausmeister aufs Brett gestiegen ist. „Nach unserer Ansicht waren wir die Ersten“, erzählt er. „Außer uns ist damals niemand die Welle geritten“, sagt er.

Auch Michael Nowak war damals dabei. Er schwärmt vom Erfindergeist seines Freundes, der sich sein Gespür für Wasser beim Barfußwasserskifahren auf der Donau antrainiert hatte. „Der Heinzi hatte die Idee“, sagt er und erinnert sich an den Sommer nach dem Physikum, in dem er als Medizinstudent auf die Bretter gestiegen ist, die Lindenberger aus Sperrholz fabriziert hatte.

Mit Seil in der Hand auf dem Wasser

Es gibt sogar Bilder von den beiden. Mit einer Super-8-Kamera sind die ersten Surfversuche am Eisbach dokumentiert worden. Da sind Lindenberger und Nowak zu sehen, wie sie auf einer runden Scheibe mit Schlaufen für die Füße das Wasser unter sich durchrauschen lassen – mit einem am Ufer befestigten Seil in der Hand. Aber sie sind auch auf einem breiten Brett zu sehen. Zunächst seien sie an der Leine aufs Wasser gegangen. „Da habe ich gemerkt, dass das Seil auf einmal nicht mehr unter Spannung stand“, sagt Lindenberger. Das Eisbachsurfen war entdeckt.

Das muss eine große Schau gewesen sein, möchte man denken. War es aber nicht. „Ja, da haben schon welche zugeschaut, aber wir haben das eher für uns selber gemacht“, erinnert sich Michael Nowak. Und die Polizei? Erlaubt war das damals ja nicht. Lindenberger kann sich nicht erinnern, dass sie mal Ärger bekommen hätten.

Den kann es seit 2010 offiziell nicht mehr geben. Da war das Surfen schon ein großes Ding. Mit selbst zugesägten Holzbrettern ging da schon lange niemand mehr in den Bach. Fachgeschäfte begannen, viel Geld zu verdienen mit der Ausrüstung der Surfer, deren Künste und blondierte Surfermähnen von der Brücke aus bewundert wurden. Doch erlaubt hatte den zumeist jungen Leuten, die nicht selten mit ihren Brettern am Rad zum Eisbach geradelt kamen, das Wellenreiten im Englischen Garten niemand. Die Stadt konnte keine Duldung aussprechen, denn der Englische Garten gehört dem Freistaat Bayern. Ein Grundstückstausch wurde organisiert: die Ufer am Eisbach gegen einen Parkplatz am benachbarten Bayerischen Nationalmuseum. Das wirbt auf großen Werbetafeln mit dem Slogan „Das Schatzhaus an der Eisbachwelle“ für sich.

Die hat sich immer noch nicht aufgebaut. Die Hochschule München arbeitet dran. Erste Vorversuche sind gelaufen. Surfer in Neoprenanzügen haben im Schneeregen an der Welle gewerkelt. Kies soll ins Bachbett eingebracht werden. Die Hoffnung lebt. Noch gibt sich München nicht geschlagen.

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