: Schlichtweg Gewalt
Der Rechtsruck, das sind nicht nur die anderen, sondern die gesamte Gesellschaft. Zunehmend auch die gesellschaftliche Linke. Braucht es da etwa auch eine Brandmauer?
Von Clara-Sophia Müller
Die KI kann den Begriff bereits definieren: „linker Rechtsruck“. Er bezeichne „die paradoxe Situation, dass auch linke oder linksextremistische Gruppierungen sich zunehmend radikalisieren und ähnliche Methoden wie rechtsextreme Gruppen anwenden“.
Aber was ist der Rechtsruck eigentlich? NSU, Nazischläger, AfD, schnell schießende Polizisten und eine Wiederkehr der Baseballschlägerjahre? So weit die offensichtlichen Symptome.
Kein Wunder also, dass sich Linke zur Gegenwehr berufen fühlen: Gegen die antifaschistische Gruppe rund um Johannes G. begann der Prozess am vergangenen Dienstag in Dresden. Unter anderem sollen sie mit Schlagstöcken und Hämmern auf Köpfe und auf am Boden liegende Neonazis eingeschlagen und AfD-Anhänger im privaten Umfeld attackiert haben. Die Argumentation in einigen Solidaritätsbekundungen im Internet: Militanter Antifaschismus sei kein Terrorismus, und wer gegen Nazis kämpfe, könne sich auf den Staat eben nicht verlassen.
Also let’s go. Helden braucht das Land. Hauptsache, politisch handlungsfähig bleiben oder sich zumindest so fühlen.
Für Reflexion bleibt aber gar keine Zeit. Geist und Denken ist schon etwas langweiliger als Körper und Fühlen. Wer würde denn jetzt ernsthaft noch Strategien wie Bildung, Erziehung, Demos, Bündnisse und Kommunikation fordern und Sachschäden und Selbstverteidigung als maximale Aktionsgrenze linker Politik als selbstverständlich deklarieren? Nur empathische Schwächlinge. Schließlich geht es darum, nun mal wirklich auf der richtigen Seite der Geschichte stehen.
Das Thema Gewalt hat man in der von Idealen geprägten Linken jahrelang ausgeblendet. Jetzt muss schnell nachholend modernisiert werden. Bis dato haben die Kontinuitäten rechter Gewalt in peripheren Gegenden und in Ostdeutschland, gegen die sich Betroffene seit Jahrzehnten selbst verteidigen, keine große mediale und politische Aufmerksamkeit bekommen. Und jüdische Stimmen, die von Bedrohungen aus fast allen politischen Lagern erzählen, passen auch nicht ins dichotome Bild linker Wehrhaftigkeit.
Teile des aktionistischen Konglomerats kommen aus einer sportaffinen linksradikalen Szene. Beispielsweise trainiert der Rapper kalaszniko7 mit seinen Genossen und Genossinnen im Instagramvideo seines Songs „Sport frei!“ Kampfsport und mahnt: „An den Tagen, wo du nicht trainierst, macht’s ’n Fascho.“
Die echten Faschisten gehen aber längst schießen. Die dementsprechende Aufrüstungsforderung in linker Version müsste also bald kommen. Denkt man das Gesetz der Straße – dass nämlich sozialchauvinistisch der Stärkere gewinnt – zu Ende, müssten jedenfalls größere Geschütze aufgefahren werden.
Genau gegen diese autoritäre Vereinnahmung wehren sich progressive Teile der linken Kampfsportszene. Dort will man keinen Drill, keine Uniformierung, kein männliches Härteideal, sondern versucht eine Kultur solidarisch-sportlichen Messens, statt soldatisch-sportliche Mobilisierung zu etablieren. Davon zeugen die meisten Selbstverständnisse linker Kampfsportprojekte.
Popkulturell kulminiert die ganze Abwehr in krude Abwege. Dafür trägt ein anderes, sich neuerdings ebenfalls als wehrhaft fantasierendes Milieu Verantwortung: das der Politiker. Vielleicht in der Jugend mal radikal und cool gewesen – gefällt die junge linke Militanz und Gewaltästhetik dort besonders gut. Und sie zieht auch im Wahlkampf. Alle zusammen gegen den Faschismus – auch körperlich –, trägt man medienwirksam vor sich her und stachelt dazu an, „auf die Barrikaden“ zu gehen.So gemacht vom linken Bundestagsabgeordneten Ferat Koçak, der sich vor dem Bundestag filmte und dabei die Lippen bewegte zum Song „Rot“ der Rapper Dahab Flex und Erzin. Text unter anderem: „Hau dem Rechten aufs Maul auf die linke Tour“. In anderen Videos sieht man Dahab Flex mit der „pro-palästinensischen Genossenschaft“ einer jüngeren linken Szene in Black-Block-Ästhetik, Kufiya und Hammer und Sichel „death to the IDF“ schreien
Was auf den Straßen an linksrechter Wehrhaftigkeit so alles abgeht, interessiert das selbstgerechte Milieu aber nicht. Nein, von Gewaltkompetenz sind viele Befürworter linker Wehrhaftigkeit weiter weg, als ihr Duktus vermuten lässt. Die Reaktion Heidi Reichinneks auf den Mord am rechten Influencer Charlie Kirk spricht Bände. Sie findet, man muss ihm aufgrund seiner politischen Einstellung post mortem weder Mitleid noch Respekt entgegenbringen.
Selbstverteidigung ist eine grundlegende emanzipatorische Voraussetzung für jeden Menschen – immer und egal gegen wen. Darum geht es aber den wenigsten, die sich in Gewalt oder Gewaltfantasie verrennen. Effektiv abgewehrt werden vor allem die eigenen autoritären Sehnsüchte. Und warum sollte ein gesellschaftlicher Rechtsruck nicht auch die soziale Linke betreffen? Nestbeschmutzung ist also eine Pflicht. Folgt man der Logik des linken Rechtsrucks konsequent – dann wäre es wohl höchste Zeit für eine Brandmauer dagegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen