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Erfolge der SensortechnikMit Hightech in die Wildnis

Fledermäuse, die Singvögel im Flug fressen, und Geier, die Umweltschützer werden: Dank moderner Sensortechnik sind Tiere Botschafter ihrer Welt.

Wie spricht sich Tier­sterben unter Geiern herum? Das fragen sich die Forscher Foto: Mara Brandl/imago

Der Riesenabendsegler, Europas größte Fledermausart, frisst Singvögel, und das im Flug. 25 Jahre mussten Forschende auf den endgültigen Beweis dafür warten. Vogelfedern im Kot der Tiere waren ein erster Hinweis, doch beobachtet werden konnte die besondere Jagd nie.

Forschende aus Dänemark, Spanien und Deutschland haben die Tiere deshalb mit Mini-Biologgern ausgestattet, die Flughöhe, Beschleunigung sowie akustische Signale registrieren. Dabei zeigte sich: Die Riesenabendsegler jagen nachts nicht nur Insekten, sondern eben auch Singvögel. Gefangen und gefressen werden sie in großen Höhen, etwa 400 Meter über dem Boden.

„In den Daten der Biologger erkennen wir nicht nur eine Beschleunigung der Fledermäuse bei der Jagd, sondern auch die Angstrufe der Beutevögel“, erklärt Fledermausexperte Christian Voigt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin. In der Studie, erschienen im Fachmagazin Science, wird ein Fall beschrieben, in dem die Fledermaus ein Rotkehlchen erwischte und ihm dann die Flügel abbiss, vermutlich um Aufwand und Luftwiderstand zu reduzieren.

Diese Entdeckungen sind nicht nur faszinierend in Bezug auf das Jagdverhalten von Fledermäusen. Sie zeigen auch, wie leistungsfähig moderne Besenderungs- und Sensortechnik ist. Erst durch den Einsatz von Biologgern ließ sich diese komplexe Jagdstrategie rekonstruieren.

Fledermäuse werden „besendert“

„Die Sensortechnik hat sich in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt. Inzwischen ist es kein Problem mehr, selbst Fledermäuse und Singvögel so zu besendern, dass ihre Bewegungsfreiheit und ihr arttypisches Verhalten nicht eingeschränkt ist“, erklärt Voigt. Zudem sind die Preise für die notwendige Technik stark gefallen. So können viel mehr Tiere besendert werden als noch vor wenigen Jahren. Und das führt zu immer neuen Einblicken in das Leben der Tiere.

Voigt und sein Team konnten zum Beispiel zeigen, dass viele heimische Fledermausarten deutlich größere Strecken wandern als bisher angenommen. Dafür klebten sie winzige Sender auf den Rücken der Fledermäuse, die schon nach ungefähr zwei Wochen von selbst abfielen. Anhand der Mobilfunkmasten, an denen das Sendersignal registriert wurde, können sie die Wanderungen durch Europa nachzeichnen.

Solche Daten verraten nicht nur mehr über das Leben der Tiere, sie helfen auch dabei, neue Artschutzkonzepte zu entwickeln. Ein Beispiel dafür ist die Forschung zu Fledermäusen und Windkraftanlagen. Schätzungen gehen davon aus, dass bundesweit jährlich bis zu 200.000 Fledermäuse Opfer von Windkraftanlagen werden.

Diese Zahl ist besonders alarmierend, weil Fledermäuse nur ein bis zwei Junge pro Jahr bekommen und damit zu den am langsamsten reproduzierenden Säugetieren gehören. Doch es gibt einfache Lösungen: Getestet werden zum Beispiel Abschaltalgorithmen, bei denen Windräder in Phasen hoher Fledermausaktivität, etwa in warmen Sommernächten während der Zugzeit, automatisch abgeschaltet werden.

KI-Programme helfen

Bei der Entwicklung solcher Lösungen helfen nicht nur Sensoren auf den Tieren, sondern auch KI-Programme. „Diese KI-Anwendungen können uns bei der Auswertung der Daten helfen. Sie finden zum Beispiel Auffälligkeiten in Bewegungsmustern oder Audioaufnahmen und können dann die Forschenden informieren“, erklärt Jörg Melzheimer, ebenfalls Biologe am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung. Sein Spezialgebiet sind Geier.

Die majestätischen Vögel sind eine wichtige Schlüsselart. Als Aasfresser halten sie Ökosysteme sauber und verhindern das Ausbreiten von Krankheiten. Weil sie aber stark vom Aussterben bedroht sind, können sie diese Aufgabe immer schlechter erfüllen. Umso wichtiger ist ein besserer Schutz.

Genau dieses Ziel verfolgt die GAIA-Initiative. Hier werden die großen Geier in Afrika mit Biologging-Sensoren wie GPS-Geräten und Beschleunigungsmessern ausgestattet. Diese Sensoren liefern kontinuierlich Daten zu Position und Bewegungsmustern der Tiere. Anders als bei den Fledermäusen halten diese Sender deutlich länger: Manche Geier verfolgen die Forschenden schon über acht Jahre.

Ein KI-Algorithmus, trainiert mithilfe von Referenzdaten aus kontrollierten Bedingungen und Feldaufnahmen, überwacht die Bewegungen der Geier und macht spezifische Verhaltensmuster ausfindig – etwa den Gleitflug, Nahrungsaufnahme oder Standphasen. Aus diesen Signalen lassen sich sogenannte „Cluster“ bilden, an denen Geier wahrscheinlich gefressen haben, also potenzielle Kadaver-Standorte. In Tests wurden über 500 solcher Verdachtsstellen von den Forschenden kontrolliert. Die Trefferquote lag bei etwa 92 Prozent.

Geier legen große Entfernungen zurück

„Früher habe ich Geier oft aus dem Jeep heraus beobachtet. Die Tiere ähneln sich sehr. Man wusste nie, ob immer die gleichen Tiere zu den Kadavern kommen oder auch Geier aus anderen Regionen dazu stoßen“, erklärt Melzheimer. Dank der neuen Daten wissen die Forschenden nun, dass die Geier oft große Entfernungen zurücklegen, um an neue Kadaver zu kommen.

Wie sich das Tiersterben unter den Geiern genau herumspricht, untersucht die GAIA-Forschung ebenfalls. In Modellsimulationen und anhand von Daten von 30 besenderten Geiern im Etosha-Nationalpark in Namibia, mit über 26 Millionen GPS-Datenpunkten, wurden drei verschiedene Strategien verglichen.

Die Tiere suchen auf eigene Faust nach dem Kadaver, Artgenossen in der direkten Nähe zeigen ergiebige Futterstellen an oder es gibt eine Kette von fliegenden Geiern, die einander zum Aas führen. Es zeigte sich: Soziale Strategien übertreffen oft die individuelle Suche, vor allem in Gebieten mit vielen Geiern und ausreichend Kadavern. Im Umkehrschluss bedeutet das: Wenn Geierdichten zu stark absinken, leidet nicht nur die Nahrungssuche der einzelnen Tiere, sondern auch die Fähigkeit der Population, miteinander Informationen auszutauschen.

Deshalb suchen die Forschenden nach Wegen, den Informationsaustausch der Geier zu nutzen, um beispielsweise Krankheitsausbrüche wie die Afrikanische Schweinepest, illegale Wilderei oder Dürreszenarien ausfindig zu machen, in denen große Tierherden verenden. Die Geier werden damit zu mobilen Sensoren, die riesige Landschaften überwachen und mit minimalem menschlichem Aufwand wertvolle Hinweise auf kritische ökologische Ereignisse liefern.

Echtzeitüberwachung wird möglich

Was früher Wochen dauerte und den Einsatz vieler Menschen erforderte, kann heute in Echtzeit überwacht werden. „Dank der Daten der Geier können wir schneller aufbrechen und die Kadaver entfernen“, sagt Melzheimer. Auch die Geier selbst kann das schützen. Melzheimer berichtet von einem Fall, bei dem Bauern Löwen vergiftet hatten. Einige Geier, die sich daran bedient hatten, verstarben ebenfalls. Durch die Biologger-Daten ließen sich die verseuchten Kadaver schnell lokalisieren und so einigen hundert Geiern das Leben retten.

Bisher werden solche Projekte vor allem einzeln gedacht. Doch die Vision des Umweltmonitorings geht noch weiter. Mittelfristig sollen Forschende möglichst viele Sensoren und Messergebnisse aus der Tierbeobachtung zusammenführen. Flugdaten von Zugvögeln, Unterwassermessungen von Walen oder Robben, die Wanderungsinformationen von Herden – sie alle könnten einen ganz neuen Blick auf unseren Planeten geben, auf Prozesse, die wir heute noch nicht erahnen können.

Am Ende könnte das nicht nur helfen, Katastrophen besser vorherzusagen oder die Folgen des Klimawandels früher zu erkennen, sondern auch ein neues Bewusstsein für den Wert der Tiere und ihre Lebensräume zu schaffen. Tiere werden damit zu Botschaftern ihrer eigenen Welt. Sie zeigen uns, was in Ökosystemen vor sich geht, lange bevor wir es mit bloßem Auge sehen könnten.

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