Die Seitenwende der taz: Neuanfänge
Nicht jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Das erlebt der Autor T. C. Boyle in den USA jeden Tag und betet um den Segen eines Regimewechsels.
D ieser Beitrag ist als einer von zehn exklusiven Beträgen, die die taz von deutschen und internationalen Autor*innen für ihre letzte gedruckte Werktagsausgabe vom 17. Oktober 2025 bekommen hat.
Über Neuanfänge schreiben ist ironisch, denn unter den gegenwärtigen Umständen hier in Amerika können Neuanfänge nur noch mehr Hass bedeuten. Und den weiterhin raketenhaften Anstieg von Ignoranz und Aberglauben. Jeder Neuanfang ist hier ein Vorbote der systematischen Aushöhlung unserer verfassungsmäßigen Rechte.
Unter der Woche wird fortan nicht mehr gedruckt: Die historische werktagstaz vom Freitag, dem 17.10.2025, erscheint ausnahmsweise fast ausschließlich gedruckt. Sie bleibt ganze zwei Wochen im Handel, als PDF oder ePaper und auf Papier per Post erhältlich.
In der Sonderausgabe: Texte von Fatma Aydemir, Sibylle Berg, T.C. Boyle, Dave Eggers, Olga Grjasnowa, Olga Hohmann, Nefeli Kavouras, Francesca Melandiri, Christof Meueler, Feridun Zaimoglu, ein Dreiergespräch von Annett Gröschner, Peggy Mädler und Wenke Seemann, den abgeschlossenen Fortsetzungroman „Spionin der Redaktion“ u.v.m.
Bis Januar war unser Land mit 248 Jahren die am längsten bestehende Demokratie der Geschichte, doch seitdem sind wir in die schwarze Nacht der Autokratie versunken. Worauf wir uns freuen können? Auf das ständige Gefüttertwerden mit Propaganda, während die Welt zu unseren Füßen sich in Scheiße verwandelt?
Auf die nächste Pandemie, die uns unter der Voodoo-Herrschaft des Gesundheitsministers Robert F. Kennedy Jr. dezimieren wird, nicht nur hier in Amerika, sondern weltweit? Seine Anhänger:innen lassen weder ihre Kinder noch ihre Hunde impfen. Wird es als Nächstes also eine Tollwut-Pandemie geben? Warum nicht. In den Augen von Kennedys Anhänger:innen wird das ein Akt der persönlichen Freiheit sein. Wau-wau! Ahwooo!
Unsere Neuanfänge zeigen, dass die „Gewaltenteilung“ nur noch ein Witz ist: Die Legislative fürchtet sich vor unserem großen und mächtigen Führer, er hat den Obersten Gerichtshof in der Tasche, die Universitäten und die freie Presse werden unter fadenscheinigen Vorwänden angegriffen und seine Privatarmee patrouilliert durch die Straßen unserer Städte, um uns alle unter Kontrolle zu halten.
Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, werden alle grünen Initiativen demontiert, sodass der Klimawandel immer größere Zerstörungen und Verwerfungen bringt. Er fordert Menschenleben als Preis, während die Natur weiter ihrer Ressourcen beraubt wird. Seltene Arten werden so selten, dass sie wie Staubkörnchen im Wind davonwehen.
Geboren 1946 in New York, lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Kalifornien. Er gilt als einer der wichtigsten Autoren der USA. Im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahl 2024 befragte die taz den Schriftsteller jede Woche zur Lage in seinem Heimatland. Sein aktueller Roman „No Way Home“ erschien zuerst auf Deutsch und wird zunächst nicht in den USA verlegt werden.
Neuanfänge? Was für ein Witz! Wir können gerade nur weinen, jammern und um den Segen eines Regimewechsels beten. Das Problem dabei ist, dass die Zeit langsam vergeht, zumindest für uns Normalsterbliche, und wir haben noch mehr als drei Jahre mutwilliger Zerstörung und Chaos vor uns. Wird bis dahin noch jemand von uns übrig sein? Wird überhaupt etwas übrig sein?
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