Ambros Waibel übrigens: „Gebrochene Versprechen“ und das endgültige Ende der BRD
Am Montag hat man dem Sohn noch den ersten Tag beim Kinderfußball versprochen, am Mittwoch ist die Trainerin krank. Als Elternteil beißt man sich da auf die Hände, mit denen man gleichzeitig die Tränen der Enttäuschung trocknet, und schreibt sich zum zehnten Mal zehnmal ins Stammbuch: Ich will es nie wieder tun! Nie wieder werde ich etwas versprechen! Solcherlei moralische Ertüchtigungen sind natürlich ganz nutzlos. Das Versprechen hat nämlich einen Zweck, es verspricht Entlastung und funktioniert wie ein Schuldschein. Und es sichert zumindest momentan Macht und Loyalitäten.
Wenn große Versprechen platzen, können Epochen zu Ende gehen. So analysiert jedenfalls der US-amerikanische Wissenschaftler Fritz Bartel in seinem Buch „Gebrochene Versprechen“ das Ende des Kalten Krieges und den Siegeszug des Westens: Als die Sowjetunion im Zuge der Ölkrise den Ölhahn zudrehte, sahen ihre bis dahin billig versorgten Satellitenstaaten schnell sehr arm aus. Das Versprechen, ihre Bürger:innen vor den Zumutungen des Kapitalismus zu schützen und für stetig wachsenden Wohlstand sorgen zu können, ließ sich nicht mehr halten. Und dann ging, wie das bei gebrochenen Versprechen eben so ist, der Tumult los – am tapfersten waren dabei wie immer die Polen, aber das ist eine andere Geschichte.
Unsere bundesdeutsche Geschichte heute ist, dass die Versprechen auf Sicherheit, auf Wohlstand und auf unveränderte Vermögensverhältnisse nur noch auf Pump, pardon: per Sondervermögen, zu finanzieren sind. „Der Kalte Krieg begann als Rennen darum, Versprechen zu geben, aber endete als Rennen darum, Versprechen zu brechen“, schreibt Bartel. Aus dem Beraterstab von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche klang das diese Woche so: Die Politik manövriere sich durch immer neue Leistungsversprechen „in eine Sackgasse“, man warne davor, den Menschen ein „Bullerbü“ zu versprechen.
Ambros Waibel
ist seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort Gesellschaft und Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, organisierte Kriminalität und schöne Literatur.
So richtig verfangen mag diese Erzählung vom Ende des bundesrepublikanischen Versprechens bislang nicht, scheint mir jedenfalls. Wer Opfer einfordert, muss charismatisch sein und eine Vision formulieren – oder irgendeinen Ersatz bieten. Mein Söhnchen und ich, wir haben dann halt ein Eis gegessen, statt zum Training zu gehen, obwohl es eigentlich schon zu kalt dafür war.
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