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Sozialhilfe in HamburgFür die armen Leute nur das Allerbilligste

Die Pauschale für die Erstausstattung von Wohnungen wurde seit 20 Jahren nicht erhöht. Trotz beachtlicher Inflation, kritisieren Aktivisten.

Gebrauchtes Geschirr aus dem Sozialkaufhaus: Reicht Hamburgs Pauschale dafür? Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Hamburg taz | Preissteigerungen setzen vor allem den armen Menschen zu. Drum schrieb die neue rot-grüne Koalition in Hamburg im April in ihren Koalitionsvertrag, dass sie eine Erhöhung jener Pauschalen „prüfen“ wird, die die Empfänger von Sozialhilfe, Grundsicherung im Alter und Bürgergeld für die Erstausstattung ihrer Wohnung bekommen.

Doch prüfen heißt in Hamburg nicht erhöhen. Das Sozial-Bündnis „Hamburg traut sich was“ hat durch Recherchen im Archiv der Stadt festgestellt, dass diese Pauschalen sogar seit 2005 nie erhöht wurden. Auch die Erstausstattung für Kleidung bei Schwangerschaft und Geburt blieb 20 Jahre gleich.

„Wir gratulieren zu 20 Jahren…Wegschauen, Ignoranz, Gleichgültigkeit und Ausgrenzung“, heißt es nun ironisch auf einer bunten Postkarte, die das Bündnis aus engagierten Sozialarbeitern an die Sozialbehörde und die Parteien in der Hamburgischen Bürgerschaft schickte. Denn statt der 809 Euro, die es seit 2005 für Möbel und Hausrat für die Betroffenen gibt, müsste diese Summe bei Berücksichtigung der Inflation heute 1.202,62 Euro betragen.

Der CDU-Sozialpolitiker Andreas Grutzeck hatte im Juni eine Anfrage zum Thema gestellt und erfahren, dass die letzte Prüfung, ob 809 Euro reichen, 2015 erfolgte. Die letzte Prüfung der Ausstattungshöhe für Schwangere erfolgte 2009. Beides ist also mehr als ein Jahrzehnt her. Doch bevor nun zügig einer Erhöhung erfolgt, führt die zuständige Behörde erst mal eine „Marktanalyse“ durch.

Behörde will erstmal prüfen

Dies antwortete die Hamburger Senat der Linken-Abgeordneten Olga Fritzsche, die im Juli in einer Anfrage nachbohrte. Die Linksfraktion habe schon mehrfach Anträge für eine Anhebung der Pauschalen auf ein realistisches Niveau gestellt, sagt Fritzsche. „Dass der Passus als Prüfauftrag im Koalitionsvertrag steht, ist der reine Hohn. Wie lange kann man denn so etwas prüfen?“.

Fest steht, die Höhe dieser Leistungen liegt in der Hand der Städte und Kommunen. Für „Hamburg traut sich was“ ist die lange Untätigkeit der Hamburger Sozialbehörde Ausdruck einer Missachtung der Lebensrealität von Menschen, die von Einkommensarmut betroffen sind. „In anderen Großstädten sind die Pauschalen höher“, sagt Bündnis-Sprecher Wolfgang Völker.

In Nürnberg etwa erhält eine alleinstehende Person 1.230 Euro für die bei Bezug einer Wohnung anzuschaffenden Posten wie Küchen- und Flurmöbel, Schlafzimmermöbel, Wohnzimmersitzgelegenheiten, Bettzeug und Hausrat. Auch in Köln, Stuttgart, Leipzig und Berlin gibt es dafür Pauschalen von weit über 1.000 Euro, in München sogar mehr als 2.000 Euro. Es gibt allerdings auch Städte wie Bremen, die wie Hamburg deutlich darunter bleiben.

Doch mittlerweile wächst in Hamburg die Einsicht, dass hier Handlungsbedarf besteht. Die Sozialbehörde äußert sich zwar nicht zu der Frage, warum der Betrag seit 20 Jahren nicht erhöht wurde, verweist aber auf ihre jetzt gestartete Marktanalyse. „Konkret wird angeschaut, welche Anschaffungen typischerweise bei der Erstausstattung anfallen und wie sich die entsprechenden Kosten in den vergangenen Jahren entwickelt haben“, sagt Sprecher Wolfgang Arnhold.

Armutsbetroffene treffen Kostensteigerungen besonders hart

Auch die SPD-Fraktion befürwortet eine Überprüfung angesichts der hohen Inflation. Ihr Sozialpolitiker Baris Önes betont aber, dies müsse sorgfältig geschehen, „denn das Ergebnis muss am Ende überprüfbar und angemessen sein“. Die Grünen sehen indes dringenden Handlungsbedarf.

„Die Kostensteigerungen der letzten Jahre sind ein großes Problem für viele Menschen in Hamburg. Armutsbetroffene Gruppen trifft das besonders hart“, sagt die Grüne Abgeordnete Kathrin Warnecke. „Wenn Frauen länger im Frauenhaus bleiben, weil sie sich die Ausstattung für eine neue Wohnung nicht leisten können, haben wir ein echtes Problem.“ Das Gleiche gelte für Menschen aus dem Housing-First-Programm, Menschen mit Behinderung oder Alleinerziehende.

Olga Fritzsche sagt: „Wer 2025 noch auf der Basis von Beträgen aus 2009 oder 2015 kalkuliert, hat die Realität völlig aus dem Blick verloren.“ Nötig sei deshalb eine automatische Anpassung an die Inflation. „Alles andere ist Hinhaltetaktik auf dem Rücken der Schwächsten.“

CDU-Politiker Andreas Grutzeck sagt, die Analyse bleibe abzuwarten, diese aber müsse „endlich durchgeführt werden“. Indes warnt Bündnis-Sprecher Wolfgang Völker davor, bei einer Marktanalyse nach dem Motto „Geiz ist geil“ zu verfahren oder „was am billigsten ist, ist gut für die Armen“.

Denn Möbel, die schnell kaputt gehen oder Geräte, die viel Energie verbrauchen, nützten wenig. Und es sollte auch gefragt werden, unter welchen Bedingungen billige Möbel produziert werden. „Ich habe auch kein Problem damit, Gebrauchtmöbel zu nutzen“, sagt Völker. „Aber ich habe ein Problem, wenn dies nur von den Armen verlangt wird.“

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