
Jugend im geteilten Deutschland : Stasi im Kinderzimmer, 68er im Kopf
Empfohlener externer Inhalt
Jugend in DDR und BRD: zwei Welten! Zu Gast sind Doreen Trittel, Künstlerin & Tochter eines Stasi-Mitarbeiters, und Jan Feddersen, taz-Redakteur.
In dieser persönlichen Folge des Podcasts „Mauerecho – Ost trifft West“ spricht Moderator Dennis Chiponda mit den Gästen Doreen Trittel, Künstlerin und Tochter eines Stasi-Mitarbeiters, sowie Jan Feddersen, Journalist und taz-Redakteur. Sie erzählen von ihrer Jugend in unterschiedlichen Welten: der DDR und der Bundesrepublik. Die Folge zeigt, wie verschiedene Prägungen, Tabus und gesellschaftliche Zwänge ihr Leben beeinflussten.
Unterschiedliche Biografien, gemeinsame Fragen Trittel schildert eine scheinbar behütete DDR-Kindheit, die durch die Enthüllung über die Stasi-Tätigkeit ihres Vaters einen radikalen Bruch erlebte. Schon früh erfuhr sie, dass es Tabus gab und dass Fragen oft abgeblockt wurden – eine Form von emotionalem Druck. Feddersen erlebte die BRD-Jugend als von Freiheit und politischen Hoffnungen geprägt. Gleichzeitig berichten beide von familiären Tabus, etwa im Umgang mit der NS-Vergangenheit.
„Ich hatte eine heile Welt in der DDR – bis ich verstand, was mein Vater getan hat“, sagt Trittel. In beiden Deutschland herrschten Schweigen und Tabuisierung, wenngleich zu unterschiedlichen Themen. In der DDR hatten politische Fragen und Kritik kaum Raum, in der BRD wurde über die NS-Vergangenheit lange nicht gesprochen. Beide betonen, wie diese Schweigemuster sie geprägt und Gespräche in der Jugend erschwert haben.
Trittel beschreibt eine stark militarisierte DDR-Jugend mit Übungen wie Handgranatenwerfen, Uniformzwang und Pionieraktionen. „Militär gehört nicht in die Kindheit – für mich war das damals völlig normal“, teilt Trittel mit. Feddersen erzählt vom westdeutschen Schulalltag, in dem der Militarismus kaum präsent war, und vom gesellschaftlichen Unwillen gegenüber militärischen Vorstellungen. Die Bildungspolitik formte damit sehr unterschiedliche Lebenswirklichkeiten. „Militarisierung fand nicht nur nicht statt – man hielt sie sich aktiv vom Leib“, fügte Feddersen hinzu.
Rebellion und Autonomie
Trittel übte stille Rebellion, etwa durch Musik und das Selbernähen von Kleidung, während ihre Familie strenge Kontrollen ausübte. Feddersen berichtet von innerer Rebellion und dem Ziel, mit Erreichen der Volljährigkeit entschieden eigenständig zu leben. Beide suchten Wege zur individuellen Freiheit, häufig in subtilen, persönlichen Formen.
Jan Feddersen, taz-Redakteur
Die Episode widmet sich auch der Erfahrung von Wendezeit und Wiedervereinigung. Trittel erzählt von ihrer Situation als Jugendliche, die den Mauerfall „verschlief“ und erst am nächsten Tag die gesellschaftlichen Umbrüche realisierte. Für sie war die Phase ein emotionaler Überlebenskampf, in dem kaum Raum zum Trauern oder Abschiednehmen blieb. Dieses Fehlen eines „Raums für Trauer“ ist für sie ein prägendes Merkmal dafür, warum viele Ostdeutsche sich mit ihrer Vergangenheit ambivalent auseinandersetzen – in einem Spagat zwischen Nostalgie und kritischer Reflexion. „Man hatte gar nicht so die Zeit, um traurig zu sein, weil es erstmal ein Überlebenskampf war, also für die Eltern und aber auch für einen selbst. […] Dass da kein Platz für Trauer war oder zum Verabschieden, das ist mir erst viel später so in mehreren Phasen bewusst geworden“, berichtet Trittel.
Hoffnungen für die Jugend
Feddersen ergänzt den Blick mit der Erfahrung, dass diese emotionalen Prozesse im Westen oft nicht wahrgenommen oder missverstanden wurden, da dort andere gesellschaftliche Dynamiken herrschten. Für ihn besteht eine wichtige Aufgabe darin, die ostdeutschen Gefühle von Verlust und Trauma ernst zu nehmen, ohne sie zu vereinfachen oder pauschal abzutun.
„Der Westen versäumt nach wie vor – so wie Gregor Gysi, dem ich gar nicht gerne zustimme an sich –, diese Trauer um den Osten ernst zu nehmen, ohne dahinter immer gleich DDR-Nostalgie vermuten zu müssen“, sagt Feddersen, der hervorhebt, dass Begegnungen mit Ostdeutschen seine Perspektive erweiterten. Er plädiert für ein offeneres, differenziertes Miteinander. Die Folge thematisiert die Komplexität ostdeutscher Erfahrungen jenseits von Klischees und fordert mehr gegenseitiges Verständnis.
Feddersen zeigt sich überzeugt: Fehltritte und Scheitern sind Teil des Lebens. Er ermutigt zu weniger Druck und mehr Gelassenheit. „Irrt euch. Scheitert. Macht auch mal Blödsinn – das Leben ist kein gerader Weg“. Trittel wünscht sich, dass junge Menschen auf Erwachsene treffen, die ihre Fragen ernst nehmen und sie auf Augenhöhe begleiten. Nur so können alte Gräben überwunden werden.
„Mauerecho – Ost trifft West“ ist ein Podcast der taz Panter Stiftung. Er erscheint jede Woche Sonntag auf taz.de/mauerecho sowie überall, wo es Podcasts gibt. Besonderen Dank gilt unserem Tonmeister Daniel Fromm.
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