piwik no script img

„Unser Rückstand ist eklatant“

Die Pflicht verhauen, mit der Kür noch nicht mal angefangen – Netzaktivistin Anke Domscheit-Berg nimmt die Digitalisierung in Deutschland auseinander. Und macht Vorschläge, wie eine bessere Verwaltung aussehen könnte

Interview Svenja Bergt

taz: Frau Domscheit-Berg, welche Note vergeben Sie für die Digitalisierung in Deutschland?

Anke Domscheit-Berg: Eine „Vier minus“. Eigentlich „Mangelhaft“.

taz: Durchgefallen also. Warum?

Domscheit-Berg: Bei fast jedem Aspekt, den man sich zur Digitalisierung anschaut, sind wir richtig mies: Die digitale Verwaltung ist immer noch die Ausnahme. Beim Glasfaserausbau hängt uns selbst Rumänien ab. Unsere Cybersicherheit ist vernachlässigt. Digitalkompetenz fehlt in kleinen und mittleren Unternehmen genauso wie in Schulen. Wir sind nicht digital souverän, sondern extrem abhängig von einer Handvoll männlicher Milliardäre mit fragwürdigen Werten. Besser sind wir bei Wissenschaft und Forschung, aber es fällt schwer, woanders Lichtblicke zu finden.

taz: Welches Beispiel illustriert die Situation besonders gut?

Domscheit-Berg: Der Stand unserer digitalen Infrastruktur. Ohne die geht ja eigentlich gar nichts. Weder digitale Bildung noch Verwaltung, noch Wirtschaft. Beim Glasfaserausbau gab es über mehrere Regierungen hinweg eine falsche Strategie, so falsch, dass der Europäische Rechnungshof sie als aktive Glasfaserverhinderung bezeichnet hat.

taz: Warum?

Domscheit-Berg: Einer der großen Fehler: Man glaubte, dass der Markt das schon regelt. Das hat aber dazu geführt, dass im ländlichen Raum kaum ein Unternehmen ausbauen wollte, während es in Ballungsgebieten teilweise Überausbau gibt: Da hat ein Anbieter schon eine Glasfaser gelegt – aber ein zweiter will auch, und alles wird noch mal aufgebuddelt. Die Bundesregierung nennt das Infrastrukturwettbewerb, aber das macht gar keinen Sinn. Ich lege doch auch nicht Wasserrohre im Wettbewerb. Man braucht das ja nur einmal, aber einmal in richtig, denn wie Abwasser- oder Stromanschlüsse sind auch Glasfaseranschlüsse ein natürliches Monopol und gehören zur Daseinsvorsorge. Derartige Infrastruktur gehört deshalb in öffentliche Hand.

taz: Warum bekommt Deutschland es nicht hin?

Domscheit-Berg: Ich glaube, ein entscheidender Punkt ist das erschreckende Ausmaß an digitaler Inkompetenz in den Führungsebenen. In der Wirtschaft ist das nicht ganz so ausgeprägt, aber in der Politik umso mehr – übrigens völlig unabhängig von den Farben der Regierungskoalition. Und dann nützt es auch nichts, dass sich auf mittleren Ebenen mal kompetente Abteilungsleiter oder ein fähiger Staatssekretär finden. Wenn Hausspitzen und die Regierungsspitze digitalfern sind, lassen sich kluge Digitalstrategien weder entwickeln noch durchsetzen.

taz: Jetzt haben wir mit Karsten Wildberger einen neuen Digitalminister mit entsprechender Kompetenz. Wird jetzt alles anders?

Domscheit-Berg: Also, eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, und für einen guten Digitalminister braucht es schon noch mehr als Digitalkompetenz. Da braucht es ja zum Beispiel auch Verwaltungskompetenz, um sein Haus zu managen, seine Ideen in Gesetze zu gießen und in einem föderalen Staat durchzusetzen, und die hat er nicht. Das kann man eventuell durch kompetente Leute im Team ausgleichen. Aber ob das klappt – das werden wir erst sehen. Ich würde sagen, die Chancen stehen fifty-fifty. Dazu kommt: Das Digitalministerium bündelt zwar viel digitalpolitische Verantwortung, aber halt nicht alle. Es wird Konflikte und Kompetenzgerangel geben, zumal einige Zuständigkeiten noch unklar sind. In dieser Situation bräuchte es einen digitalkompetenten Bundeskanzler, der für Rückhalt sorgt. Aber die Digitalkompetenz von Friedrich Merz halte ich für, vornehm gesagt, ausbaufähig.

Foto: von Saldern/Bundestag

Anke Domscheit-Berg, 57, ist Publizistin und Netzaktivistin. Bis März 2025 war sie Bundestagsabgeordnete und digitalpolitische Sprecherin der Linken.

taz: Worauf gründen Sie diese Einschätzung?

Domscheit-Berg: Er ist mir einfach noch nie digital kompetent aufgefallen durch irgendeine Äußerung, die mehr war als nur heiße Luft.

taz: Die landläufige Kritik an der Digitalisierung in Deutschland ist: Es geht zu langsam. Ist das berechtigt?

Domscheit-Berg: Definitiv. Bei der Digitalisierung der Verwaltung ist unser Rückstand eklatant. Und sie ist ja nichts, bei dem es einfach nur schön wäre, es zu haben. In den kommenden Jahren geht ein guter Teil der Beschäftigten im öffentlichen Dienst in Rente. Bis dahin müssen wir die Prozesse so viel schneller machen und den Aufwand so weit reduzieren, dass nicht alles zusammenbricht. Und natürlich erwarten auch Bür­ge­r:in­nen staatliche Dienste, die nicht aus der Zeit gefallen, sondern schnell, digital und nutzerfreundlich sind. Dazu braucht es messbare und sinnvolle Ziele.

taz: Was wäre eine gute Strategie?

Domscheit-Berg: Man könnte zum Beispiel mit den zehn am häufigsten genutzten Verwaltungsdienstleistungen anfangen, sie einfach und schnell digital verfügbar machen und nutzerfreundliche Ziele festlegen: Die ­Online-Kfz-Zulassung dauert nicht länger als fünf Minuten; Personalausweis beantragen geht in zehn Minuten, und 14 Tage später flattert er per Post ins Haus. Solche Ziele sind sinnvoll, man kann sie messen, und jeder hat etwas davon. Die bisherige Strategie, 575 Verwaltungsdienstleistungen so zu digitalisieren, dass man einen Antrag nur hochladen kann, statt ihn per Post zu schicken, das ist doch lächerlich. Wer das als Erfolg feiert, wie beim Online-Bafög, lügt sich nur selbst in die Tasche.

taz: Ist Ihr Vorschlag innerhalb einer Legislatur zu schaffen?

Domscheit-Berg: Ja, absolut. Es gibt noch eine kleine verfassungsrechtliche Hürde, weil die Umsetzung vieler Dienstleistungen auf kommunaler Ebene angesiedelt ist, auch wenn die gesetzliche Grundlage vom Bund kommt. Deshalb muss man das Grundgesetz so ändern, dass der Bund auch die Ausführung für alle machen kann. Aber das steht im Koalitionsvertrag ohnehin schon drin. Am Ende sollten wir dann ein einziges Portal haben, in das ich mich einloggen und zum Beispiel meine Kfz-Zulassung machen oder einen neuen Pass beantragen kann, unabhängig davon, ob ich in Rostock oder in München wohne.

taz: Wenn es heißt, wir brauchen mehr und schnellere Digitalisierung, dann gibt es auch immer Leute, die dabei zusammenzucken. 2,8 Millionen Menschen in Deutschland nutzen das Internet gar nicht und viele nur sehr selektiv. Wie sollte ein Digitalministerium damit umgehen?

Zu Hause kann es so aus­sehen. Aber für die Amtsstube gelten andere Anforderungen Foto: Lubitz + Dorner/plainpicture

Domscheit-Berg: Jedenfalls nicht so, wie es Schwarz-Rot plant: Im Koalitionsvertrag festgelegt ist nämlich ein Digitalzwang. Bestimmte staatliche Dienstleistungen sollen perspektivisch ausschließlich digital nutzbar sein. Dabei gibt es viele gute Gründe, sich bestimmten digitalen Prozessen zu verweigern. Zum Beispiel weil man sich gut mit IT-Sicherheit auskennt. Im jüngsten Bericht des Bundesrechnungshofs bekam der Bund für seine Cybersicherheit ein „Ungenügend“. Manche Menschen sind auch offline, weil sie sich digitale Endgeräte oder Internetzugänge schlicht nicht leisten können oder mit der Bedienung überfordert sind oder weil es an Barrierefreiheit mangelt.

taz: Im Koalitionsvertrag ist von Hilfen die Rede …

Domscheit-Berg: Das glaubt doch keiner. Ich wohne hier am äußersten Rand von Brandenburg im sehr ländlichen Raum. Hier kommt einmal die Woche ein Fleischerauto vorbei. Niemals im Leben wird hier einmal die Woche ein digitaler Verwaltungsbus auftauchen mit kompetenten Menschen, die Hilfestellung geben.

taz: Das heißt, wir brauchen ein Recht auf analoges Leben?

Domscheit-Berg: Ja, deshalb hatte ich als Bundestagsabgeordnete ein Offlinezugangsgesetz gefordert. Denn wenn ich nicht online einkaufen will, mache ich das eben im Laden. Aber wenn ich meinen Ausweis verlängern will, habe ich keine Alternative zum Staat. Wahlfreiheit ist daher auch Sicherung der Teilhabe für alle. Sämtliche analogen Wege abzuschaffen, ist eine wirklich schlechte Idee.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen