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Antifa-Demo in BerlinAntifa schaut nach den Rechten

Zwischen Plattenbau und Polizeischutz beweisen Ak­ti­vis­t:in­nen am Freitag im Berliner Bezirk Marzahn: Der Osten gehört nicht den Rechten – sondern denen, die Haltung zeigen.

Auch in der Platte sind Nazis unerwünscht Foto: Annika Reiß/taz

Berlin taz | Verlässt man das Berliner Zentrum, verlässt man auch die Orte, an denen die Menschen, die gegen Rechts sind, die Progressiven und die An­ti­fa­schis­t:in­nen zahlenmäßig in der Mehrheit sind. Das zumindest könnte man meinen, wenn man sich etwa die Wahlergebnisse der letzten Bundestagswahl ansieht. Genau deswegen hat die Gruppe „Jugend Antifa Platte Marzahn-Hellersdorf“ an diesem Freitag zum dritten Mal zu einer Demo aufgerufen. Unter dem Motto „Nach den Rechten schauen“ wollen sie nach eigenen Angaben zeigen, dass der Osten Berlins nicht den rechten Jugendgruppen, den Neonazis und der AfD gehört und sie sich für eine antifaschistische, feministische und queere Jugendkultur in dem Bezirk einsetzen wollen.

Es ist voller als die letzten Male. Etwa 150 Menschen haben sich an diesem verregneten Freitag vor dem S-Bahnhof Marzahn versammelt. In schwarzen Regenjacken, Kapuzen auf und Maske vor Mund und Nase lauschen sie einem Redebeitrag von Fridays for Future. Auf dem Frontbanner der Demo steht „Nazis aus der Platte jagen“.

Während sich der Bahnhofsvorplatz füllt, kann man Zeu­g:in skurriler Szenen werden. Drei Ak­ti­vis­t:in­nen stehen abseits und geben unter anderem FFP2-Masken an die anderen Aktivisti aus. Sie verdecken dabei ihre Gesichter mit Regenschirmen, denn eine Frau versucht, sie in aggressiver Weise zu filmen, wohl um ihre Identität offenzulegen. Es gelingt ihr nicht.

Ein weiterer, ebenfalls zunächst penetranter Filmer unterbricht sein Streaming der Demoteilnehmer:innen, um augenscheinlich einen ihm Gleichgesinnten zu interviewen. Dieser trägt einen Hoodie mit Deutschlandfahne, auf dem „Ich liebe Deutschland“ steht. Als die Demo losläuft und unter anderem „Von der Platte für die Platte – ANTIFA!“ ruft, nähert er sich immer wieder dem Demoblock und versucht ebenfalls Gesichter zu filmen. Er wird ab da von zehn Po­li­zei­be­am­t:in­nen betreut und von der Demo abgeschirmt.

Die Nachricht, wo an welcher Straßenecke Gruppen stehen, von denen man nur vermuten kann, dass es rechte De­mo­geg­ne­r:in­nen sind, verbreitet sich im Block jedes Mal wie ein Lauffeuer. Die Ak­ti­vis­t:in­nen scheinen wachsam zu sein. Denn wozu Neurechte bereit sind, zeigte sich immerhin im Rahmen der letzten „Nach den Rechten schauen“-Demo. Kurz vor deren Beginn griffen etwa 15 bis 20 Neonazis eine Gruppe An­ti­fa­schis­t:in­nen an, die sich am Ostkreuz versammelt hatten, um gemeinsam und damit geschützter nach Marzahn-Hellersdorf anzureisen. Mehrere Menschen wurden dabei verletzt, zwei Betroffene wurden danach im Krankenhaus behandelt. Die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen teilten nach dem Angriff mit, dass die Tä­te­r:in­nen vermutlich der rechten Partei „Der dritte Weg“ sowie dessen Jugendorganisation angehörten.

Es zeigt sich immer häufiger: Wer im linkeren Kern der Stadt lebt, lebt oftmals auch sicherer.

Das Berliner Register – eine Initiative, die Meldungen rechter und diskriminierender Gewalt entgegennimmt und dokumentiert – registrierte für das Jahr 2023 allein 531 „extrem rechte oder diskriminierende Vorfälle“ in Marzahn-Hellersdorf. Das sind 45 Prozent mehr registrierte Fälle als im Jahr davor. Wenn man bedenkt, dass nicht alle Vorfälle, die geschehen, auch gemeldet werden, könnte die Dunkelziffer durchaus noch höher ausfallen. Der Bezirk liegt damit weit über dem Berliner Durchschnitt, der bei rund 386 Vorfällen liegt.

„Schiss ham se, schön vermummt alle.“ Sagt eine Passantin als die diesjährige Demo auf der Allee der Kosmonauten an ihr vorbeizieht. Sie ist nicht die einzige, die das Motto der De­mons­tran­t:in­nen wohl nicht teilt. Vereinzelte Pöb­le­r:in­nen, teils mit Bierflasche in der Hand, rufen immer wieder Sprüche wie „Haut ab“.

Eva A. Kommt aus Marzahn. Sie ist bei der Zwischenkundgebung zur Demo dazugestoßen. „Ich wohne gleich da drüben.“ Sie zeigt auf den Plattenbau gegenüber. „Es ist toll, dass die Demo hier ist.“ Auch dass viele Menschen aus dem Berliner Zentrum heute nach Marzahn gekommen sind, findet sie super. Doch: „Es müssten eigentlich noch viel mehr sein!“

Paul M. ist eigentlich nur zu Besuch in Berlin. Der Schweizer habe sich heute spontan der Demo angeschlossen, weil er sich solidarisieren möchte. „Klar, ich bin auch zuhause links organisiert“, aber wie anders das politische Klima in den Berliner Ostbezirken im Vergleich zu anderen Stadtteilen sei, sei ihm erst heute klar geworden.

Immerhin. Ein wirklicher rechter Gegenprotest blieb aus. Die zwei, drei Gruppen von Gegner:innen, die aus sicherer Entfernung die Demo beobachteten, und vereinzelte Pöbler, manchmal mit und manchmal ohne Bierflasche in der Hand, kann man wohl noch nicht als solchen bezeichnen.

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