Die Wahrheit: Fesselnde Konfrontation
Im Monolog mit Schwerverbrechern: Was macht eine gute Gefährder-Ansprache aus? Und warum wird sie nur selten in Gedichtform der Klientel nahegebracht?
Ansprachen sind von Haus aus ein schweres Unterfangen, doch die Königsdisziplin aller schwierigen Ansprachen ist zweifellos die Gefährder-Ansprache. Gefährder sind Menschen, die mit einem Bein im Gefängnis stehen und mit dem anderen im Schlafzimmer. Man nennt sie deshalb auch „Schläfer“. Doch wehe, wenn sie aufwachen, dann wird der Gefährder zur Gefahr.
Dagegen hilft nur eine gute Gefährder-Ansprache, die dafür sorgt, dass der erwachende Schlaftäter nicht zum Straftäter wird. Die Gefährder-Ansprache ist sicherlich die intimste Form der Ansprache, denn anstelle einer größeren Zuhörerschaft hat sie nur einen Zuhörer, es handelt sich quasi um einen Monolog unter vier Augen. Dabei hat der Gefährder selbstverständlich zu schweigen, schließlich ist das Ganze ja keine Gefährder-Aussprache.
Aber was ist nun eigentlich genau eine Gefährder-Ansprache? Der Gesetzgeber nennt eine Gefährder-Ansprache trocken „einen mündlich vorgetragenen Unterlassungswunsch“, angesprochene Gefährder sprechen eher von „nervendem Gelaber“. Allerdings „entfaltet eine Gefährder-Ansprache keine Bindungswirkung“, mit anderen Worten, der Gefährder muss sich nicht daran halten. Aber das muss man ihm ja nicht gerade erzählen in der Ansprache.
So „ein konfrontatives Gespräch“ wird laut MDR aktuell meist unangekündigt geführt und bezieht seine eigene Spannung aus dem Überraschungsmoment. Kann man so eine Ansprache ablehnen? Ja schon, aber eine gute Gefährder-Ansprache ist schon vorbei, ehe der Gefährder dreimal „Ablehnung“ gerufen hat. Höflich wäre eine Ablehnung auch nicht, schließlich hört man ja zu, wenn man angesprochen wird. Hört der Gefährder partout nicht zu, kann die Polizei auch auf der Arbeit aufkreuzen oder den Gefährder peinlicherweise vor seiner Familie zutakten.
Lehrer und Schüler
Irgendwie erinnert das alles an die Situation in der Schule, wo der Lehrer ja auch auf eine uninteressierte und ablehnende Zuhörerschaft trifft. Und die Schüler können ja ebenfalls die Ansprache genau so wenig ablehnen wie der Gefährder. Da heißt es dann, den Kopf nicht in den Sand zu stecken und die Zuhörerschaft mit guten Worten zu fesseln.
Fesseln? Ist das bei einer Gefährder-Ansprache etwa erlaubt? Verbales Fesseln ja, Handschellen anlegen dagegen eher nicht, man sollte so einer Ansprache nicht den Zauber der unbeschwerten Zwanglosigkeit nehmen. Dazu sollte der Ansprecher auch ein passendes Ambiente suchen, anders gesagt, unruhige Menschenaufläufe eher meiden und zur Ansprache diskrete Örtlichkeiten wie Séparées oder Gebüsch aufsuchen.
Von der Form her ist man von der anspruchsvoll gereimten Gefährder-Ansprache abge-kommen („Hör auf mit dem Gefährden, sonst muss ich böse werden“). Zu selten wurde die Ansprache in Gedichtform von der Klientel der Angesprochenen wertgeschätzt, zu häufig war höhnisches Gelächter die kränkende Resonanz.
Doch wer kommt überhaupt in den wenig gewürdigten Genuss einer Gefährder-Ansprache? Dazu muss jemand schon „Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen im Sinne des § 100a der Strafprozessordnung“! Da reicht das gewöhnliche Pöbeln, Meckern und Unruhestiften nicht. Für solche kleinen Missetäter wird noch nicht einmal das Ordnungsamt für mahnende Worte bemüht.
Es sollte sich also schon um Personen handeln, die mindestens das Grüne Gewölbe geplündert haben oder unsere Ordnungshüter anderweitig gründlich enttäuscht haben.
Doch Vorsicht, so eine Gefährder-Ansprache kann auch dazu führen, dass der Angesprochene sich in seinem Treiben bestätigt fühlt und womöglich stolz ist auf seine Ansprache. Da reicht dann auch mal ein strenger Blick oder ein drohender Zeigefinger als Warnung anstelle einer langen Ansprache. Hauptsache, unser Pappenheimer weiß Bescheid!
Und ein ganz klein wenig sollten wir auch immer dem viel geschmähten Gefährder dankbar sein, denn schließlich verdanken wir ihm ja das vielschichtige Genre der Gefährder-Ansprache!
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