Hunger im Gazastreifen: Dystopische Zustände
Die Lage in Gaza spitzt sich weiter zu. Laut UN starben mehr als 1.000 Menschen auf dem Weg zu Verteilzentren. Hilfsorganisationen schlagen Alarm.

Das ausdrucksstarke Bild, das an eine dystopische Madonna mit Kind erinnert, hat ein Fotograf aus Gaza geschossen, Ahmed Jihad Ibrahim al-Arini. Der US-Sender CNN hat es veröffentlicht. Zusammen mit einem Artikel über die jüngste Warnung von mehr als 100 Menschenrechtsorganisationen vor den katastrophalen Auswirkungen der aktuellen Lebensmittelknappheit im Gazastreifen.
„Während sich Massenhunger in Gaza ausbreitet, siechen unsere Kollegen und diejenigen, die wir betreuen, dahin“, schreibt die internationale NGO Ärzte ohne Grenzen auf ihrer Webseite. „Während die Blockade der israelischen Regierung die Menschen in Gaza, Palästina, aushungert, stellen sich Helfer in denselben Warteschlangen bei Essensausgabestellen an und riskieren, angeschossen zu werden, nur um ihre Familien zu ernähren. Mit komplett aufgebrauchten Vorräten erleben humanitäre Organisationen, wie ihre eigenen Kollegen und Partner vor ihren Augen dahinschwinden.“
Nach einer fast dreimonatigen Blockade jeglicher Hilfslieferung in den Gazastreifen durch Israel hatte vor zwei Monaten die von den USA und Israel unterstützte Gaza Humanitarian Foundation (GHF) die Lebensmittelverteilung in Gaza übernommen. Seit ihrer Öffnung sind nach Angaben der UNO mehr als 1.000 Menschen auf dem Weg zu ihren vier Verteilstellen und auf Hilfsrouten erschossen worden, oft anscheinend vom israelischen Militär. Menschenrechtsorganisationen werfen der israelischen Regierung vor, Hunger als Waffe in Gaza zu nutzen – ein Kriegsverbrechen.
Drei US-Dollar für eine Windel
Der Sprecher der israelischen Regierung David Mencer sagte am Mittwoch in einem Interview mit Skynews, es gebe derzeit keine durch Israel verursachte Hungernot in Gaza. Es gebe eine menschengemachte Knappheit, doch die Hamas sei dafür verantwortlich. Sie blockiere die Verteilung und plündere Hilfslastkraftwagen. Er warf den Vereinten Nationen ebenfalls vor, ihre Lkws nicht abzuholen, und nannte sie „inkompetent“.
Laut dem Welternährungsprogramm der UN steht ein Viertel der Bevölkerung in Gaza vor „hungersnotähnlichen Zuständen“. Fast 100.000 Frauen und Kinder litten unter akuter Mangelernährung. Ein Sack Linsen und Mehl koste teilweise 200 US-Dollar, Windel für Kinder etwa drei US-Dollar pro Stück, so die UNRWA-Medienreferentin Juliette Touma. Augenzeugen aus Gaza sprachen kürzlich gegenüber der taz ebenfalls von 16 Dollar für ein Kilo Mehl, das wären 400 Dollar für einen großen 25-Kilo-Sack.
Jüngst hat eine Massenvertreibung der Palästinenser*innen im Gazastreifen ebenfalls für Kontroversen gesorgt. Das israelische Militär erließ am Sonntag zum ersten Mal eine Evakuationsaufforderung für die Stadt Deir al-Balah in Zentralgaza. Davon betroffen waren bis zu 80.000 Menschen.
Auch in Israel sind Aktivist*innen über Israels Vorgehen in Gaza zunehmend empört. Zum zehnten Mal hat das Oberste Zivilgericht in Israel am Dienstag die Frist für eine Antwort der Regierung auf eine Petition der israelischen Menschenrechtsorganisation Gisha verschoben. Diese fordert, dass die Regierung die Versorgung der Palästinenser*innen mit einer konsistenten Lieferung von Hilfsgütern sichert.
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