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Mord an Emil Wendland in BrandenburgAus der Vergangenheit nichts gelernt

Während eine Initiative dem vor 33-Jahren getöteten Obdachlosen gedenkt, sollen der Gewaltprävention in Brandenburg die Mittel gekürzt werden.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier legt zusammen mit Nico Ruhle (SPD), Bürgermeister der Stadt Neuruppin Blumen nieder Foto: dpa | Bernd von Jutrczenka

Neuruppin taz | Emil Wendland war 50 Jahre alt, als er sterben musste. In der DDR arbeitet er als Lehrer und später als Leiter einer Molkerei-Verkaufsstelle. In den 1980er Jahren wurde er schwer alkoholkrank, nach der Wende übernachtet er immer öfter auf Bänken im Freien, weil er es nicht mehr schafft, nach Hause zu kommen. Das wird Wendland zum Verhängnis.

In der Nacht zum 1. Juli 1992 wollen die örtlichen Neonazi-Skinheads Jagd auf Wohnungslose machen. Im kleinen Rosengarten im Zentrum von Neuruppin finden sie den volltrunkenen Emil Wendland, schlafend auf einer Parkbank. Sie misshandeln ihn brutal und verletzen ihn lebensgefährlich. Schließlich ersticht ihn einer der Nazis mit einem Messer.

Seit 2022 ist in Neuruppin ein kleiner Platz nach Wendland benannt. Jährlich finden am Tag und Ort seiner Ermordung, dem Rosengarten, Gedenkveranstaltungen statt. So auch an diesem ersten Julitag, an dem sich rund 30 Menschen vor einer kleinen Bühne neben der Gedenkstele für Wendland zusammenfinden.

„Sein Tod war kein Zufall, kein tragischer Einzelfall. Er war und ist Teil einer langen Kontinuität rechter Gewalt in diesem Land“, sagt Leona Finke (Nachname geändert) von der Gedenkinitiative Emil Wendland. Rechte Gewalt sei „kein Randphänomen“, sondern „Realität in der sogenannten Mitte dieser Gesellschaft“.

Sozialdarwinistischer Hass

Ihre Rede ist kämpferisch: „Wer nicht in das Bild von Leistung, Anpassung und Nützlichkeit passt, wird entmenschlicht. Genau dieses Denken tötet. Es war sozialdarwinistischer Hass, der Emil Wendland das Leben kostete. Er war nicht das erste Opfer dieser Ideologie und wird auch nicht das letzte bleiben“, sagt sie.

Die Gedenkinitiative Emil Wendland wurde fast 20 Jahre nach dessen Tod von jungen Menschen aus dem Umfeld des Jugendwohnprojekts Mittendrin gegründet. Sie beschäftigt sich mit rechter Gewalt, Wohnungslosigkeit und sozialer Ausgrenzung – Themen, die mit dem Mord an Emil Wendland untrennbar verbunden sind.

„Obdachlosigkeit ist kein Schicksal, sondern Ausdruck sozialer Ausgrenzung im Kapitalismus“, betonte die Gruppe bei ihrer Gründung. Zehn Jahre lang setzten sich die Jugendlichen dafür ein, dass ein Platz nach Wendland benannt wird. Letztlich mit Erfolg.

Neben der Gedenkstele im Rosengarten liegt heute auch ein Kranz des Bundespräsidenten. Tatsächlich war hier nur wenige Stunden vor der Gedenkveranstaltung Frank-Walter Steinmeier mit dem Neuruppiner Bürgermeister Nico Ruhle (SPD) aufgetaucht, um an Wendland zu erinnern.

Wichtiges Signal

Die Gedenkinitiative begrüßt das als „wichtiges Signal“ – kritisiert aber, sie habe von dem Besuch aus der Presse erfahren und sei nicht eingeladen worden. Insgesamt findet es Leona Finke von der Initiative aber doch gut, dass „höchste politische Vertreter öffentlichkeitswirksam an einem Gedenkort erscheinen, der nur durch den langen Atem junger Menschen und unserer Initiative überhaupt existiert“.

Die Jugendgruppe durfte auch den Text auf der 2012 errichteten Gedenkstele formulieren. Wurmen tut die Initiative jedoch, dass zwei Sätze aus dem Vorschlag gestrichen wurden: „Die Tatsache, dass Menschen auf der Straße leben müssen, während Häuser leer stehen, ist ein Beweis für die soziale Kälte dieser Gesellschaft. Es liegt an jeder und jedem von uns, für eine menschenwürdige Welt einzutreten.“

Für die Ak­ti­vis­t:in­nen ist die Kürzung ein weiteres Indiz für die Entpolitisierung von solchen Gewalttaten. Sie kritisierten, dass Ermittlungen zum Tod von Wendland verschleppt worden seien und dass in solchen Fällen Betroffene allein gelassen werden – während die Täter oft mit milden Strafen davonkommen. „Umso mehr braucht es eine Zivilgesellschaft, die hinschaut“, so Finke in ihrer Rede.

Weniger Opferperspektive?

Doch genau diese kritische Zivilgesellschaft ist in Brandenburg in Zeiten rigoroser Sparpolitik gefährdet. Was verloren zu gehen droht, lässt sich gleich nebenan erahnen, im ehemaligen Alten Gymnasium. Hier ist an diesem Tag die Wanderausstellung „Kein schöner Land“ zu sehen. Sie erinnert an das Schicksal von 23 Menschen, die in Brandenburg in Folge rechter, rassistischer und sozialdarwinistischer Gewalt ums Leben gekommen sind.

23 Morde zwischen 1990 und 2007, Zeugnisse grauenhafter Gewalttaten und von der Gefühlskälte der Täter, Beispiele für unwillige Polizeiermittlungen und das Wegschauen der Gesellschaft. Die Wanderausstellung wurde vom Verein Opferperspektive erstellt, der Betroffene von rechter Gewalt und rassistischer Diskriminierung berät und Aufklärungsarbeit leistet.

Doch die Opferperspektive muss um ihre Finanzierung bangen. Die Förderung ihrer Antidiskriminierungsberatung wurde bisher zu 90 Prozent aus Bundesmitteln finanziert. Die laufen zum Januar 2026 aus – und sollte dann eigentlich in die Förderung des Landes Brandenburg übergehen. Doch im Haushalt der Regierungskoalition seien bisher keine Gelder für die Fortführung der Antidiskriminierungsberatung eingestellt worden, so der Verein.

Gefördert werden soll künftig nach dem aktuellen Stand nur noch die Gewaltopferberatung des Vereins. Denn die ist Teil des Handlungskonzepts „Tolerantes Brandenburg“ der Landesregierung zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und zur Stärkung der Demokratie. Diese Struktur werde „natürlich weitergeführt und gefördert“, versichert Alfred Roos, Leiter der Koordinierungsstelle in der Staatskanzlei des Landes Brandenburg.

Fatales Zeichen

Doch auch die Opferberatung sei auf dem aktuellen Stand der Finanzierung eingefroren worden, beschwert sich die Initiative. Angesichts steigender Kosten und wachsender Nachfrage komme dies einer faktischen Kürzung gleich. Sie befürchtet daher das Aus für ihre Arbeit.

Dass Beratungsstellen wie die Opferperspektive ausgerechnet jetzt um ihre Existenz bangen müssten, sei ein fatales Zeichen, findet auch Finke: „Wenn sie wegfallen, stehen Betroffene erneut allein da“. Unabhängige Initiativen und Beratungsstellen würden die Lücken füllen, die der Staat hinterlasse. „Wir fordern, Gedenken und politische Aufklärung noch stärker in die Öffentlichkeit zu tragen. Rechte Gewalt wird noch immer verharmlost, entpolitisiert oder als Randphänomen abgetan.“

Dass die rechte Szene erstarkt, ist für Finke unstrittig: „Wir beobachten mit großer Sorge, dass auch in Neuruppin und der Region rassistische, rechte und queerfeindliche Übergriffe zunehmen – sowohl in ihrer Häufigkeit als auch in ihrer Offenheit. Die Hemmschwelle sinkt.“

Auch Hannes Püschel von der Opferperspektive, der am Tag des Gedenkens nach Neuruppin gekommen ist, beobachtet „das Entstehen einer neuen rechtsradikalen Jugendbewegung, die vor allem durch Angriffe auf politische Geg­ne­r:in­nen auffällt“.

Feindbild Queers

Ein besonderes Feindbild dieser Bewegung sei die queere Jugendszene, die nicht nur für ein anderes Geschlechterverhältnis stehe, sondern auch als nicht-rechte Jugendkultur angegriffen werde, so Püschel. „Im Gegensatz zu den frühen 90er Jahren finden diese Angriffe nicht in pogromartiger Atmosphäre wie in Rostock oder Hoyerswerda statt, auch sehen wir bisher zum Glück keine Morde aus dieser neuen rechten Jugendszene. Dafür inszeniert sich diese stark medial“, sagt Püschel.

Was dagegen getan werden könne? Man müsse der militanten rechten Jugendszene „schnell und effektiv“ Grenzen setzen, findet Püschel. Andererseits müssten nicht-rechte Jugendkulturen geschützt und unterstützt werden. „Dazu gehört auch, dass es Räume geben muss, in denen gesellschaftspolitische Kontroversen geführt werden können, ohne dass dies rechtsradikal vereinnahmt wird.“

Dass die neuen Rechten präsenter werden, zeigt sich schon auf dem Rückweg. Am Bahnhof wartet ein jugendlicher Skinhead mit einem unauffälligen Bekannten auf einen verspäteten Zug.

Er sagt nichts, aber trägt Hosenträger in den Reichsfarben Schwarz-Weiß-Rot.

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