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Skandal um Sevillas MarienstatueDie entstellte Jungfrau

Die Macarena ist Spaniens bekannteste Kirchenstatue. Ihre Renovierung hat sie entstellt. Man habe ihr das Leben genommen, meinen selbst Ungläubige.

Die Statue der Macarena vor ihrer Restaurierung Foto: Jose Manuel Vidal/epa

Madrid taz | Endlich ist sie in guten Händen. Am Mittwoch wurde die wohl bekannteste Kirchenstatue Spaniens, die María Santísima de la Esperanza Macarena Coronada aus Sevilla, an das Andalusische Institut für Historisches Erbe überstellt. Hinter ihr liegen zwei Wochen voller Unsicherheit, Pfusch und Skandalen.

Alles begann am 21. Juni mit einer Ankündigung der Bruderschaft der Macarena, dem 17.000 Mitglieder zählenden Verein, der die Prozessionen am Karfreitag organisiert, bei der die Heilige Jungfrau, Jahr für Jahr unter den Augen von Zehntausenden Gläubigen durch die Straßen der andalusischen Stadt getragen wird. Stolz erklärte die Bruderschaft in einem Kommuniqué, dass die Statue nach drei-tägiger „Konservierungsarbeiten“ wieder in ihrer Kirche am Hochaltar zur Schau gestellt werde. Die Erwartungen waren groß.

Und dann das: Die Gläubigen staunten nicht schlecht, als sie das Ergebnis des Eingriffes sahen. Der Teint war deutlich aufgehellt, die Augen strahlten, wie nie zuvor. Statt mit Trauer im Gesicht wirkte die Muttergottes trotz Tränen unter den Augen fast schon heiter. Riesige Wimpern ließen sie ausschauen, als habe sie sich für einen Diskothekbesuch aufgebrezelt. Die Bilder gingen wie ein Lauffeuer durch die Netzwerke. Der Aufschrei ließ nicht auf sich warten.

„Als ich die Fotos sah, glaubte ich, es handle sich um einen mit Künstlicher Intelligenz hergestellter Spaß“, war auf dem Kurznachrichtendienst X zu lesen. Von Pfusch, Ungeheuerlichkeit und Zumutung war die Rede. „Guapa, guapa y guapa“ – „hübsch, hübsch und hübsch“ rufen sie ihr auf der Prozession zu, aber das, was der Restaurator gemacht hatte, war dann doch zu viel.

Es ist ein Skandal für die frommen und auch nicht so frommen Anhänger der Macarena – einer Figur, die nicht nur für den Glauben steht, sondern für auch Regionalpatriotismus und Verbundenheit zu Sevilla. „Die Bruderschaft versteht und teilt die Sorgen der Brüder und der Gläubigen. Deshalb hat sie mit Sorgfalt und von technischem Kriterien geleitet gehandelt, um die nicht gewollten ästhetischen Beeinträchtigungen zu beheben“, entschuldigte sich die Bruderschaft in einem Kommuniqué und schickte die Marienstatue – förmlich über Nacht – zu zwei weitere Schnelleingriffe in der Werkstatt. Kurz darauf wurde sie mit kürzeren Wimpern wieder ausgestellt.

Die kritischen Stimmen jedoch brachten auch diese Notoperationen nicht zum Verstummen. Ganz im Gegenteil: „Sie sagen, das alles wegen ein paar Wimpern. Nein, es liegt nicht an einem Paar Wimpern, sondern an dem Blick, in dem die Gebete deiner Eltern, deine intimsten Erinnerungen, deine Gefühle und deine Kindheit ruhen“, erklärt die Charo Padilla, Journalistin und einzige Frau, die bisher die Eröffnungsrede zur Karwoche in Sevilla gehalten hat, was viele in Sevilla beim Anblick der Macarena empfinden.

Spontane Kundgebung

„Sie haben das beschädigt, was wir am meisten lieben. Jetzt müssen wir mehr denn je diese Liebe zeigen und verlangen, dass sie Verantwortung übernehmen“, wurde in den sozialen Medien zu einer spontanen Kundgebung vor der Kirche aufgerufen wurde. Hunderte fanden sich ein und verlangten den Rücktritt des Vorstandes der Bruderschaft.

Die Statue der Macarena ist eine Schnitzerei aus dem 17. Jahrhundert unbekannter Herkunft. Sie wurde 1964 kanonisch gekrönt und in Anwesenheit des spanischen Diktators, des „Generalissimus“ Francisco Franco, seiner Frau und Tochter dort in im Hauptaltar aufgestellt, wo sie sich bis heute befindet. Es war eines der letzten zeremoniellen Großereignisse des spanischen Nationalkatholizismus der Francozeit. 1971 verlieh ihr der franquistische Bürgermeister der Stadt, Juan Fernández Rodríguez, die Goldmedaille von Sevilla, und 2024 ehrte sie Papst Franziskus.

„Ein Eingriff an der Jungfrau Macarena vorzunehmen, ist wie ein Eingriff am Wesen Sevillas“, erklärt María Fidalgo, Doktorin der Kunstgeschichte an der Universität Sevilla und Mitglied der Andalusischen Akademie für Geschichte gegenüber der spanischen Presse. „Sie haben ihr Gesicht völlig verändert“, fügt sie hinzu. „Der Vorsitzende der Bruderschaft muss Harakiri begehen und zurücktreten“, urteilt die Wissenschaftlerin. Doch dieser harrt aus. Nur der für die Bewahrung des kulturellen Erbes zuständige Bruder hängte bisher Soutane und Spitzhut an den Nagel.

Das, was die Bruderschaft „Konservierung und Instandhaltung nennt, begann im Mai 2024. Damals beauftragte der Verein den 85-jährigen Professor Francisco Arquillo Torres, der in jüngeren Jahren wichtige Kunstwerke bekannter spanischer Maler wie Goya und Picasso restaurierte mit einer Studie über den Zustand ihrer der Macarena. Er kündigte die Entfernung eines Flecks auf dem Gewand der Heiligen Jungfrau sowie Reinigungsarbeiten an Gesicht und Händen, an. Und genau hier liegt für die Fachwelt das Problem.

„Die Reinigung des polychromen Anstrichs ist viel mehr als nur eine Konservierung“, kritisiert Pedro Manzano die Arbeiten an der Staue. „Wenn man ein Bild reinigt, ist das gleichzeitig auch Restaurierung, und das erfordert mehr als eine Woche Arbeit“, fügt der Spezialist für Konservierung und Restaurierung von Kirchenkunst hinzu. Wie die meisten seiner Kollegen kann er nicht verstehen, wie so etwas in drei Tagen gemacht wird. Normal seien für solche Arbeiten Monate.

Dazu hätte eine ausführliche Untersuchung vorgenommen werden müsse. Es bedarf außerdem einer Genehmigung durch die Denkmalbehörde und das Erzbistum sowie die Bildung eines technischen Fachausschusses zur Überwachung des gesamten Restaurierungsprozesses. Genau das steht jetzt wohl bevor. Nach einer ersten Untersuchung im Andalusischen Institut für Historisches Erbe ist die María Santísima de la Esperanza Macarena Coronada wieder zurück in ihrer Kirche und wartet dort auf eine endgültige langwierige – und hoffentlich bessere – Restaurierung. Der Statue stehen bewegte Zeiten bevor.

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1 Kommentar

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  • Ist eher was für das "Goldene Blatt" et al. Was soll das in der taz?

    By the way: Wenn ich schon sowas lese, möchte ich gerne auch visuell ins Thema kommen: Warum ist das Titelfoto kein Vorher-Nachher?