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Forscherin über Genderbias im Fußball„Ein Schema funktioniert nie für alle“

Fußballerinnen haben andere Trainingsbedürfnisse als Fußballer. Für die fehlen jedoch oft Ressourcen, auch bei der Forschung ist noch Luft nach oben.

Für Verletzungen am Knie sind Fußballerinnen wie Giulia Gwinn anfälliger als ihre männlichen Kollegen Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa
Marie Gogoll
Interview von Marie Gogoll

taz: Frau Shakalio, Fußball ist doch Fußball – warum sollten Frauen anders trainieren als Männer?

Saba Shakalio: Frauen sind anatomisch und hormonell anders als Männer und haben andere körperliche Bedürfnisse. Deshalb ist es wichtig, geschlechterspezifisch zu trainieren. Ein Trainingsplan sollte aber auch unabhängig vom Geschlecht ohnehin immer so individuell wie möglich sein. Ein Schema funktioniert nie für alle. Technik und Taktik trainiert das Team natürlich gemeinsam, aber die Athletikeinheiten nicht. So lassen sich Schwächen gezielt verbessern, denn bei einer fehlt die Kraft, bei der anderen die Ausdauer.

taz: Berücksichtigen Frauenfußballvereine diese Unterschiede, oder kopieren sie die Trainingspläne von Männerteams?

Shakalio: Das kann ich im Detail nicht beantworten. Aber ich weiß, dass geschlechtsspezifische physiologische Unterschiede sowohl in der Physio- und Trainerausbildung als auch dem Studium der Sportwissenschaften quasi nicht vorkommen.

Bild: privat
Im Interview: Saba Shakalio

ist Athletiktrainerin und Sportwissenschaftlerin. Bis Sommer 2024 war sie Teil des Trai­ne­r:in­nen­teams der Frauenfußballmannschaft des FC St. Pauli in der Regionalliga Nord. Aktuell promoviert Shakalio an der Universität Wuppertal zum Thema Menstruationszyklus und Leistungssport.

taz: Bieten die Strukturen im deutschen Frauenfußball denn überhaupt die Voraussetzungen, individuelles Training umzusetzen?

Shakalio: Die Vereine in der ersten Bundesliga machen das schon. Die haben Athletikteams und regelmäßige Leistungsdiagnosen. Ich weiß nicht, ob das bei vielen Vereinen der zweiten Bundesliga der Fall ist. In allen niedrigeren Spielklassen sind die Voraussetzungen jedenfalls nicht gegeben.

taz: Was sind die Konsequenzen?

Shakalio: Wenn Spielerinnen nicht ganzheitlich trainieren, verletzen sie sich schneller und häufiger. Außerdem können sie ihr Potenzial nicht ausschöpfen: Wir sehen seit Jahren von Turnier zu Turnier, dass die Spielerinnen schneller werden und sich die Qualität ihres Spiels verbessert. Das heißt, es gibt noch immer eine Leistungsreserve, die mit besseren Trainingsbedingungen abgerufen werden könnte. Darin zeigt sich ein sogenannter Gender-Ressourcen-Gap: Viele Vereine haben nicht genügend medizinisches Personal, Trainerteams und Krafträume.

taz: Wie zeigen sich denn die anatomischen und hormonellen Unterschiede bei Fußballerinnen und Fußballern konkret?

Shakalio: Frauen haben zum Beispiel eher langsam zuckende Muskelfasern und sind dadurch ausdauernder und widerstandsfähiger. Männer haben eher schnell zuckende Muskelfasern, bauen deshalb schneller Kraft auf, sind aber auch schneller erschöpft.

 Entsprechend müsste bei Fußballerinnen Schnelligkeitstraining eine größere Rolle spielen, also etwa Muskelaufbau in den Beinen und Sprinteinheiten. Außerdem haben Fußballerinnen, anders als Fußballer, einen Menstruationszyklus.

taz: Welche Rolle spielt der Zyklus bei der sportlichen Leistungsfähigkeit?

Shakalio: Die Wissenschaft ist bei dem Thema aktuell zerstritten. Bisher wissen wir nur: Die physiologischen Leistungen verändern sich im Laufe des Zyklus eher wenig, aber Frauen erleben das subjektiv oft anders. Und das ist entscheidend, schließlich spielen Selbstbewusstsein und Motivation beim Sport eine riesige Rolle. Ein Zyklus ist außerdem sehr individuell. Manche Frauen haben mehr, andere weniger Hormonschwankungen, manche habe starke, andere gar keine Schmerzen. Deshalb ist es schwierig, einen Gruppeneffekt zu ermitteln. Es gibt aber auch einfach zu wenig Forschung zu diesem Thema.

taz: Wie kommt das?

Shakalio: Es gibt eine Art Doppelmoral im Bereich der männerdominierten Trainingswissenschaften: Viele schließen Frauen von den Studien aus, weil sie den Zyklus nicht als Störfaktor haben wollen. Andererseits behaupten sie, er spiele keine große Rolle, sodass sie ihre Ergebnisse ebenso auf Frauen anwenden können. Das ist natürlich unlogisch, trägt aber dazu bei, dass Frauen in der Forschung unterrepräsentiert sind. Laut einer Überblicksstudie aus dem Jahr 2014 waren nur 39 Prozent der Pro­ban­d:in­nen von insgesamt 1.400 Studien, die in drei wichtigen sportmedizinischen Zeitschriften veröffentlicht wurden, weiblich. In nur 4 bis 13 Prozent der Publikationen wurden ausschließlich weibliche Teilnehmende untersucht, bei den Männern waren es 18 bis 34 Prozent.

taz: Gibt es Verletzungen, für die Fußballerinnen und Fußballer unterschiedlich anfällig sind?

Shakalio: Fußballerinnen verletzen sich auffallend häufig am Kreuzband. Das liegt unter anderem daran, dass sie tendenziell ein breiteres Becken und weniger stabiles Bindegewebe haben. Es gibt außerdem Hinweise darauf, dass der Menstruationszyklus die Anfälligkeit beeinflusst, aber es ist unklar, wie genau. Eine Theorie besagt, dass Hormonschwankungen während des Zyklus die Bänder zeitweise elastischer machen, sodass sie anfälliger für Verletzungen sind. Eine andere, dass Frauen beim Fußballspielen mehr ins Risiko gehen, wenn sie zyklusbedingt einen höheren Testosteronwert haben als in anderen Phasen und sich dann häufiger verletzen. Mich überzeugen diese Theorien nicht gänzlich, die Studienlage zu dem Thema ist einfach zu dünn. Die Fifa hat im Mai eine Studie in Auftrag gegeben, die aktuell einen möglichen Zusammenhang zwischen Menstruationszyklus und Kreuzbandrissen untersucht. Entscheidend sind aber auch beim Thema Verletzungen die sozia­len Faktoren.

Wie beeinflussen soziale Faktoren Verletzungen?

Shakalio: Die Spielerinnen haben zum Beispiel meistens weniger Zeit für Präventions- und Regenerationsprogramme. Während Fußballer schon in der Regionalliga ihren Lebensunterhalt mit den Sport verdienen und versichert sind, gibt es Fußballerinnen in der zweiten Bundesliga, die nebenbei Vollzeit arbeiten. Das bedeutet ein höheres Stresslevel, weniger Zeit für Erholung und deshalb ein höheres Verletzungsrisiko.

taz: Wie hoch ist die Bereitschaft von Trainern und Trainerinnen, sich mit geschlechtsspezifischen Trainingsmethoden auseinanderzusetzen?

Shakalio: Ich erlebe, dass Trainerinnen im Schnitt offener dafür sind als ihre männlichen Kollegen. Allein schon deshalb, weil sie vieles ja selbst schon erlebt haben. Für Trainer ist das Ganze ein abstraktes Thema. Die wissenschaftlichen Quellen sind ja teils noch widersprüchlich, und das nehmen sie als Anlass, sich erst gar nicht mit dem Thema zu beschäftigen. Es ist ihnen einfach zu kompliziert. Eine Studie hat auch gezeigt, dass Athletinnen das Thema Zyklus im Training offener ansprechen können, wenn sie von einer Frau trainiert werden.

taz: Gibt es auch beim Thema Ernährung geschlechtsspezifische Unterschiede?

Shakalio: Ich bin keine Ernährungswissenschaftlerin, aber es ist bekannt, dass Athletinnen oft zu wenig essen. Sie spüren, neben dem Druck, sportlich erfolgreich zu sein, oft auch den Druck, „weiblich“ auszusehen. Je nach dem, wie wir das definieren, widerspricht sich das. Junge Frauen haben oft Angst, Muskeln aufzubauen und mehr zu wiegen. Das ist auch im Frauenfußball ein Problem. Wenn die Spielerinnen ihren Kalorienbedarf nicht decken, können Menstruation und Eisprung ausfallen, die Knochendichte kann sich verschlechtern und die Spielerinnen verletzen sich häufiger.

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2 Kommentare

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  • FitrWoman - wird auch in den NWSL und WSL genutzt.

  • In der Liga F ist das schon Alltag. Weiß leider gerade nicht den Namen der Software, die genutzt wird.



    Und hat Michele Kang nicht ein Institut oder etwas ähnliches gegründet, um solche Themen zu erforschen.