Ökonomin über Entwicklungszusammenarbeit: „Sicherheit darf nicht nur militärisch gedacht werden“
Die anstehende 4. UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung sei eine Chance für die Länder des Globalen Südens, sagt Kathrin Berensmann.

taz: Frau Berensmann, wie steht es derzeit um die Entwicklungsfinanzierung?
Kathrin Berensmann: Um in den Entwicklungsländern die nachhaltigen Entwicklungsziele zu erreichen, fehlen jedes Jahr ungefähr vier Billionen US-Dollar. Die Industrieländer haben die Entwicklungsgelder drastisch gekürzt. Anfang des Jahres strich US-Präsident Donald Trump die Entwicklungsfinanzierung für USAID erheblich und damit auch die Finanzierung von Medikamenten für viele HIV-Infizierte in armen Ländern.
taz: Wie geht es den Entwicklungsländern derweil?
Berensmann: Die öffentlichen Ausgaben der betreffenden Länder im Globalen Süden steigen infolge der vielen Krisen, etwa der Coronapandemie, des Kriegs in der Ukraine und des Klimawandels. Diese Krisen lassen außerdem weltweit die Zinsen steigen. Für die hoch verschuldeten Länder stellt das ein großes Problem dar. Die Staaten müssen einen großen Anteil ihres Haushalts zur Begleichung von Krediten ausgeben statt zur Finanzierung der nachhaltigen Entwicklungsziele. Es bleibt kaum noch Geld für den Ausbau der Gesundheits- und Bildungssysteme.
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taz: Der Bundeshaushalt für 2025 sieht Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit vor, während gleichzeitig die Verteidigungsausgaben steigen. Was wird das für Folgen haben?
Berensmann: Im bereits veröffentlichten Entwurf des Abschlussdokuments der Entwicklungsfinanzierungskonferenz in Sevilla haben sich die Mitgliedstaaten – darunter auch Deutschland – erneut verpflichtet, 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen. Dieses Ziel wird Deutschland in diesem Jahr voraussichtlich verfehlen. Die geplanten Kürzungen könnten gravierende Auswirkungen auf den Entwicklungsfortschritt in Partnerländern haben. Dabei wird häufig übersehen: Sicherheit darf nicht ausschließlich militärisch gedacht werden. Entwicklungszusammenarbeit leistet einen wichtigen Beitrag zur Stabilität, indem sie Armut bekämpft und Gesundheits- sowie Klimarisiken in besonders verletzlichen Regionen mindert. Soziale Spannungen in unseren Partnerländern können auch unsere eigene Sicherheit gefährden.
taz: Was bedeutet die zurückgehende Finanzierung für den Klimaschutz?
Berensmann: Die internationale Gemeinschaft verpflichtete sich in Paris dazu, die Entwicklungsländer finanziell in der Umsetzung der Klimaziele zu unterstützen. Die bereitgestellten Gelder reichen aber bei Weitem nicht. Klimaanpassungen in den Ländern des Südens wie die Umstellung auf erneuerbare Energien oder der Bau von Dämmen bleiben auf der Strecke. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die Industrieländer die Konsequenzen der zurückgehenden Klimafinanzierung zu spüren bekommen. Nicht nur durch mehr Migration. Wenn die Entwicklungsländer bei ihrem Schritt hin zu Schwellenländern weiter auf fossile Energien setzen, werden die Klimaveränderungen uns alle treffen.

In Sevilla diskutieren die Vereinten Nationen über Investitionen, Steuern, Schulden und Strukturen. Die taz ist vom 30.6. bis 3.7. vor Ort. Mehr Infos unter taz.de/entwicklung
taz: Wie können sich Länder des Globalen Südens finanziell selbst stabilisieren?
Berensmann: Die Steuerquote in Ländern mit niedrigem Einkommen ist bisher besonders gering. Laut IWF nahmen sie 2024 nur 15 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts durch Steuern ein. In den Industrieländern sind es dagegen 36 Prozent. Die Entwicklungsländer stehen nun unter Druck, ihre Steuersysteme zu reformieren. Das heißt konkret: die Steuerbasis verbreitern und den großen informellen Sektor einbeziehen. Dafür müssen die Behörden unter anderem ihre Verwaltung digitalisieren. Die dadurch entstehende Transparenz verhindert außerdem Steuerhinterziehung. Bisher gehen etwa den afrikanischen Ländern jährlich 50 bis 80 Milliarden US-Dollar durch illegale Finanzströme verloren. Um das zu verhindern, braucht es zusätzlich eine bessere internationale Zusammenarbeit der Steuersysteme.
taz: Welche Rolle kann die Privatwirtschaft bei der Entwicklungsfinanzierung spielen?
Berensmann: Gelder, die die Diaspora in die Entwicklungsländer zurücksendet, machen mehr aus als staatliche Entwicklungsfinanzierung und ausländische Investitionen zusammen. Ein wichtiger Schritt wäre also, die hohen Gebühren, die Unternehmen für solche Transaktionen erheben, zu senken. Zudem braucht es mehr private Direktinvestitionen von Unternehmen in die Entwicklungsländer.
taz: Oft wird kritisiert, dass Direktinvestitionen kaum zur lokalen Entwicklung der Industrie beitragen. Stattdessen fließen die Gewinne oft wieder ins Ausland ab.
Berensmann: Um das zu verhindern, bräuchte es Gesetze und Instrumente, die dafür sorgen, dass die Unternehmen Steuern vor Ort zahlen.
Das ODA-Ziel
1970 beschloss die UN-Generalversammlung, dass reichere Länder 0,7 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Entwicklungsleistung – Official Development Assistance, kurz ODA – ausgeben sollen. Den Entwicklungsgedanken prägte die Idee, dass ärmere Länder nach westlichem Modell „aufholen“ sollten. Seitdem haben nur wenige Industriestaaten das ODA-Ziel erreicht. Was hinzuzählt, definiert die Industriestaatenorganisation OECD – etwa auch Ausgaben für Geflüchtete im Inland.
Rio-Konferenz
1992 wurde auf dem sogenannten Erdgipfel im brasilianischen Rio de Janeiro nachhaltige Entwicklung als gemeinsames Ziel anerkannt. In der Agenda 21 und weiteren Abkommen verpflichteten sich die Staaten etwa zur Armutsbekämpfung, zu Umweltschutz und zur Reduzierung von Treibhausgasen. Der Fokus lag auf Reformen in Entwicklungsländern, vor allem zur Liberalisierung des Handels. Industrieländer sollten Geld, Wissen und Technologie bereitstellen.
Millennium-Entwicklungsziele
2000 nahmen 189 Staaten acht gemeinsame Millennium-Entwicklungsziele – Millennium Development Goals, MDGs – an. Sie waren von Vertreter*innen der UN, der Weltbank und des IWF erarbeitet worden. Die Staaten versprachen, weltweit Armut zu reduzieren, Menschenrechte zu achten und Gleichberechtigung, Demokratie, ökologische Nachhaltigkeit und Frieden zu fördern. Der Fokus lag weiterhin auf internen Anstrengungen der Entwicklungsländer, um die Ziele zu erreichen.
UN-Konferenzen zu Entwicklungsfinanzierung
2002 im mexikanischen Monterrey ging es erstmals umfassender darum, wie die MDGs finanziert werden sollten. Bis dahin ging es vor allem um öffentliche Entwicklungsgelder der reichen Länder. Über die Regeln globaler Finanzen aber berieten diese meist in multilateralen Foren ohne Entwicklungsländer. Auf der Folgekonferenz 2008 in Doha, Katar, kamen Geschlechtergerechtigkeit und Klimafinanzierung hinzu.
Nachhaltige Entwicklungsziele
2015 lösten die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele – Sustainable Development Goals, SDGs – die MDGs ab. Bis 2030 wollen die Staaten die extremste Form von Armut und Hunger beenden. Alle Menschen sollen Zugang zu Gesundheit, Bildung, sauberem Wasser und Energie haben. Wirtschaftliche Ungleichheit soll abgebaut und nachhaltiges Wachstum ermöglicht werden. Derzeit sind nur 17 Prozent der Ziele auf gutem Weg, bis 2030 erreicht zu werden.
Addis-Abeba-Aktionsagenda
Ebenfalls 2015 verabschiedeten die Vereinten Nationen die Addis-Abeba-Aktionsagenda auf der 3. UN-Konferenz zu Entwicklungsfinanzierung. Sie enthielt konkrete Zielvorgaben. Erstmals sollten umfassende Reformen des globalen Finanzsystems angestoßen werden. Dazu gehörte mehr Mitspracherecht von Entwicklungsländern in internationalen Finanzinstitutionen. Ein Fokus lag außerdem auf der Mobilisierung von privatem Kapital.
UN-Konferenz in Sevilla
Bei der 4. Konferenz zu Entwicklungsfinanzierung in Sevilla sollen 2025 die Verpflichtungen zur Finanzierung der SDGs erneuert werden. Während Geberländer ihre Beiträge massiv zurückfahren, wollen viele ärmere Länder über Reformen der globalen Finanz- und Schuldenarchitektur diskutieren. Sie fühlen sich benachteiligt, etwa im Handelssystem, bei der Besteuerung multinationaler Konzerne oder in ihrer Risikobewertung. (lvr)
taz: Welche strukturellen Probleme stehen einer Reform der Finanzierung im Wege?
Berensmann: Entscheidungen über die Entwicklungsfinanzierung werden nicht in der UN, sondern beispielsweise beim Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank oder der OECD getroffen. Bei den Finanzinstitutionen IWF und Weltbank ist das Stimmrecht der einzelnen Mitglieder vorwiegend gemäß ihrer wirtschaftlichen Kraft gestaffelt. Die Entwicklungsländer kommen hier also kaum zu Wort.
taz: Warum könnte gerade die 4. UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung jetzt entscheidend sein?
Berensmann: In einer Krise des Multilateralismus ist sie die Chance, alle Akteure an einen Tisch zu bringen und gemeinsam eine neue Strategie zu bestimmen. Die Konferenz in Sevilla wird von den UN ausgerichtet, deshalb haben alle Mitgliedstaaten das gleiche Stimmrecht. Die Entwicklungsländer haben also die Chance, ihre Interessen zu vertreten. Und die Entwicklungsfinanzierungskonferenz gibt Hoffnung: Im Abschlussdokument unterstützen die meisten Staaten die laufenden Verhandlungen für eine internationale Steuerkooperation, die bei den UN angesiedelt ist.
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