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kritisch gesehenEine Stadt geht in ihre Erinnerung ein

Wie Oldenburg verdrängt und gedenkt zeigt das Staatstheater im Audiowalk „Zukunftsmusik“. Es lädt ein, zu erkunden, welche gesellschaftlichen Stimmungen daran mitwirken

Vergangenes Jahr sorgte ein 200 Quadratmeter großes Wandgemälde in Oldenburg für Aufsehen. Mit Porträts von zehn für die Stadt bedeutenden Frauen sollte deren auch heute noch viel zu oft unsichtbare Geschichte sichtbar gemacht werden. Mit der NS-Propagandistin Edith Ruß und der Opernsängerin Erna Schlüter, die zu Ehren Hitlers’und der „Machtergreifung“ sang, sind aber mindestens zwei der geehrten Frauen Nationalsozialistinnen.

Nachdem die taz darüber berichtet hatte, entspann sich in der Stadt eine Debatte darüber, wie es passieren konnte, dass ausgerechnet diese Frauen heute noch geehrt werden und wie sie nun mit dem Gedenken an sie umgehen soll. Diesen Diskurs nimmt die Audiokünstlerin Katharina Pelosi als Ausgangspunkt, um in ihrem 70-minütigen Audiowalk „Zukunftsmusik – wir werden uns erinnert haben“ der Frage nachzugehen, warum, wie und an wen wir uns im öffentlichen Raum erinnern. Die Produktion der Sparte 7 des Staatstheaters Oldenburg ist dabei mehr Hörspiel als herkömmliche Stadtführung.

Durch den Audiowalk führt die Stimme einer „digitalen Mnemosyne“. Die griechische Göttin der Erinnerung wird hier als Cyborg neu gedacht. Der verknüpft Erinnerungsorte auf dem Weg mit den Stimmen der von Pelosi interviewten Expert:innen. Die eigens komponierte Musik gibt das Tempo vor und sorgt zusammen mit der Sound-Kulisse für eine Atmosphäre, in der man den umgebenden Straßenverkehr fast vergisst.

Mit Kopfhörern ausgestattet beginnt die kleine Reise durch die Oldenburger Stadtgeschichte an der Büste von Carl von Ossietzky, direkt neben dem Theater. Der Streit um die Benennung der Universität nach dem Friedensnobelpreisträger ist ein besonderes Beispiel dafür, wie umkämpft Erinnerung ist. Es geht weiter zum Cäcilienplatz, vorbei am ehemaligen Wohnhaus von Willa Thorade und der Büste von Helene Lange, der einzigen Ehrenbürgerin Oldenburgs. Beide waren Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung und Gegnerinnen des NS-Regimes. An sie erinnert die Stimme der 2021 verstorbenen Sozialpädagogin Heike Fleßner. Alle drei Frauen werden vom Wandgemälde abgebildet.

Nach einem Zwischenstopp an der Friedenssäule führt die Route an der Oldenburger Erinnerungswand vorbei zur Synagoge in der Leo-Trepp-Straße. An der Neugründung der jüdischen Gemeinde 1992 war maßgeblich die spätere Vorsitzende Sara Ruth-Schumann beteiligt, auch auf dem Wandgemälde geehrt.

Die letzte Station, bevor es zurück zum Theater geht, ist das ehemalige „Edith-Russ-Haus“. Die Stadt hat es in Folge der taz-Berichterstattung in „Haus für Medienkunst“ umbenannt – wegen des „Image-Schadens“ durch die Debatte, wie Oberbürgermeister Jürgen Krogmann das nennt.

Neben den Frauen auf dem Mural geht es besonders darum, an wen nicht erinnert wird. Hätte unter anderen Umständen vielleicht auch die berühmteste Oldenburgerin, Ulrike Meinhof, einen Platz auf den Wandgemälde bekommen? Warum findet sich nirgends im öffentlichen Raum ein Hinweis auf die koloniale Vergangenheit Oldenburgs mit seinen rassistischen „Völkerschauen“ auf der Dobbenwiese und dem Kramermarkt? Und an wen erinnert man sich in Oldenburg in Zukunft? Wird Lorenz A., den die Polizei am 20. April in der City erschossen hat, ein Denkmal bekommen?

Audiowalk „Zukunftsmusik.Wir werden uns erinnert haben“ von Katharina Pelosi, begrenzte Platzzahl, Tickets unter staatstheater.de. Start: Theatercafé, Staatstheater Oldenburg, wieder am 18.-20. 6., jeweils 17 Uhr sowie am 21. 6., 15 Uhr

Der Audiowalk zeigt, dass öffentliches Erinnern als Ausdruck der politischen Machtverhältnisse einem ständigen Wandel unterliegt. Edith Ruß und Erna Schlüter sind weiterhin Teil des Wandgemäldes. Einen Hinweis auf ihre Nazi-Vergangenheit sucht man dort vergeblich.

Aljoscha Hoepfner

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