Netzwerke christlicher Fundamentalisten: „Russland ist überall“
Moskau unterstützt weltweit antifeministische Bewegungen, warnt die Aktivistin Klementyna Suchanow vor den Präsidentschaftswahlen in Polen.
„Wir haben rechtsradikale und christlich-fundamentalistische Strömungen lange als zu radikal abgetan, als dass wir uns ernsthaft damit auseinandersetzen wollten“, sagt Klementyna Suchanow im Gespräch mit taz-Redakteur Uwe Rada, „2016 dachten wir, das wäre die größte Welle. Dabei war es erst der Anfang.“
Die 51-Jährige war 2016 Mitbegründerin der polnischen „Frauenstreik“-Bewegung. Damals versuchte die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), das ohnehin strikte Abtreibungsrecht in Polen nochmals drastisch zu verschärfen: Abtreibungen sollten vollständig verboten werden – selbst nach einer Vergewaltigung. Ärzt*innen und betroffenen Frauen drohten bis zu fünf Jahre Haft. Selbst bei natürlichen Fehlgeburten waren bis zu drei Jahre vorgesehen, sollte die Staatsanwaltschaft ein „Selbstverschulden“ vermuten.
Mittelalterliche Fundamentalisten
Eingebracht wurde der Gesetzesentwurf von der christlich-fundamentalistischen Organisation „Ordo Iuris“. Für Suchanow eine Gruppe, die exemplarisch für das steht, was sie als das „Mittelalter im 21. Jahrhundert“ bezeichnet: religiöse Fanatiker, die Scheidung, Sexualaufklärung, Verhütung und Abtreibung verbieten wollen und LGBTQ+-Menschen verfolgen.
„Die Gesetzesinitiative hat uns 2016 beängstigt und wir haben uns dagegen aufgelehnt“, erzählt die Aktivistin. Innerhalb von einer Woche formierte sich der landesweite „Frauenstreik“. Tausende gingen auf die Straße, Suchanow wurde zum Gesicht der Bewegung. Der Gesetzesentwurf wurde schließlich abgelehnt.
2020 versuchte die PiS jedoch erneut, ein vollständiges Abtreibungsverbot durchzusetzen. Trotz Pandemie und Versammlungsverbot fielen die Proteste diesmal noch größer aus. Die Frauenbewegung wurde zur Sammelstelle des breiten gesellschaftlichen Protests gegen die Regierung. Bei der Wahl 2023 zeigte sich ihr Einfluss: Die PiS wurde abgewählt – maßgeblich dank weiblicher Stimmen.
Doch statt den Erfolg der Frauenbewegung zu beschreiben, schrieb Suchanow über den globalen Einfluss des Kremls auf Anti-Abtreibungskampagnen. „Ich wollte den protestierenden Frauen zeigen, wer die Menschen auf der anderen Seite der Barrikade sind“, sagt sie. Dazu verfolgte sie radikale religiöse und politische Netzwerke weltweit, führte Interviews, reiste zu Betroffenen, sammelte und archivierte Quellen.
Oligarchen finanzieren Netzwerke
Sie entdeckte länderübergreifende Ähnlichkeiten: In Argentinien, Russland, Polen, Südkorea wurden dieselben Narrative, Sprech- und Verhaltensweisen benutzt – etwa Diffamierungen wie „Feminazi“. „Diese Parallelen erschienen mir allzu bedenklich, als dass es ein Zufall sein könnte.“ Suchanow stieß weltweit auf unzählige sogenannte Pro-Life-Organisationen, die eng mit dem Kreml verflochten sind und von russischen Oligarchen wie Wladimir Jakunin finanziert werden.
Alle würden dieselbe Sprache sprechen: die „Ordo-Iuris-Sprache“. „Das Schlüsseljahr war 2013“, erklärt sie. In diesem Jahr intensivierte der Kreml seine geopolitischen Aktivitäten, über Nacht schossen europaweit von Moskau finanzierte Pro-Life-Organisationen aus dem Boden.
„Russland ist heute nicht mehr nur in Russland – Russland ist überall“, sagt die Autorin. Eine zentrale Rolle, das ergaben ihre Recherchen, spielt die aus Brasilien stammende, kremlnahe Organisation TFP (Tradition, Familie und Privateigentum), die 2013 einen Ableger in Polen und anderen europäischen Ländern gründete. Von ihr gingen Initiativen wie „Ordo Iuris“ aus, der „Marsch für das Leben“ und „CitizenGo“, eine Petitionsplattform gegen Abtreibungs- und Frauenrechte. TFP steht ebenso hinter dem christlich-extremistischen Netzwerk „Agenda Europe“ und ihren weltweiten Ablegern. Parallel dazu finanzierte der Kreml Netzwerke juristischer Akteur*innen, die sich für eine Kriminalisierung von Abtreibung einsetzten.
Die Strategie sei kalkuliert gewesen: Moskau habe die Kampagne bewusst in den westeuropäischen Ländern Spanien, Frankreich, Italien und Deutschland begonnen, so Suchanow. Als die Bewegung dann nach Osteuropa überschwappte, wirkte sie nicht mehr wie russische Einflussnahme, da sie bereits einen westlichen Anstrich hatte und somit als „sauber“ galt.
Weltkongresse der Frauenfeindlichkeit
Die Netzwerke seien inzwischen hochprofessionell, erklärt sie. „Diese Initiativen haben täglichen Mailaustausch, von Deutschland über Schweden bis nach Italien.“ Treffpunkt dieser Bewegungen seien die Weltfamilienkongresse, ein globales Forum zur Vernetzung christlich-fundamentalistischer Organisationen mit politischen Entscheidungsträger*innen. 2014 fand ein Weltfamilienkongress in Moskau statt, 2019 in Verona. Damals trat sogar der italienische Rechtspopulist und damalige Innenminister Matteo Salvini auf dem Kongress auf.
„Sie haben ihr Ziel erreicht: ihre Leute sitzen in der Politik“, sagt Suchanow. Anhänger*innen von Ordo Iuris seien längst in Regierungskreisen etabliert, ihre Jurist*innen säßen in beratenden Gremien. „Wenn die PiS an die Macht kommt, wird der Ordo Iuris Vorsitzende Polens Präsident“, warnt sie.
Auch Suchanow war für ihre Recherche bei mehreren Weltkongressen dabei. In Madrid hätte man sie beinahe von der Polizei herauswerfen lassen, erzählt sie. Immer wieder sucht sie bewusst die Konfrontation. Suchanow trifft sich mit Oligarchen wie Alexey Komov. „Ich mag es, wenn sie versuchen, mich zu umgarnen und zu täuschen“, sagt sie. Auf der Nachrichtenplattform X wird die Aktivistin mit Nachrichten bombardiert und als russische Spionin diffamiert. Aus PiS-Kreisen wurde ihr vergangene Woche vorgeworfen, mit einer Gruppe in Verbindung gestanden zu haben, die in den „Schmuggel“ von Einwander*innen über die Ostgrenze verwickelt war. Suchanow streitet die Vorwürfe ab.
Auf diese Form der hybriden Kriegsführung sei der Westen unzureichend vorbereitet, meint Suchanow. „Wir sind in diesem Spiel unterlegen.“ Die Gegner wüssten genau, wie man Emotionen manipuliert, Hass schürt und Falschinformationen verbreitet – insbesondere über die Sozialen Medien.
Wenig Hoffnung für die Wahlen
Am 1. Juni stehen in Polen Präsidentschaftswahlen an. Suchanow betrachtet die Lage bereits als „schachmatt“: Der Einfluss der Rechten sei so stark, dass selbst der proeuropäische Kandidat gezwungen sei, Gespräche mit den Nationalisten zu führen, um eine Chance auf den Sieg zu haben.
Christlich-fundamentalistische Organisationen machen im Vorfeld mobil: Zwei Tage vor der Stichwahl findet der „Kongress der Konservativen“ statt – ausgerechnet auf dem größten Militärflughafen Osteuropas, von dem aus humanitäre und militärische Lieferungen in die Ukraine starten. Teilnehmen werden rechtskonservative Politiker*innen und Organisationen, darunter auch Ordo Iuris.
Ob ihre Recherchen den polnischen Rechten in der Stichwahl schaden werden? „Die Rechten hindert nichts an der Machtübernahme“, meint Suchanow. „Sie sind immun gegen jede Kritik. Lügen sind heute kein Problem mehr. Es ist ausweglos.“
2020 erschien das Buch in Polen, seit 2023 liegt es auch in deutscher Übersetzung vor
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