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Berliner Clubs unter DruckSchwuZ feuert ein Drittel der Belegschaft

Der queere Club SchwuZ in Berlin-Neukölln entlässt wegen seiner Finanzlage fast 40 Mitarbeiter:innen. Die erheben schwere Vorwürfe gegen die Leitung.

„Your disco needs you“ war gestern Foto: Annette Riedl/dpa

Berlin taz | Das weit über die Hauptstadt hinaus bekannte SchwuZ hat rund ein Drittel seiner Belegschaft gefeuert. Und zwar „ohne jegliche Vorwarnung“, sagt Ebba Schulz*. Die Künstlerin gehört zu den fast 40 Mitarbeitenden, die Anfang dieser Woche überraschend entlassen wurde. Sie arbeitet schon viele Jahre in dem queeren Berliner Club: „Angefangen habe ich als Servicekraft. Aber ich stand auch damals schon auf der Bühne.“ Damit ist jetzt Schluss.

Am Montag lagen die Kündigungsschreiben in den Briefkästen der Betroffenen. Einer Kollegin sei der Brief beim Verlassen ihres Wohnhauses von zwei Mit­ar­bei­te­r:in­nen des SchwuZ in die Hand gedrückt worden.

Dementsprechend ist dann auch die Stimmung in der Belegschaft. Die Rede ist von einer „absoluten Shitshow“ seitens der Geschäftsführung. Ebba Schulz nennt die Art und Weise der Kündigungswelle „ziemlich daneben und respektlos“.

Wie viele Berliner Kultureinrichtungen steht auch das SchwuZ in Neukölln finanziell unter Druck. Erst kürzlich kündigte die Geschäftsführung eine „Neuausrichtung“ des Clubs an. So soll der Clubbetrieb unter der Woche reduziert werden, bestimmte Shows wie Drag-Performances sollen nur noch „gezielt“, also seltener stattfinden.

Technik statt Menschen

Von den Kündigungen, sagt Schulz, sind aber nicht nur Künst­le­r:in­nen wie sie betroffen, sondern auch Mitarbeitende am Einlass, der Kasse, der Garderobe und der Reinigung. Diese sollen zu großen Teilen durch „Automatisierung“ ersetzt werden.

„Wir setzen perspektivisch auf digitale Systeme, um Abläufe effizienter zu gestalten – zum Beispiel durch Self-Check-in, digitale Zahlungen, automatisierte Garderoben- und Schließfachsysteme oder KI-gestützte Tools im Büro“, teilt die Geschäftsführung des SchwuZ auf taz-Νachfrage mit.

Schulz sagt, sie und ihre Kol­le­g:in­nen seien „schockiert darüber, wen das alles getroffen hat“. Nach Angaben auch anderer Mit­ar­bei­te­r:in­nen des Clubs wurden mehrheitlich Schwarze und People of Color, nicht-binäre und trans Personen vor die Tür gesetzt. Insgesamt wurden 32 Kündigungen ausgesprochen, in sechs weiteren Fällen wurden die Verträge nicht verlängert.

Bei betriebsbedingten Kündigungen muss die Arbeitgeberin die Sozialregelung beachten, also die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Alter, etwaige Unterhaltspflichten und Behinderungen miteinbeziehen.

Wurde alles gemacht, heißt es hierzu von der Geschäftsführung: „Die Sozialauswahl erfolgte ausnahmslos streng nach den Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes und der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes.“ Eine gezielte Diskriminierung mehrfach marginalisierter Menschen liege nicht vor. Schließlich berücksichtige die Sozialregelung Faktoren wie Geschlecht oder Sexualität gar nicht.

„Boden unter den Füßen weggezogen“

Die Mit­ar­bei­te­r:in­nen beruhigt das wenig. Sie sprechen mit Blick auf die Betroffenen von einem „Kollateralschaden“, der billigend in Kauf genommen wurde. „Das ist in der queeren Community natürlich fatal“, sagt Ebba Schulz. Etlichen Kol­le­g:in­nen hätte „die Kündigung den Boden unter den Füßen weggezogen, sie befinden sich jetzt in einer absolut prekären Lage“.

Queere Menschen im Allgemeinen, queere Schwarze und People of Color aber im Besonderen fänden nicht so leicht eine Stelle, müssten Angst auf der Arbeit haben oder würden diskriminiert, sagt auch Mit­ar­bei­te­r:in Ruby Royal.

„Wir wissen, dass das für die Betroffenen sehr plötzlich ist – das tut uns menschlich leid“, teilt die Geschäftsführung des Clubs dazu mit. Es sei ihr jedoch wichtig gewesen, sich „an die gesetzlichen Vorgaben zu halten und gleichzeitig intern gut zu vorbereitet“, um anschließend konkret unterstützen zu können. „Wir aktivieren unser Netzwerk in der queeren Community und darüber hinaus und helfen beim Übergang, wo wir können“, so die Geschäftsführung.

Wer's glaubt, wird selig, heißt es sinngemäß von den Betroffenen. Sie beklagen fehlende Rücksicht und Empathie bei Geschäftsführung und Vorstand.

Fehlbetrag in Höhe von 150.000 Euro

Die widersprechen: „Die Entscheidung war extrem schmerzhaft, aber sie war notwendig, um das SchwuZ wirtschaftlich zu stabilisieren und eine Perspektive für die Zukunft zu schaffen.“ Denn dem Club gehe es finanziell schlechter als bisher angenommen.

Wie aus einem aktuellen Spendenaufruf hervorgeht, fehlen dem SchwuZ in diesem Jahr rund 150.000 Euro. Der Aufruf richte sich jedoch nicht auf die Basisfinanzierung des Clubs, teilte die Geschäftsführung mit, sondern auf „besondere Investitionen“ wie bauliche Maßnahmen und technische Modernisierungen.

Auf einer Mitarbeiter:innen-Versammlung am Dienstag folgte dann die Hiobsbotschaft: Ohne die Kündigungen hätte der Club demnach noch im August schließen müssen. Auch das SchwuZ spüre „die Folgen von Inflation, gestiegenen Betriebskosten und einem veränderten Ausgehverhalten“.

Starke Einbußen stünden steigende Fixkosten entgegen, „extreme Lohnsteigerungen“ im Mindestlohnbereich inklusive. „Unsere Lohnkosten über alles waren im Vergleich vor und nach Pandemie sehr stark überproportional zum Umsatz und zu allen anderen Kostenpositionen gestiegen: Das war und ist nicht nachhaltig“, so die Geschäftsführung.

Bei allem Groll: Selbst den nun ehemaligen Mitarbeitenden liegt viel daran, dass der Club gerettet wird. „Das SchwuZ ist super wichtig für Berlin. Wir brauchen queere Läden“, sagt Ruby Royal. Das 1977 gegründete SchwuZ ist der älteste und einer der größten queeren Clubs in Deutschland.

Die Geschäftsführung versucht sich unterdessen in Vorwärtsverteidigung. Es gelte „diese schwierige Phase nicht nur als Krise, sondern auch als Chance“ zu begreifen, teilt sie mit. Und: „Wir haben einen klaren Finanzplan, einen klaren Personalplan, einen ausgearbeiteten Investitionsplan, einen klaren Marketingplan.“ Das SchwuZ solle queer, politisch und kulturell relevant bleiben, „aber mit schlankeren Strukturen“.

*Die Betroffenen heißen eigentlich anders, ihre Namen sind der Redaktion bekannt.

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1 Kommentar

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  • And again: die Queer-Theorie ist ein Unterzweig des Poststrukturalismus. Der wiederum ein Produkt des Liberalismus/Nihilismus ist.

    Sind solche Dramen also für Linke relevant? Nein! Es sind Streitereien der Liberalen. Linke täten gut daran sich wieder materialistischen Fragen des Klassenkampfs zu widmen.

    Was aus Clubs wird, die nicht einmal zwischen Geschlecht und Sexueller Orientierung unterscheiden können, und das einfach unter einem Begriff (Queer) über den selben Haufen werfen, kann uns am Allerwertesten vorbei gehen.

    Es sind nicht unsere Kämpfe!



    Wenn wir uns weiter an liberalen Agendas aufreiben, dann ist es demnächst vorbei mit genuin linker Politik.