Senegal richtet Sondertribunal ein: Covid-Hilfsfonds in großem Stil veruntreut
Senegals Regierung bringt fünf Minister der Vorgängerregierung vor Gericht. Es geht um den Verbleib von Hilfsgeldern während der Covid-19-Pandemie.

Der Gesamtschaden beläuft sich auf rund 1,5 Milliarden Euro. Die waren Senegal während der Pandemie 2020-21 vom Staat und internationalen Partnern als Nothilfe zur Verfügung gestellt worden, um die Auswirkungen der Krise abzufedern. Doch statt Masken und andere Gesundheitsmaßnahmen, so der Vorwurf, wurden mit dem Sonderfonds „Force Covid-19“ Cocktailpartys, Blumentöpfe und Traktoren bezahlt. Nachweise fehlen, Zahlungen erfolgten bar, außerdem sollen Millionenbeträge auf ein Konto eines Chauffeurs überschrieben worden sein.
Bei Amtsantritt im März 2024 hatte Senegals neuer Präsident Bassirou Diomaye Faye – selbst Steuerprüfer von Beruf – angekündigt, rigoros mit den Hinterlassenschafften der Ära Macky Sall aufzuräumen. Der Skandal um die Covid-19-Hilfsgelder ist der bisher aufsehenerregenste, aber nicht der erste.
So veröffentlichte Senegals Rechnungshof im Februar einen Bericht, wonach es zwischen 2019 und 2024 schwere Veruntreuung bei der Verwaltung von öffentlichen Finanzen gegeben hatte. Im März bestätigte der Internationale Währungsfonds (IWF): rund 7 Milliarden US-Dollar an Staatsschulden waren gar nicht im offiziellen Haushaltszahlen ausgewiesen, um die Finanzen besser aussehen zu lassen und bessere Konditionen für Kredite zu bekommen. Das Haushaltsdefizit für 2023, das ursprünglich mit 4,9 Prozent des BIP angegeben wurde, lag demnach in Wirklichkeit bei rund 12 Prozent, die Staatsverschuldung beträgt 99,67 statt 76 Prozent des BIP.
Bericht über Unregelmäßigkeiten im Jahr 2022
Infolge der Enthüllungen setzte der IWF sein Kreditprogramm in Höhe von 1,8 Milliarden US-Dollar aus und forderte umfassende Reformen sowie eine vollständige Offenlegung der tatsächlichen Schulden. Auch setzten Ratingagenturen Senegals Kreditwürdigkeit des Landes herab.
Der Abgeordnete Guy Marius Sagna schlug vor, Macky Sall unter anderem aufgrund der Finanzskandale wegen Hochverrats vor Gericht zu stellen. Salls Parteienkoalition Takku Wallu Sénégal warf der Regierung von Präsident Faye daraufhin nicht zum ersten Mal eine politische Hexenjagd vor.
Im Skandal um die Covid-19-Hilfsgelder hatte der Rechnungshof bereits 2022 in einem ausführlichen Bericht Unregelmäßigkeiten vermeldet – noch unter der Sall-Regierung. Das sagt auch Maurice Soudieck Dione, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Gaston-Berger in Saint-Louis: „Der Covid-Bericht wurde unter dem Regime von Präsident Sall erstellt und es wurde nachgewiesen, dass es eine Zweckentfremdung gigantischer Summen gegeben hat. Außerdem besagt die senegalesische Verfassung, dass Regierungsmitglieder, die sich in Ausübung ihres Amtes einer Straftat schuldig gemacht haben, vor dieses Gericht gestellt werden müssen“.
Vor das Sondertribunal sollen nun die Exminister Mansour Faye – ein Schwager von Expräsident Sall -, Aïssatou Sophie Gladima, Moustapha Diop und Salimata Diop Dieng wegen Zweckeentfremdung von Covid-19-Hilfegeldern sowie Ex-Justizminister Ismaïla Madior Fall wegen Korruption mit Immobiliengeschäften. Sie werden als erstes von Sonderstaatsanwälten angehört, dann wird über die förmliche Anklageerhebung und einen Prozess entschieden.
„Wir befinden uns in Senegal, in einem armen Land“, sagt Maurice Soudieck Dione. Dass in Zeiten der Not so ein finanzielles Gemetzel veranstaltet worden sei, sei schockierend. Eine Aufarbeitung sei richtig und wichtig: „Rechenschaftspflicht ist ein wesentlicher Grundsatz der Demokratie. Lange Zeit gab es viel Korruption bei der Verwaltung öffentlicher Ressourcen, was unsere Entwicklung und die Wirksamkeit unserer Politik stark behindert hat. Gleichzeitig müssen die Rechte und Freiheiten der Angeklagten strikt geachtet werden“, appelliert Dione.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Böhmermann enthüllt rechten Blogger
Hass hinter der Clownsmaske
Antisemitismus-Streit der Linken
Feigheit vor dem Freund
Linkspartei und Antisemitismus
Mehr als ein Streit um Worte
Negative Preise für Solarstrom
Stromverbrauch vom Steuerzahler subventioniert
Reichsbürger-Verein
Dobrindt lässt „Königreich Deutschland“ untergehen
Unsicherer Aufenthaltsstatus
In Berlin nicht willkommen?