: Der Schmerz der Frauen pocht finster
Mysteriöser Fairytale-Noir: Das Gothicfolktrio Tristwch Y Fenywod aus Wales kommt mit seinem Debütalbum erstmals nach Deutschland auf Tour
von Gregor Kessler
Der laterale Frikativ ist das eine. Aber da gibt’s auch stimmlose Sonoranten. Und natürlich die Anlautmutationen. Ein ziemlicher Albtraum also, dieses Walisisch. Aber auch faszinierend in seinem keltischen Kratzen. Versuchen wir’s doch mal: Tristwch Y Fenywod.
Hinter diesem herausfordernd auszusprechenden Bandnamen stehen drei in Leeds lebende Musikerinnen. Zwei von ihnen sind im Norden von Wales aufgewachsen und auf verschiedenen Wegen wieder zurück zur Regionalsprache ihrer alten Heimat gelangt. Gemeinsam haben sie auf dem schottischen Indielabel Night School vergangenes Jahr ihr schwarz-schillerndes Debüt veröffentlicht, eines der faszinierendsten Alben der Saison. Jetzt bringt das Trio seine Musik erstmals live nach Deutschland.
Schon das Cover des Tristwch Y Fenywod-Debüts versprüht okkulte Düsternis: Drei Frauen stehen in bodenlangen, wallenden Kleidern in einem Birkenwald, gedruckt ist das grobkörnige Foto in Giftgrün auf Schwarz. Die Musik hält, was die Optik verspricht. Unter dem durchgehend walisischen Gesang setzt das industrielle Stampfen eines aufs Nötigste reduzierten elektronischen Schlagzeugs voller Hall und der auf die Tiefen beschränkte Bass den düsteren Grundton.
Ein Sound aus der Nachbarschaft finster-atmosphärischer Gothic-Veröffentlichungen der frühen Achtziger. Das Debütalbum von Dead Can Dance sei der gemeinsame Nenner der drei Musikerinnen gewesen, heißt es. Auch die schwärzesten Cure-Werke wie „17 Seconds“ und „Pornography“ klingen an. Doch das Hauptinstrument von Sängerin Gwretsien Ferch Lisbeth hebt Tristwch Y Fenywod von allen Vergleichen ab. Sie hat es selbst gebaut: zwei unterschiedlich gestimmte russische Zithern mit einem Kontaktmikrophon in der Mitte. Sie versetzen die Mid-Tempo-Stücke in ein metallisches Flirren, ein Pulsieren und Vibrieren. Zusammen fügt sich diese Kombination zu Songs, die direkt aus einem Steinkreis-Zeitloch entkommen scheinen. Aus einem Mittelalter, so finster, dass es in keinem Geschichtsbuch vorkommt.
Druidischer Avant-Folk, hypnotische Trance, vorgetragen von drei queeren Künstlerinnen mit dezidiert antifaschistischer und feministischer Haltung. Mit „Schmerz der Frauen“ lässt sich der Bandname übersetzen. Ferch Lisbeth leitet ihn von der inhärenten Melancholie ihrer weiblichen Erfahrung her und meint damit ein universelles feminines Leid, das sie erst zum Komponieren gebracht hat. Wales und seine eigenwillige Sprache spielen in den Songs von Tristwch Y Fenywod eine zentrale Rolle. Schon in den 1960ern stellten walisisch singende britische Musiker:innen eine Verbindung zur US-Protest-Follkszene her. Während in New York und San Francisco seinerzeit für Bürgerrechte und Gleichberechtigung gesungen wurde, stritt man in Bangor und Caernarfon für die regionalen Rechte der Waliser:innen und ihre Sprache. Tristwch Y Fenywod sehen sich in einer Tradition des freiheitsliebenden Außenseitertums, dem Wales seit jeher eine Heimat gibt.
Dass kaum jemand diese Songtexte versteht, steigert ihre Faszination nur. Das mysteriös Unverständliche birgt immer die Chance des Genialischen, während das Verständliche sich sofort gegen den Vorwurf des Banalen verteidigen muss. „Light Breakes Where No Sun Shines“, beginnt ein Gedicht des walisischen Autors Dylan Thomas. Es passt in diesen landschaftlich spektakulären, wirtschaftlich und kulturell kargen Teil der britischen Inseln.
Licht und Schatten liegen in seinen Tälern und an seinen wetterwechselhaften Küsten eng beieinander. Dylan Thomas fordert die Dunkelheit heraus und setzt ihr Erkenntnis und Schöpfung entgegen.
Tristwch Y Fenywod tun mit ihrem dunkel-glühenden Gothicsound Vergleichbares. Ihre Klangsignatur hat etwas Altes, ohne dabei altertümlich zu klingen, etwas folkloristisches, ohne einen Hauch Folk zu spielen. Mysteriöser Fairytale-Noir. Ein Begräbnis-Marsch aus J.R.R. Tolkiens Songbook.
Tristwch Y Fenywod: „Tristwch Y Fenywod“ (Night School/Word & Sound)
Live: 9. Mai „Blitz“ München; 13. Mai „Trafo“ Jena; 14. Mai „Urban Spree“ Berlin; 15. Mai „Liebfrauenkirche“ Duisburg
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