Anarchist Gustav Landauer: Für ein Leben ohne Joch
Eine Initiative will ein Denkmal für den von Freikorps ermordeten Publizist schaffen. Ein Ort in Kreuzberg ist schon gefunden, nur mangelt es an Geld.

Was durch die Geistbetonung ganz religiös anklingt, ist eigentlich ein Auszug aus dem „Aufruf zum Sozialismus“ (1911), geschrieben von dem Anarchosozialisten Gustav Landauer. Ihm soll ganz in der Nähe, am Mariannenplatz 28, Ecke Wrangelstraße, ein Denkmal errichtet werden. Heute sieht man nicht mehr als eine von Unkraut bewachsene Grünfläche, früher arbeitete Landauer dort als Chefredakteur der Arbeiterzeitung Der Sozialist.
„Der Sozialist war die im Kaiserreich am häufigsten verbotene Zeitung“, sagt Erik Natter von der Gustav-Landauer-Initiative. Trotzdem hatte der 1909 gegründete Sozialist eine Auflage von 35.000 Exemplaren. Im Schnitt sei jede vierte Ausgabe der Zeitung verboten worden. Auch Landauer selbst musste im Laufe seines Lebens mehrfach ins Gefängnis. Natter erzählt, die preußische Polizei habe vor der Druckerei – dem efeubewachsenen, gelben Hinterhofhaus – auf die Beschlagnahmung der Zeitungsexemplare regelrecht gelauert. „Der Drucker kam dem bei, indem er mehrere Droschken losschickte, um die Polizei zu verwirren“, sagt Natter. Die echte Zeitung habe er dann durch die Hintertür geschmuggelt.
Um diese und weitere Informationen über Landauer einem breiteren Publikum bekannt zu machen, hat sich 2019 die Gustav-Landauer-Initiative gegründet – und im selben Jahr eine Wanderausstellung kuratiert. „Die Anarchie ist das Leben der Menschen, die dem Joche entronnen sind“ wird ab dem 6. Mai dienstags, donnerstags und samstags von 16 bis 20 Uhr in der Aula der Nürtingen-Grundschule gezeigt. Besonderer Fokus liegt auf dem Leben und Wirken Gustav Landauers in Berlin zwischen 1889 und 1917.
Crowdfunding für toten Anarchisten
„Ein weiterer Meilenstein auf unserem Weg wäre das Denkmal“, sagt Natter. Um ein geeignetes Design zu finden, braucht es aber erst mal einen künstlerischen Entwurfswettbewerb. Ganze 12.000 Euro will die Initiative über Crowdfunding dafür zusammenbekommen.
„Um das Geld für die Realisierung des Denkmals selbst müssen wir uns noch kümmern“, sagt Jan Rolletschek von der Gustav-Landauer-Initiative. Er hat schon viele Ideen für eine mögliche Gestaltung: Eine Skulptur könne es geben, kombiniert mit Online-Elementen, die Teil einer Stadtführung sind. Auch eine Sitzgelegenheit kann sich Rolletschek vorstellen. Aber: „Die Ausschreibung wird offen formuliert“, schließlich solle den Künstler*innen ihre Freiheit zugestanden werden.
Wie auch immer: Bis Geld da ist, bleibt die für das Denkmal vorgesehene Grünfläche vor der Nürtingen-Grundschule wohl unbebaut. Markus Schega, der Schuldirektor, hat seine Aula für die Crowdfunding-Auftaktveranstaltung zur Verfügung gestellt. Er freut sich trotz mangelndem Zeitrahmen: „Vielleicht wird in zehn Jahren unsere Schule nach Landauer benannt“, sagt er. Und äußert einen Wunsch: „Es wäre schön, wenn auch unsere Schüler*innen an der Jury mitwirken könnten.“ So könnten sie den historischen Nachbarn besser kennenlernen.
Der Grüne Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksverordnete Werner Heck hat 2018 die Errichtung des Landauer-Denkmals in die Bezirksverordnetenversammlung eingebracht und mit beschlossen. Er erklärt, dass der Bezirk sich nicht an der Finanzierung des Denkmals beteiligen werde. Der Grund: Friedrichshain-Kreuzberg ist, wie alle Berliner Bezirke, chronisch unterfinanziert. „Wir haben schon Probleme, die Instandhaltung der bestehenden Denkmäler zu bezahlen“, sagt Heck. Die Menschenlandschaft am May-Ayim-Ufer in Kreuzberg beispielsweise werde regelmäßig besprüht und müsse gereinigt werden.
Kein Geld für Denkmäler
Zudem würden immer wieder Gedenktafeln gestohlen, die an Menschen im Widerstand gegen die Nazis erinnern, führt der Bezirksverordnete fort. Die Kreuzberger Zivilgesellschaft sei sehr aktiv, „aber auch hier ist die Neue Rechte auf dem Vormarsch“. Ob das Landauer-Denkmal zur Zielscheibe werde, könne er nicht einschätzen.
Laut dem Bezirksamt gibt es in Friedrichshain-Kreuzberg derzeit 139 Skulpturen und Denkmäler. Neue Gedenkorte sind schon seit mehr als einem Jahrzehnt nicht hinzugekommen. Der Bezirk gedenkt zwar an mehreren Orten Karl Marx, aber nur einer einzigen Frau. Es handelt sich um Mathilde Jacob. Die enge Vertraute von Rosa Luxemburg wurde 1943 im KZ Theresienstadt ermordet.
Nun also wieder ein Mann: Landauer wurde am 1870 in Karlsruhe geboren und zog mit 19 Jahren zum Studium nach Berlin. Schnell schloss er sich politischen Gruppen an. Außerdem begann er, für verschiedene Zeitungen zu schreiben, Theaterstücke und Romane zu verfassen. Das machte er auch für die Neue Freie Volksbühne und den Friedrichshagener Dichterkreis. Bekannt geworden sind seine Übersetzungen von Shakespeare, Meister Eckhart und dem russischen Anarchisten Pjotr Kropotkin. Diesen lernte er in London kennen.
Kapitalismus bleibt Scheiße
Dorthin war Landauer mit seiner Geliebten, der Übersetzerin und Dichterin Hedwig Lachmann, gezogen. Bei ihrer Rückkehr fanden sie dank des anarchistischen Schriftstellers Erich Mühsam eine Wohnung in Hermsdorf. Dort hängt seit 1991 eine Tafel, die an Landauer erinnert. Einen weiteren Gedenkort gibt es in Berlin nicht.
Jan Rolletschek promoviert über Landauers intellektuelle Beziehung zu einem bis heute einflussreichen Philosophen, aus dem 17. Jahrhundert: Baruch de Spinoza. „Die Philosophie Spinozas findet man in praktischer Gestalt in Landauers Werk“, sagt Rolletschek. So spiele etwa die Freude in Landauers Schriften eine große Rolle, was er in der Affektenlehre Spinozas begründet sieht. „Aufgrund seiner Geldsorgen und seiner Ermordung konnte Landauer kein philosophisches Spätwerk schreiben“, erklärt Rolletschek. Deshalb versuche er in seiner Dissertation, „die Philosophie aus Landauers Werk herauszuziehen“.
Getrieben ist die Landauer-Initiative, so scheint es zumindest im Gespräch mit Rolletschek, von einer tiefen Bewunderung der anarchistischen Ideen Landauers. „Die kapitalistische Produktionsweise treibt die Welt in den Abgrund“, sagt er. Dies sehe man ja an der Weltlage. Deshalb halte er persönlich den „freiheitlichen Sozialismus“ für eine „wünschbare Alternative“.
Von Freikorps ermordet
Auch Prominenz zeigte sich bei der Crowdfunding-Auftaktveranstaltung in der Nürtingen-Grundschule: Der Musiker und Autor Konstantin Wecker war mit einer 13-minütigen Grußbotschaft präsent. „Landauer warnte vor autoritären Tendenzen im sozialistischen Lager – schon vor dem Stalinismus“, sagt er darin.
In Berlin hat Landauer den Großteil seines Lebens verbracht, trotzdem wird er meist mit der Münchner Räterepublik 1919 verbunden. Damals übte er das Amt des Volksbeauftragten für Volksaufklärung, Unterricht, Wissenschaft und Künste aus und schaffte beispielsweise die Prügelstrafe ab. Kurz nach der blutigen Niederschlagung der Räterepublik wurde Landauer am 2. Mai von Freikorps ermordet.
Sein fünf Meter hohes Grabdenkmal in München zerstörten die Nazis wenige Monate nach der Machtergreifung 1933. Die Urne schafften sie zum jüdischen Friedhof, denn Landauer war Jude. „Die Auslöschung und Vernichtung von freien Menschen wie Landauer darf den Nationalsozialisten niemals gelingen“, sagt Konstantin Wecker. Auch deshalb habe er mit Freude und aus tiefster Überzeugung die Schirmherrschaft für das neue Denkmal übernommen.
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