Zeitfahren beim Giro d'Italia: Er funktioniert
Altmeister Primož Roglič fährt gegen die Uhr ins Rosa Trikot. Auch wenn er es wieder abgegeben hat, die Konkurrenten wissen jetzt, wie stark er ist.
Das passierte ebenfalls beim Zeitfahren. Kleiner Unterschied: „2023 gewann ich auch die Etappe. Jetzt wurde ich Zweiter“, sagte Roglič. Ihn wurmte es durchaus, dass er seinen bislang vier Etappensiegen beim Giro keinen weiteren hinzufügen konnte. „Ja, natürlich, du willst immer vorn sein“, sagte er. Nur um 24 Hundertstelsekunden war er langsamer als Großbritanniens jugendliche Hoffnung Joshua Tarling. Der ziemlich entspannt wirkende Roglič meinte aber auch: „Ich kümmere mich nicht mehr so sehr um Resultate. Ich bin zu alt, um mich von solchen Details stressen zu lassen. Mir ist es wichtig zu wissen: Ich bin gesund. Ich funktioniere. Und ich habe ja auch ein gutes Zeitfahren absolviert.“
Der 35-Jährige ist mittlerweile derart wenig fokussiert auf Zwischenergebnisse, dass er nicht einmal auf dem Schirm hatte, dass seine Zeit reichen könnte für das Rosa Trikot. Er hatte bereits seine Privatkleidung angezogen und war offenbar auf dem Weg ins Hotel, als ihn die Nachricht von der Pflicht zu Siegerzeremonie und Pressekonferenz erreichte. Dort kam er dann ganz ordentlich in Rosa an und bekannte: „Ja, ich war wirklich überrascht. Und jetzt bin ich glücklich, das Trikot zu haben.“
Sportjournalisten allerdings sind gnadenlos und wollten mitten in Roglič’ Freude hinein wissen, wie lange er es denn zu halten gedenke. „Wichtig ist, das Trikot am letzten Tag zu tragen“, spielte er auf seinen Sieg kurz vor Ultimo im Jahre 2023 an. Und tatsächlich hat er am Tag darauf das Leadertrikot schon wieder abgegeben. Das trägt nun wieder der Däne Mads Pedersen, der nach der Auftaktetappe auch den dritten Tagesabschnitt für sich entscheiden konnte.
Läuft also alles nach Plan? Roglič hat mit dem freiwilligen Überlassen der Führung ja auch schon böse Erfahrungen gemacht.Bei der Vuelta im letzten Jahr ließ er den Kanadier Ben O’Connor mehr als sechs Minuten entkommen – und brauchte dann fast die gesamte restliche Rundfahrt, um den Rückstand wieder aufzuholen. „Jetzt sollten es ein paar Minuten weniger werden“, blickte er voraus. Nun, er hat selbst sein Schicksal in der Hand und kann zumindest indirekt mitentscheiden, wer wann mit wie viel Vorsprung sein Trikot übernimmt.
Seltener Erfolg für das Team
Über eines kann er sich definitiv freuen. Seinen mutmaßlich härtesten Rivalen, Juan Ayuso, hat er in die Schranken gewiesen. Das spanische Großtalent verlor 16 Sekunden auf Roglic. Der Pogačar-Vertreter beim Team Emirates mochten dabei auch Folgen seines Sturzes auf der ersten Etappe eingeschränkt haben. Der erste Auftritt der Klassementfahrer ging aber eindeutig an Roglič. Dem Italiener Antonio Tiberi nahm er 25 Sekunden ab, den beiden Yates-Zwillingen 33 und 36 Sekunden, dem früheren Giro-Sieger Richard Carapaz deren 37.
Das sind die wichtigsten Podiumskandidaten. Und auch im eigenen Rennstall Red Bull-Bora-Hansgrohe sorgte er für klare Verhältnisse in Tirana und liegt nach dem Zeitfahren 39 Sekunden vor dem früheren Giro-Sieger Jai Hindley und gar 1:18 Minuten vor dem letztjährigen Zweiten der Italienrundfahrt, Dani Martinez.
In dieser Konstellation kann Roglič sich tatsächlich zurücklehnen. Er muss nicht in erster Linie sein Trikot verteidigen, sondern lediglich aufpassen, dass sein Vorsprung vor den wichtigsten Rivalen intakt bleibt. Seinem Rennstall beschert er nach dem bislang arg misslungenen Frühjahr nun endlich wieder das, was mit den kolportierten 50 Millionen Euro Jahresbudget auch kommen soll: Große Momente bei großen Rennen und fest gebuchte Plätze bei Siegeszeremonien.
Bislang steht die Siegesbilanz des Teams bei mageren neun. Das hat Tadej Pogačar fast schon allein geschafft. Sein Team Emirates kommt auf 37 Siege, das bisher zweiterfolgreichste Team Lidl Trek mit dem Sieger der ersten Giro-Etappe, Mads Pedersen, auf immerhin 16. Da ist noch Luft nach oben. Der nicht mehr so sehr auf Resultate schielende Roglič dürfte diese Bilanz in Italien in seiner aktuellen Verfassung aber stark verbessern.
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