Kämpfe zwischen Pakistan und Indien: Eskalation im Kaschmir-Konflikt
Die beiden Atommächte Indien und Pakistan liefern sich erbitterte Kämpfe. Und die USA als bewährter Vermittler fallen aus.

Bisher folgt die Entwicklung Mustern. Es ist der fünfte Konflikt, in dem es um das seit 1947 von beiden Ländern beanspruchte Kaschmir geht. Mit Luftangriffen geht Indien nach der „Cold Start Strategy“ vor, die es seit der Jahrtausendwende bei Auseinandersetzungen mit Pakistan anwendet, letztmalig 2019 bei den Grenzscharmützeln mit dem verfeindeten Nachbarland. Sie sieht vor, in beschränktem Umfang anzugreifen, um das Risiko eines umfassenden Kriegs zu reduzieren. Auf dieser Linie liegt auch die Erklärung des indischen Verteidigungsministeriums unmittelbar nach den Angriffen, in der es jene als „angemessen“, „nichteskalatorisch“ und allein mit dem Ziel, Terroristen zu treffen, beschrieb. Wenngleich die indische Regierung auch wenig subtil betonte, von umfassenderen Maßnahmen abgesehen zu haben.
Indiens Nukleardoktrin sieht keinen Erstschlag vor. Hauptziel der Atomdoktrin des militärisch wesentlich schwächeren Pakistan ist es dagegen, auch gegen eine konventionelle Aggression Indiens abzuschrecken. In gewissen Bedrohungslagen ist demnach ein früher Ersteinsatz von Atomwaffen vorgesehen. So hat Pakistans Verteidigungsminister Khawaja Muhammad Asif schon am 5. Mai an diese Option erinnert: „In der aktuellen Situation müssen einige strategische Entscheidungen getroffen werden.“ Die aktuelle militärische wie auch die zivile Führung in Islamabad scheinen noch weniger als ihre Vorgänger geneigt, Konflikte mit Neu-Delhi zu deeskalieren.
Die Gefahr einer atomaren Eskalation ist also durchaus gegeben und war es bereits in der Vergangenheit: Das US-Außenministerium kam laut einer im Februar veröffentlichten Studie zu den zurückliegenden indisch-pakistanischen Konflikten zu der Ansicht, dass trotz einer grundsätzlich geringen Wahrscheinlichkeit eines Kriegs durch eine „Fehleinschätzung oder irrationalen Reaktion“ ein „konventioneller Krieg […] in einen Atomwaffenaustausch“ hätte münden können. Ein besonders gefährlicher Schritt auf der Eskalationsleiter ist demnach der hin zu einem offenen Krieg.
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Internationale Lage hat sich verändert
Einen Faktor, der zur Eskalation beitragen könne, sah die Studie im Erstarken radikaler Kräfte, namentlich der BJP, der hindunationalistischen Partei des heutigen Premierministers Narendra Modi. Mit ihr ist Modi bereits in der dritten Legislaturperiode an der Macht. Indien hat sich von der Gleichberechtigung der Religionen weitgehend verabschiedet und benachteiligt, in seinem Teil Kaschmirs wie im gesamten Land, die muslimische Minderheit – mit breiter Unterstützung wachsender Teile der Bevölkerung, zunehmend auch der Opposition.
Doch die internationale Lage hat sich geändert. Die USA sind nicht mehr Pakistans strategischer Partner. Indien ist von Moskau weg- und näher an Washington herangerückt. Auch weil Washington Neu-Delhi als Verbündeten im Machtkampf gegen Peking sieht. Gleichzeitig greift von der Ukraine bis Gaza international das Gesetz des Stärkeren um sich, wenn es um die Lösung von Grenzfragen oder Gebietsansprüchen geht.
Pakistan ist unterdessen in den vergangenen Jahren politisch und wirtschaftlich weiter ins Abseits geraten. China hat die USA als Partner der Islamischen Republik abgelöst, aber der Einfluss Pekings, das über den kleinen Nachbarn im Süden einen Zugang zum Arabischen Meer hat, ist begrenzt und vor allem umstritten. Immer wieder kommt es im Land zu Angriffen auf Chinesen.
Dass Peking im aktuellen Konflikt zur Besonnenheit aufruft, ist wenig überraschend. Auch Iran versucht zu schlichten. Die USA sind bisher ausgefallen. Dabei waren sie in vergangenen Konflikten entscheidend. Doch während Washington letztmalig 2019 insbesondere Pakistan zum Einlenken bewegt hat, hat Donald Trump jetzt nicht mehr getan, als zu erklären, der aktuelle Konflikt sei eine „Schande“, er gehe davon aus, dass die Kontrahenten ihn „auf dem einen oder anderen Weg“ lösen werden.
Dass die USA sich in Bezug auf diesen Konflikt als wenig verantwortlich betrachten, entspricht Trumps außenpolitischer Linie. Doch damit fehlt es jetzt an einem machtvollen Vermittler, der eine diplomatische Lösung herbeiführen könnte, bei der beide Seiten das Gesicht wahren können. Allerdings beschädigen die USA damit auch ihre eigenen Interessen: Anhaltende Spannungen in Südasien würden den neuen Partner Indien im Machtkampf gegen China binden. Ganz egal, welche Dimension sie haben.
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