: Was in den Sternen steht
Katja Kullmann folgt in ihrem ersten Roman „Stars“ den Spuren einer Astrophilosophin – oder einer Hochstaplerin?
Von Andreas Rüttenauer
Einmal mit dem Cabrio von einer, die Felicitas Miller von Blachno heißt, durch die Landschaft kutschiert werden – das hätte doch was. Man könnte staunen über ihren Look: „XXL-Sonnenbrille, Ohrringe, Halsketten, Kettengürtel, ein flirrendes Gehänge von Kopf bis Fuß, First-Class-Hippie-Style, teuer, aber billig.“ So beschreibt Carla Mittmann ihre Kundin und fühlt sich in der Sommerhitze schnell recht unwohl in ihrem viel zu warmen „Businesswomananzug“.
Da muss sie jetzt durch. So ist es eben, das neue Leben, das sie für sich erfunden hat. Das führt sie auch mal in eine Villa, die so aussieht, „wie sich die Set-Dekorateure beim 'Tatort’ zeitgemäßen Reichtum vorstellen“. Carla Mittmann, die Ich-Erzählerin in Katja Kullmanns Roman „Stars“, ist seit ein paar Wochen als Astrophilosphin im Netz und draußen in der realen Welt unterwegs. Sie stolpert durch die Welt, in der sie Karriere machen möchte, ohne ihr Ziel aus den Augen zu verlieren – mit den Sternen ein Star zu werden.
Da laufen jede Menge Leute durch die Seiten, die von Katja Kullmann süffisant mit einer Lust am Überzeichnen beschrieben werden, dass man ihnen am liebsten noch am Tag der Lektüre selbst begegnen würde. Aber vielleicht ist man das ja schon längst. Dieser karrierebewusste Jung-BWLer, der die Mittmann so nervt, als sie noch halbtags im Büro eines Möbelunternehmens arbeitet, der ist einem doch bestimmt schon mal begegnet. Genauso wie der Taxi-Fahrer, der so gar nicht nach Chauffeur aussieht und den man am liebsten fragen würde, was er denn eigentlich studiert hat.
Carla Mittmann ist auch so eine Eigentliche. Sie hat Philosophie studiert, wollte promovieren und ist dann exmatrikuliert worden. Ein Skandal? Könnte schon sein. Oder ist sie zu weit gegangen mit ihren astrologischen Experimenten, die sie für die Dissertation durchgeführt hat? Auch möglich. Oder war es eine Fügung? Die Sterne waren es. Da ist sich Mittmann am Ende sicher. Nur so konnte sie ja am Ende werden, was es eigentlich gar nicht gibt: Astrophilosophin.
Ihr gelingt es also auszubrechen aus ihrem öden Büroalltag, wo sie sich um so Sachen kümmert wie die „Stornierungsweiterleitung einer versehentlich doppelt georderten Broschürenstellwand“, aus der Einsamkeit der typischen Büroangestellten, die auf einem „nach ergonomischen Gesichstpunkten gestalteten Bürostuhl mit pneumatischer Sitzschalensenk- und -hebefunktion“ hockt. Den Anstoß zum Ausstieg gibt ein Stein, der eines Nachts durch ihr Fenster in die Wohnung fliegt. Dann hat auch noch jemand mit Kreide „Freiheit für Mittmann“ auf den Gehsteig vor ihrem Haus geschrieben. Und ein Paket mit 10.000 US-Dollar drin, das sie vor ihrer Haustür findet. Woher das kommt, würde sie schon gerne wissen. Es muss ja schließlich etwas zu bedeuten haben. Fügung? Klar, die Sterne. Am Ende ist sich Carla Mittmann da ganz sicher.
Katja Kullmann, die als Sachbuchautorin („Generation Ally. Warum es heute so kompliziert ist, eine Frau zu sein“, „Die singuläre Frau“) Erfolge gefeiert hat, beschreibt in ihrem ersten, irrsinnig bilderreichen Roman temporeich, wie es dazu kommen kann, dass man dem eigenen Tun regelrecht verfällt. Dass sie mal an die Sterne glauben würde, hätte sich die Studentin Mittmann, die in einer ihrer Seminararbeiten ein „Soziogramm eines Flaschensammlers“ entworfen hat, gewiss nicht träumen lassen. Aber schon bei ihrem ersten Hausbesuch als Astrophilosophin bei jener klimpernden Felicitas Miller von Blachno wundert sie sich, „mit welcher Präzision das Horoskop dieser Frau das abbildet, was sie mir hier nun gerade schniefend zu erzählen versucht“. Es muss also was dran sein an der Sternendeuterei.
Katja Kullmann: „Stars“. Hanser Berlin Verlag, Berlin 2025, 256 Seiten, 24 Euro
Und so ist die Astrologie für Mittmann am Ende mehr als eine Geschäftsidee. Und für die Gesellschaft erst recht. Nach einem Auftritt im Fernsehen schreibt die sich ernst nehmende Presse: „Das Comeback der Metaphysik: Die Philosophie besinnt sich auf ihre alten Tugenden.“ Katja Kullmann weiß, wie solche Überschriften gemacht werden. Sie war lange Redakteurin, unter anderem bei der taz, wo sie sich dem politischen Zeitgeschehen gewidmet hat.
Und jetzt das? Eine Romansatire über Astrohokuspokous? Warum denn nicht? Es darf ruhig auch mal Spaß machen, sich mit all den zutiefst verunsicherten Menschen zu befassen, die in diesen Zeiten, in der die Realität mehr und mehr zur Glaubenssache wird, Dinge für möglich halten, die sie selbst lange für unglaublich hielten. Das macht den Roman durchaus politisch, auch wenn Politik nun wahrlich keine Rolle spielt im Leben von Carla Mittmann.
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