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Friedliche Aussichten – trotz Milei

In Argentinien gäbe es viele Gründe für Protest, es bleibt wohl trotzdem ruhig

Aus Buenos Aires Jürgen Vogt

Mit einer Ankündigung hat die argentinische Regierung den Gewerkschaftsdachverband CGT in ein Dilemma gestürzt. „Donnerstag, 1. Mai: Tag der Arbeit. Freitag, 2. Mai: arbeitsfreier Tag für touristische Zwecke.“ Die Folge dieses Fin de Semana XXL, dieses viertägigen Wochenendes: Am 1. Mai sind viele schon unterwegs Richtung Kurzurlaub statt demonstrierend auf der Straße.

Also soll die traditionelle Veranstaltung zum Tag der Arbeit dieses Jahr am 30. April stattfinden, doch da müssen die meisten arbeiten. Der diesjährige Marsch zum Monument „Canto al Trabajo“ (Ode an die Arbeit) dürfte deshalb im engsten Kreis begangen werden. Nur kleine linke Parteien und Organisationen haben zu einer Veranstaltung direkt am 1. Mai aufgerufen, und auch sie rechnen mit keiner allzu großen Teilnehmerzahl: Die Protestveranstaltung findet in einer überdachten und überschaubaren Sporthalle satt. Und so wird es in den Straßen von Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires am 1. Mai ruhig und leer sein, während sich eine Blechkarawane mit jenen, die es sich leisten können, in Richtung der südlichen Badeorte am Atlantik bewegen wird.

Diese friedlichen Aussichten für den 1. Mai überraschen angesichts der radikalen Sparpolitik der nicht mehr ganz so neuen Regierung des libertären Präsidenten Javier Milei. Die führte bereits zur Streichung von Zehntausenden von Arbeitsplätzen und zum Rückgang der Reallöhne und Renten und damit der Kaufkraft der Einkommen. Doch so wie der Wahlsieg von Javier Milei die gesamte politische Landschaft wie ein Erdbeben erschüttert hat, hat er auch die Gewerkschaften getroffen – auch wenn Milei erst vor wenigen Wochen den dritten Generalstreik während seiner siebzehnmonatigen Amtszeit erleben musste.

Wie die traditionellen Parteien sind auch die Gewerkschaften bei vielen diskreditiert. Einige ihrer Bosse sind seit Jahrzehnten im Amt oder ihre Nachfolge wurde innerfamiliär geregelt. Gleichzeitig gleichen viele Einzelgewerkschaften eher Sozial- und Krankenversicherungsunternehmen, die ihre eigenen Interessen verfolgen, anstatt als kämpferische Organisationen für die Rechte der Arbeitnehmer einzutreten.

Dies war nicht immer der Fall. Im Jahr 1890 wurde der 1. Mai in Buenos Aires zum ersten Mal mit Demonstrationen gefeiert, die hauptsächlich aus dem damaligen sozialistischen Lager kamen. Seit 1925 ist der 1. Mai ein gesetzlicher Feiertag im Land, der laut Gesetzestext „die Pflicht der öffentlichen Hand beinhaltet, ihn zu einem heiteren und glückverheißenden Tag der sozialen Solidarität und des geistigen Friedens zu machen“. Ein Satz, der auch aus der eingangs erwähnten Ankündigung der Regierung von Milei stammen könnte.

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