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Wie innere Landschaften

Mit seinen Porträts wurde der Berliner Maler Frank Auerbach weltberühmt. Erst jetzt zum Gallery Weekend eröffnet die Galerie Michael Werner die erste Ausstellung Auerbachs in Berlin

Das Selbstbildnis entstand kurz vor Auerbachs Tod. Frank Auerbach „Self Portrait“, 2024 Foto: Cortesy The Estate of Frank Auerbach

Von Martin Conrads

Die bislang einzige Berliner Ausstellung des in seiner Heimatstadt weitgehend unbekannten Malers Frank Auerbach fand 1983 in Berliner Jugendzimmern statt: Viele junge New Romantics dürften sich seinerzeit beim Betrachten des Covers des Doppelalbums „Oil on Canvas“ der englischen Synthiepop-Band „Japan“ gefragt haben, wen oder was sie da eigentlich ansehen. Abgebildet ist, mit viel Farbauftrag gemalt, ein verzerrter Kopf, die Haut sehr weiß, grobe schwarze Striche und Kurven lassen Augen, Nase, Mund erahnen, verleihen einem Gesicht die Konturen, das wohl keine KI auf die Person zurückführen könnte, die hier Modell saß. Auch Geschlecht oder Alter bleiben unklar – figürlich und doch weit entfernt von realistischer Darstellung erinnern die erdigen Farben von Schultern und Hintergrund an Landschaft – tatsächlich eher an eine innere, und man fragt sich, ob es das ist, was das Bild so intensiv wirken lässt.

Wer auf die Rückseite des Covers blickte, konnte die Zeile „Cover Painting, Head of JYM II’ 1980 by Frank Auerbach“ lesen, womit zumindest das Rätsel um die Urheberschaft des Gemäldes gelöst war, noch nicht aber das der porträtierten Person. Julia Yardley Mills war es, die ab 1957 zweimal die Woche über 40 Jahre lang dem Künstler Modell saß, wie auch rund ein Dutzend anderer Personen, denen Auerbach Porträts widmete. Mit diesen wurde er weltberühmt – nur eben nicht in Berlin, seiner Geburtsstadt.

1931 auf die Welt gekommen, verbrachte er die ersten Jahre im Wilmersdorfer Elternhaus; sein Vater war Anwalt, seine Mutter hatte Kunst studiert, einer seiner Cousins war Marcel Reich-Ranicki. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft entschlossen sich die Eltern 1939, ihren Sohn vor der Verfolgung durch die Nazis zu schützen und schickten ihn nach England. Sie selbst blieben in Berlin, wurden 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. In London heimisch geworden, studierte Frank Auerbach ab 1948 Kunst, zuerst an der St. Martin’s School of Art, später am Royal College. Mit seinen figürlichen, sehr expressiven Zeichnungen und Gemälden – Londoner Straßenszenen und Porträts etwa von Freunden – wurde er ab den 1970er-Jahren, neben Malern wie Lucian Freud oder Francis Bacon, der „School of London“ zugerechnet. Der Künstler vertrat Großbritannien auf der Biennale von Venedig oder zeigte seine Zeichnungen in der National Gallery.

Ab den 1970er Jahren wurde er der „School of London“ zugerechnet

Im November ist Frank Auerbach in London gestorben; nun zeigt die Berliner Dependance der Galerie Michael Werner die erste Ausstellung nach seinem Tod – und die tatsächlich erste Ausstellung Auerbachs in Berlin. Einige Wochen vor deren Eröffnung erzählt die Londoner Kunsthistorikerin Catherine Lampert der taz in den Galerieräumen von der Ausstellung, die sie kuratiert. Lampert hat nicht nur eine Biographie über Auerbach geschrieben und eine Retrospektive des Künstlers konzipiert, die 2015/16 in Bonn (Kunstmuseum) und London (Tate Britain) gezeigt wurde, sie saß ihm auch über 40 Jahre lang Modell, von 1978 bis zum September 2024. Auerbachs Ausstellung sei bereits vor seinem Tod geplant gewesen, so Lampert. Ihm hätte die Idee gefallen, in Berlin auszustellen, gekommen wäre er wohl aber nicht. Er sei eher ungern verreist, zuletzt immer nur einmal im Jahr für einen Tag nach Brighton. Das erste Mal wieder in Deutschland sei er 1986 und 1987 gewesen, zu seinen Ausstellungen in Hamburg und Essen, danach nicht mehr. Selbst seine Tate-Retrospektive habe er nicht zur Eröffnung besucht.

Er zitierte William Butler Yeats, während er mit den Pinseln hantierte

Während der stundenlangen Modellsitzungen habe Auerbach den irischen Dichter William Butler Yeats zitiert, während er mit den Pinseln jonglierte und eine Farbschicht nach der anderen auftrug, um sie dann wieder abzukratzen, bis das Bild für ihn fertig war, aber Dinnereinladungen etwa habe er eher ausgeschlagen. Seine haptischen Porträts, die er selbst mit Goyas Spätwerk verglichen hat und die andere schon an präkolumbianische Terrakottaobjekte erinnerten, wollte er für sich selbst sprechen lassen, sein Werk nicht mit seiner Biographie in Verbindung bringen lassen; einen impliziten Einfluss des Holocaust auf sein Werk habe er abgestritten.

Unter den bei Michael Werner gezeigten Bildern findet sich auch ein Porträt von Catherine Lampert, eines seiner Frau Julia und ein Gemälde, das eine Szenerie in der Nähe seines Ateliers in Camden Town einfängt, in dem er – ohne Assistenten – ab 1954 und bis zuletzt sieben Tage in der Woche an seinen Bildern arbeitete. Und es wird eines seiner Selbstbildnisse gezeigt, eine Motivwahl, die er während der Pandemie notgedrungen vertiefte. Es ist kurz vor seinem Tod entstanden – aus dem er kein großes Aufsehen machen wollte. Kein öffentliches Begräbnis fand statt, nicht einmal ein privates, dies sei ihm nicht wichtig gewesen, erzählt Lampert. Dass sein Sohn Jake, der als Filmemacher bereits zweimal den Schaffensdrang seines Vaters dokumentierte, seinen neuen Film „Frank Auerbach: life and death“ nennt, hat allerdings nur mittelbar mit dessen Tod zu tun, vielmehr entspricht der Titel der deutschen Redewendung, nach der Frank Auerbach gemalt habe, als sei es um sein Leben gegangen.

Frank Auerbach: Galerie Michael Werner. 3. Mai bis 28. Juni. Premiere von „Frank Auerbach: life and death“ am 3. Mai in der „filmkunst66“.

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