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Wir backen das

Eberswalde ist die Stadt, in der Amadeu Antonio starb. Die AfD ist hier inzwischen stärkste Kraft und das Klima für Geflüchtete wenig einladend. Menschen wie der Bäcker Björn Wiese wollen sich damit nicht abfinden

Teil eines internationalen Teams: Sumeia (Mitte) bedient eine Kundin in der Bäckerei Wiese Fotos: Steve Braun

Aus Eberswalde Sezen Moeliker

Eine Bäckerei ist ein guter Ort, um zu arbeiten, wenn man die Sprache noch nicht beherrscht. „Man braucht gute Augen“, sagt Björn Wiese, „die sehen können, wie man Brot backt. Die Sprache kommt dann später.“ Irgendwann müsse man die Fachbegriffe lernen. Zum Beispiel, dass das Brotformen „wirken“ heißt. „Oder dass wir dieses Plastik, mit dem man den Teig abstecht, einen Teigschaber nennen“, erklärt Wiese.

Björn Wiese, 52, eröffnete seine Bäckerei in Eberswalde in Brandenburg im Jahr 1998. Seit 2016 arbeiten dort auch viele Menschen mit Fluchtgeschichte. Bäcker Wiese ist zudem eines von 4.000 Mitgliedern des Netzwerks „Unternehmen integrieren Flüchtlinge“. Dieses Netzwerk ist die größte Organisation in Deutschland, die sich für die Beschäftigung und Ausbildung von Gefüchteten engagiert.

Im vergangenen Jahr, so die Projektleiterin Sarah Strobel, traten 500 neue Unternehmen dem Netzwerk bei. „Wir stellen immer wieder fest, dass gerade dann, wenn das politische und gesellschaftliche Klima schwieriger wird, viele neue Mitglieder zu uns stoßen“, sagt Strobel. „Viele Unternehmen nutzen ihre Mitgliedschaft im Netzwerk, um ein Zeichen zu setzen und zu zeigen, dass sie offen für die Beschäftigung und Ausbildung von Flüchtlingen sind.“

In Eberswalde ist eine solche Offenheit gegenüber Gefüchteten nicht selbstverständlich. Bei den letzten Bundestagswahlen erzielte die AfD hier mit über 31 Prozent die meisten Stimmen. Die Stadt mit ihren 43.000 Einwohnern (Stand 2023) hat zudem „nicht gerade eine glorreiche Vergangenheit“, wie Wiese sagt. Anfang der 1990er Jahre war Eberswalde stark vom Rechtsextremismus geprägt – den sogenannten „Baseballschlägerjahren“. Eines der ersten Opfer rassistischer Gewalt nach der Wende war der 28-jährige Amadeu Antonio aus Angola, der 1990 nach einem brutalen Angriff von Neonazis in Eberswalde starb.

Als 2015 viele Geflüchtete nach Deutschland kamen, seien Menschen aus Eberswalde auf die Straße gegangen, um zu protestieren, erinnert sich Wiese. „Wir wollen diese Busse mit Geflüchteten hier nicht haben“, hätten sie gerufen. „Ich weiß, sie hatten Angst vor Fremden und dachten, jemand würde ihnen etwas wegnehmen“, sagt Wiese. „Aber ich fand das wirklich nicht in Ordnung. Das hat mich, auch wegen der Vergangenheit, schon berührt.“

Er und ein Freund überlegten damals: Was könnten wir dagegen tun? „Ich hatte keine Lust, dass in Eberswalde wieder so etwas passiert“, sagt Wiese. Also schmiedeten die beiden einen Plan. Sie luden Menschen mit Fluchtgeschichte ein, in ihrer mobilen Bäckerei mitten in der Stadt Brot zu backen. Später stellte Björn Wiese auch Geflüchtete in seiner Bäckerei ein oder bot ihnen Ausbildungsplätze an. Im Laufe der Jahre haben etwa 25 Personen mit Fluchtgeschichte bei ihm gearbeitet, einige davon haben eine Ausbildung in der Bäckerei absolviert. Alle haben einen von der Bäckerei finanzierten Deutschkurs besucht.

Seitdem habe sich das politische Klima noch einmal deutlich verändert, erzählt Wiese. „Jetzt, wo die AfD so groß geworden ist“, sei es manchmal schwierig, Menschen mit Flüchtlings- oder Migrationshintergrund langfristig in der Stadt zu halten.

Trotz des Personalmangels, der in ganz Deutschland spürbar ist, kann Wiese prinzipiell genügend Arbeitskräfte finden, um seine Bäckerei am Laufen zu halten. Doch die Personalfluktua­tion, vor allem bei Menschen mit Migrationshintergrund, sei hoch. Viele zögen zum Beispiel nach Nordrhein-Westfalen. Dort sei das Leben für sie etwas entspannter, meinten sie. „Ein ehemaliger Mitarbeiter mit Migrationshintergrund erzählte mir, dass er neulich Geld abheben wollte und von einem Passanten gefragt wurde, ob er sein ,Bürgergeld‘ abholen wolle“, erzählt Wiese.

Auch die 31-jährige Sumeia aus Libyen merkt, dass einige Leute in Deutschland sie hier nicht haben wollen. Sie arbeitet seit letztem Sommer als Verkäuferin bei der Bäckerei Wiese und lebt seit fast drei Jahren in Deutschland. Sie möchte nicht, dass ihr Nachname in diesem Artikel genannt wird. Zwei Jahre lang lebte sie in einer Flüchtlingsunterkunft in Neuruppin. Einige Menschen, denen sie dort begegnete, seien rassistisch gewesen, erzählt sie. Als sie dort zum Arbeitsamt ging, sei ihr gesagt worden, dass es keine Arbeit für sie gebe. „,Wir wollen nur Ukrainer‘, sagten sie.“

Durch einen Freund fand Sumeia schließlich einen Job in der Bäckerei Wiese und eine Wohnung in Eberswalde. Damit hatte sie Glück. Die fehlende Möglichkeit, eine Wohnung zu finden, ist einer der Hauptgründe, warum Geflüchtete keine Anstellung bei einem Arbeitgeber finden, wie eine jährliche Umfrage des Netzwerks „Unternehmen integrieren Flüchtlinge“ zeigt.

In den ersten Monaten sei sie nervös gewesen, wenn sie zur Arbeit ging, erzählt Sumeia. In der Bäckerei gingen ihr viele Gedanken gleichzeitig durch den Kopf. „Wie formuliere ich diesen Satz noch einmal gegenüber einem Kunden? Ich war aufgeregt, alleine hinter dem Tresen zu stehen. Ein Kollege ermutigte mich, es trotzdem zu tun. Jetzt stehe ich immer öfter alleine dort.“

„Wir Flüchtlinge in Brandenburg sind es gewohnt, dass man uns nicht mag“

Ali Alarib, Koch

Am Arbeitsplatz laufe es gut zwischen deutschen und internationalen Mitarbeitern, sagt Wiese. Natürlich gebe es in jedem Team von Zeit zu Zeit Spannungen, aber nicht unbedingt aufgrund kultureller oder religiöser Unterschiede. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Syrer und Afghanen sehr fleißig sind, aber sich erst daran gewöhnen müssen, dass die Deutschen mehr Wert auf eine Work-Life-Balance legen.“ Dann müsse man laut Wiese einfach erklären, was hier in Deutschland üblich sei.

„Vor einiger Zeit hatten wir viele syrische Mitarbeiter, die untereinander manchmal Arabisch sprachen“, sagt Wiese. „Das ist an sich kein Problem, aber es kann dazu führen, dass sich andere Mitarbeiter ausgeschlossen fühlen. Deshalb habe ich sie darum gebeten, ein wenig darauf zu achten.“

Ali Alarib ist seit 2021 Küchenchef im Café der Bäckerei Wiese. Er floh vor etwa 10 Jahren als 17-Jähriger aus Syrien nach Deutschland. Alarib findet es schwierig, als syrischer Mann in Deutschland zu leben. Es falle ihm schwer, Freunde unter den Deutschen zu finden. „Sie sind so verschlossen“, sagt er. Bis jetzt habe er keine Freunde in seinem Alter. „Ich kenne nur die älteren Leute, die mir zum Beispiel früher geholfen haben.“ Bei der Arbeit knüpfte er jedoch glücklicherweise soziale Kontakte, und seine Kollegen und er gingen regelmäßig gemeinsam essen.

Es war nicht sein Traum, Koch zu werden, sagt Alarib. Als Kind wollte er eigentlich im medizinischen Bereich arbeiten. Aber in Deutschland sei ihm sehr schnell klar geworden, wie schwierig der Zugang zu den Studiengängen oder Ausbildungsplätzen ist, die ihn interessierten. „Ich habe mich überall beworben – als Elektriker, als Klimaanlagenreparateur. Aber niemand hat mich eingestellt“, erzählt Alarib. Schließlich bekam er im Jugendzentrum für Flüchtlinge das Angebot, eine Ausbildung zum Koch zu machen. „‚Wir geben dir die Chance‘, sagten sie.“ Und er nutzte diese Chance.

Björn Wiese betreibt seine Bäckerei seit 1998, seit 2016 arbeiten hier Geflüchtete

Das Wahlergebnis hat Alarib nicht überrascht. „Wir Flüchtlinge in Brandenburg sind es gewohnt, dass man uns nicht mag. Die Menschen sind einfach nicht freundlich zu uns.“ Er erinnert sich an eine Situation, als er mit einem Freund afrikanischer Herkunft an einer Bushaltestelle wartete und ein Auto vor ihnen anhielt. Der Fahrer, ein weißer Deutscher, habe ihnen den Mittelfinger gezeigt und sei dann davongefahren. „Daran bin ich inzwischen gewöhnt“, sagt Alarib.„Ich habe viel für die Deutschen getan. Ich arbeite freiwillig als Helfer in der Ambulanz und bringe kleinen Kindern das Schwimmen bei. Aber weil es so offensichtlich ist, dass einige Leute mich hier nicht haben wollen, habe ich das Gefühl, dass ich dafür nichts zurückbekomme.“

Auch Verkäuferin Sumeia hat ähnliche Situationen erlebt. Vor einigen Wochen habe sie in der Nähe des Bahnhofs in Eberswalde ein Mann verfolgt, der betrunken war. „,Du musst Deutschland verlassen!‘, schrie er mich an. Ich hatte Herzklopfen vor Angst und bin schnell in einen Supermarkt geflüchtet, um mich sicherer zu fühlen.“ Danach erzählte sie einem Freund, was passiert war. Es sei besser, nachts nicht allein auf die Straße zu gehen, habe der zu ihr gesagt. „Es war erst sechs Uhr“, sagt Sumeia. „Aber vielleicht hat er ja recht.“ Heute geht sie nachts nicht mehr allein auf die Straße und meidet den Bahnhof.

Trotzdem möchte sich Sumeia eine Zukunft in Deutschland aufbauen. In Libyen hatte sie Business Management und Design studiert. Ihr Traum ist es, irgendwann als Innenarchitektin zu arbeiten.

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