Tag der Pressefreiheit 2025: Der Krieg um Informationen
Infowars bewegen sich zwischen Aufklärung, Propaganda und Fadenkreuz. Heute spielen soziale Medien, Blogs und Telegram-Kanäle eine wichtige Rolle.

Moderne Kriege sind unübersichtlich: Schlachtfelder sind weit verteilt, Waffen werden aus Tausenden von Kilometern Entfernung bedient und Kriegspropaganda hat mehr mediale Schauplätze als je zuvor. Von Kriegsberichterstatter*innen erhoffen wir uns zu erfahren, was in jenen chaotischen Verhältnissen wirklich passiert, wer im Verborgenen leidet und wer dafür verantwortlich ist.
Im Vietnamkrieg klärten US-amerikanische Journalist*innen die Öffentlichkeit zuhause nicht nur über die Gräueltaten des amerikanischen Militärs auf, sie halfen, mit ihrer Berichterstattung eine Kehrtwende im Krieg herbeizuführen. In Zeiten von Desinformation, politisierten Medien und enormer Gewalt gegen Journalist*innen haben einzelne Fotos oder Berichte kaum mehr solch eine Wirkkraft. Wir Lesenden müssen Medienkompetenz und kritische Distanz mitbringen, um uns selbstständig eine Meinung zu bilden.
Kriegsberichterstattung und staatliche Kriegspropaganda haben ein ambivalentes Verhältnis zueinander: Militär und Staat sind für die öffentliche Meinungsbildung auf Journalist*innen angewiesen. Journalist*innen profitieren häufig von neuen technologischen Entwicklungen, auch vorangetrieben durch Militärtechnologie. Das Militär ist Schutz, Bedrohung und Zensurbehörde zugleich.
Im Vietnamkrieg verschränkten sich mediale Entwicklung und Kriegsberichterstattung: Mitte der 1960er Jahre hatten viele amerikanische Familien schon einen Fernseher und der Krieg wurde über abendliche Nachrichten in die Wohnzimmer getragen. Diese Nachrichten wiederholten offizielle Aussagen, die das U. S. Public Affairs Office in Saigon veröffentlicht hatte.
Journalist*innen nutzen militärisches Transportsystem
Doch auch wenn viele Journalist*innen in Saigon blieben, nutzten einige das militärische Transportsystem, um sich frei in den Kriegsgebieten zu bewegen und die Zensur zu umgehen. So gelang es dem Fotografen Ron Haeberle 1968, das Massaker von Mai Lai zu dokumentieren, dessen grausame Bilder das Image der rechtschaffenen US-Intervention in Vietnam in Frage stellten.
Vietnam ist ein Beispiel, in dem Kriegsberichterstattung dazu beitrug, die öffentliche Meinung gegen den Krieg zu wenden. Dennoch blieben viele Journalist*innen dem übergeordneten amerikanischen Narrativ treu. Sie berichteten aus westlicher Perspektive, individualisierten das Leiden amerikanischer Soldaten und stellten Vietnamesen häufig als passive, anonyme Opfer oder als hinterlistige Feinde dar.
Nach der Niederlage in Vietnam stellte das US-Militär seinen Umgang mit Berichterstattung komplett um. Während der Invasion Panamas 1989 und im ersten Golfkrieg 1991 baute das Militär ein Poolsystem auf, in dem ausgewählte Kriegsberichterstatter*innen von Soldaten an vorbereitete Kriegsschauplätze gebracht wurden. Dies führte dazu, dass Journalist*innen häufig erst nach Gefechten an die Schauplätze gelangten und das Militär ein sauberes Bild vom Krieg vermitteln konnte.
Gleichzeitig hatten sich aber Medientechnologien weiterentwickelt und Nachrichtensender wie CNN konnten in Echtzeit aus dem Krieg berichten. Es konnte hautnah und direkt berichtet werden, doch aufgrund militärischer Kontrolle waren inszenierte oder kontextlose Bilder zu sehen. Medientheoretiker wie Jean Baudrillard kommentierten damals, dass nun die Selbstinszenierung der Nachrichtenmedien der eigentliche Inhalt der Kriegsberichterstattung geworden war. Sie vermittelte vermeintliche Live-Erfahrungen und Authentizität.
Nach dem ersten Golfkrieg wurde von Pressevertretern und Öffentlichkeit mehr Transparenz gefordert. Die Glaubwürdigkeit von Kriegsberichterstatter*innen war ins Wanken geraten. Im Irakkrieg 2003 wurden Journalist*innen daraufhin in Einheiten integriert und konnten die Kriegshandlungen live miterleben. Es entstand der Eindruck, dass die Journalist*innen vor Ort und unverfälscht berichten könnten.
Die Beilage der taz Panter Stiftung und Reporter ohne Grenzen zum Tag der Pressefreiheit 2025 finden Sie
Embedding führt zur Identifikation mit der Militäreinheit
Doch das sogenannte Embedding erlaubte den Reporter*innen kaum, Zusammenhänge zu verstehen, da sie in kontrollierter Umgebung einer Gruppe zugeteilt waren. Darüber hinaus identifizierten sie sich mit den Einheiten, denn sie waren auf sie angewiesen. Die Berichte reproduzierten die westliche Perspektive. Wieder dominierte das Medienspektakel die Berichterstattung und ziviles Leiden und komplexe Berichterstattung standen nicht im Vordergrund.
Ermordet oder verhaftet, aber nicht vergessen
Eine Antwort auf diese Probleme der etablierten Berichterstattung waren digitale Medien. Schon im Kosovokrieg 1998 hatte es E-Mail-Verteiler und Websites gegeben, durch die Reporter*innen unzensiert berichteten.
Im Irakkrieg 2003 konnte die Öffentlichkeit bei Bloggern wie Salam Pax direkt miterleben, wie es war, in Bagdad auf die US-Invasion zu warten. Der Infanterist Colby Buzzell beschrieb Gefechte aus nächster Nähe und postete das direkt in seinem Blog. Military Blogger in den USA lieferten die militärstrategische und politische Analyse. Soziale Medien schienen endlich die Nähe und Unverfälschtheit zu liefern, nach denen sich das westliche Publikum nach den Medienspektakeln am Ende des 20. Jahrhunderts sehnte.
Doch spätestens seit dem Ukrainekrieg wurden diese digitalen Augenzeugenberichte und sozialen Medien Teil eines komplexen Infowars, den Medienkonsument*innen kaum noch durchschauen können. Die Kriegsparteien zensieren die Berichterstattung streng und sind gleichzeitig in einen umfassenden Informationskrieg verwickelt, der auf vielfältigen Kanälen stattfindet und mit psychologischer Kriegsführung arbeitet.
Medienhäuser scheinen in nationale Narrative verfangen
Telegram-Kanäle werden zu Informationsquellen, Instagram-Reels zeigen ziviles Leiden, Milblogger*innen und Journalist*innen kommentieren – doch in einer Welt von KI und Deepfakes ist die Faktizität stets unklar. Die etablierten Medienhäuser scheinen in nationalen Kriegsnarrativen verfangen.
Zensur, Desinformation und eine politisierte Medienlandschaft charakterisieren auch den aktuellen Konflikt in Gaza. Nachrichtenorganisationen, die aus Israel oder Gaza über den Krieg berichten wollen, müssen ihr Material durch das israelische Militär zensieren lassen. Auch die Hamas erlaubt keine unabhängige Berichterstattung. Noch viel schwerer wiegt jedoch, dass Kriegsberichterstatter*innen in diesem Krieg selbst zu Zielen geworden sind und das israelische Militär anscheinend gezielt Journalist*innen tötet. Fast 200 sind in diesem Krieg bereits ermordet worden.
Die eigene Medienkompetenz schärfen!
Im Vietnamkrieg konnten Kriegsberichterstatter*innen einen Beitrag zur Aufklärung und Beendigung des Kriegs leisten. Nun müssen wir Medienkonsument*innen ihnen zur Seite stehen, nicht nur, indem wir das Ende der Journalist*innenmorde fordern, sondern auch, indem wir unsere Medienkompetenz schärfen.
Jede*r von uns kann Quellen nachverfolgen, ihre Glaubwürdigkeit bewerten und investigativen Journalismus finanziell unterstützen. Wir können stereotype Feindbilder ablehnen und verharmlosenden Militärjargon erkennen. Wir müssen immer die Möglichkeit der Fälschung im Hinterkopf haben und die eigene Medienblase auf der Suche nach zuverlässiger Berichterstattung verlassen. Dann können Kriegsberichterstatter*innen wieder dazu beitragen, unsere Meinung zu einem Krieg gewissenhafter zu bilden.
Johanna Roering ist Amerikanistin und hat zum Thema Military Blogs an der Universität Tübingen promoviert.
Dieser Artikel ist am 3. Mai 2025 als Teil einer gemeinsamen Sonderbeilage der taz Panter Stiftung und Reporter ohne Grenzen zum Tag der Pressefreiheit erschienen.
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