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Tag der Pressefreiheit 2025Der Krieg um Informationen

Infowars bewegen sich zwischen Aufklärung, Propaganda und Fadenkreuz. Heute spielen soziale Medien, Blogs und Telegram-Kanäle eine wichtige Rolle.

Kriegs­be­richt­erstat­te­r*in­nen im Vietnamkrieg – Bombardierung eines Dorfes mit Napalm im Jahr 1971 Foto: Bettmann Archive/getty images

Moderne Kriege sind unübersichtlich: Schlachtfelder sind weit verteilt, Waffen werden aus Tausenden von Kilometern Entfernung bedient und Kriegspropaganda hat mehr mediale Schauplätze als je zuvor. Von Kriegs­be­richt­erstat­te­r*in­nen erhoffen wir uns zu erfahren, was in jenen chaotischen Verhältnissen wirklich passiert, wer im Verborgenen leidet und wer dafür verantwortlich ist.

Im Vietnamkrieg klärten US-amerikanische Jour­na­lis­t*in­nen die Öffentlichkeit zuhause nicht nur über die Gräueltaten des amerikanischen Militärs auf, sie halfen, mit ihrer Berichterstattung eine Kehrtwende im Krieg herbeizuführen. In Zeiten von Desinformation, politisierten Medien und enormer Gewalt gegen Jour­na­lis­t*in­nen haben einzelne Fotos oder Berichte kaum mehr solch eine Wirkkraft. Wir Lesenden müssen Medienkompetenz und kritische Distanz mitbringen, um uns selbstständig eine Meinung zu bilden.

Kriegsberichterstattung und staat­liche Kriegspropaganda haben ein ambivalentes Verhältnis zueinander: Militär und Staat sind für die öffentliche Meinungsbildung auf Jour­na­list*in­nen angewiesen. Jour­na­lis­t*in­nen profitieren häufig von neuen technologischen Entwicklungen, auch vorangetrieben durch Militärtechnologie. Das Militär ist Schutz, Bedrohung und Zensurbehörde zugleich.

Im Vietnamkrieg verschränkten sich mediale Entwicklung und Kriegsberichterstattung: Mitte der 1960er Jahre hatten viele amerikanische Familien schon einen Fernseher und der Krieg wurde über abendliche Nachrichten in die Wohnzimmer getragen. Diese Nachrichten wiederholten offizielle Aussagen, die das U. S. Public Affairs Office in Saigon veröffentlicht hatte.

Jour­na­lis­t*in­nen nutzen militärisches Transportsystem

Doch auch wenn viele Jour­na­lis­t*in­nen in Saigon blieben, nutzten einige das militärische Transportsystem, um sich frei in den Kriegsgebieten zu bewegen und die Zensur zu umgehen. So gelang es dem Fotografen Ron Haeberle 1968, das Massaker von Mai Lai zu dokumentieren, dessen grausame Bilder das Image der rechtschaffenen US-Intervention in Vietnam in Frage stellten.

Vietnam ist ein Beispiel, in dem Kriegsberichterstattung dazu beitrug, die öffentliche Meinung gegen den Krieg zu wenden. Dennoch blieben viele Jour­na­lis­t*in­nen dem übergeordneten amerikanischen Narrativ treu. Sie berichteten aus westlicher Perspektive, individualisierten das Leiden amerikanischer Soldaten und stellten Vietnamesen häufig als passive, anonyme Opfer oder als hinterlistige Feinde dar.

Nach der Niederlage in Vietnam stellte das US-Militär seinen Umgang mit Berichterstattung komplett um. Während der Invasion Panamas 1989 und im ersten Golfkrieg 1991 baute das Militär ein Poolsystem auf, in dem ausgewählte Kriegs­be­richt­erstat­te­r*in­nen von Soldaten an vorbereitete Kriegsschauplätze gebracht wurden. Dies führte dazu, dass Jour­na­lis­t*in­nen häufig erst nach Gefechten an die Schauplätze gelangten und das Militär ein sauberes Bild vom Krieg vermitteln konnte.

Instagram-Reels zeigen ziviles Leiden, Militärblog­ge­r kommentieren den Kriegsverlauf, doch angesichts von KI und Deepfakes bleiben die Fakten stets unklar

Gleichzeitig hatten sich aber Medientechnologien weiterentwickelt und Nachrichtensender wie CNN konnten in Echtzeit aus dem Krieg berichten. Es konnte hautnah und direkt berichtet werden, doch aufgrund militärischer Kontrolle waren inszenierte oder kontextlose Bilder zu sehen. Medientheoretiker wie Jean Baudrillard kommentierten damals, dass nun die Selbst­inszenierung der Nachrichtenmedien der eigentliche Inhalt der Kriegsberichterstattung geworden war. Sie vermittelte vermeintliche Live-Erfahrungen und Authentizität.

Nach dem ersten Golfkrieg wurde von Pressevertretern und Öffentlichkeit mehr Transparenz gefordert. Die Glaubwürdigkeit von Kriegs­be­richt­erstat­ter*in­nen war ins Wanken geraten. Im Irak­krieg 2003 wurden Jour­na­lis­t*in­nen daraufhin in Einheiten integriert und konnten die Kriegshandlungen live miterleben. Es entstand der Eindruck, dass die Jour­na­lis­t*in­nen vor Ort und unverfälscht berichten könnten.

Beilage Tag der Pressefreiheit 2025

Die Beilage der taz Panter Stiftung und Reporter ohne Grenzen zum Tag der Pressefreiheit 2025 finden Sie

Embedding führt zur Identifikation mit der Militäreinheit

Doch das sogenannte Embedding erlaubte den Re­por­te­r*in­nen kaum, Zusammenhänge zu verstehen, da sie in kontrollierter Umgebung einer Gruppe zugeteilt waren. Darüber hinaus identifizierten sie sich mit den Einheiten, denn sie waren auf sie angewiesen. Die Berichte reproduzierten die westliche Perspektive. Wieder dominierte das Medienspektakel die Berichterstattung und ziviles Leiden und komplexe Berichterstattung standen nicht im Vordergrund.

Eine Antwort auf diese Probleme der etablierten Berichterstattung waren digitale Medien. Schon im Kosovokrieg 1998 hatte es E-Mail-Verteiler und Websites gegeben, durch die Re­por­ter*in­nen unzensiert berichteten.

Im Irakkrieg 2003 konnte die Öffentlichkeit bei Bloggern wie Salam Pax direkt miterleben, wie es war, in Bagdad auf die US-Invasion zu warten. Der Infanterist Colby Buzzell beschrieb Gefechte aus nächster Nähe und postete das direkt in seinem Blog. Military Blogger in den USA lieferten die militärstrategische und politische Analyse. Soziale Medien schienen endlich die Nähe und Unverfälschtheit zu liefern, nach denen sich das westliche Publikum nach den Medienspektakeln am Ende des 20. Jahrhunderts sehnte.

Doch spätestens seit dem Ukrainekrieg wurden diese digitalen Augenzeugenberichte und sozialen Medien Teil eines komplexen Infowars, den Me­di­en­kon­su­men­t*in­nen kaum noch durchschauen können. Die Kriegsparteien zensieren die Berichterstattung streng und sind gleichzeitig in einen umfassenden Informationskrieg verwickelt, der auf vielfältigen Kanälen stattfindet und mit psychologischer Kriegsführung arbeitet.

Medienhäuser scheinen in nationale Narrative verfangen

Telegram-Kanäle werden zu Informationsquellen, Instagram-Reels zeigen ziviles Leiden, Mil­blog­ge­r*in­nen und Jour­na­list*in­nen kommentieren – doch in einer Welt von KI und Deepfakes ist die Faktizität stets unklar. Die etablierten Medienhäuser scheinen in nationalen Kriegsnarrativen verfangen.

Zensur, Desinformation und eine politisierte Medienlandschaft charakterisieren auch den aktuellen Konflikt in Gaza. Nachrichtenorganisationen, die aus Israel oder Gaza über den Krieg berichten wollen, müssen ihr Material durch das israelische Militär zensieren lassen. Auch die Hamas erlaubt keine unabhängige Berichterstattung. Noch viel schwerer wiegt jedoch, dass Kriegs­be­richt­erstat­te­r*in­nen in diesem Krieg selbst zu Zielen geworden sind und das israelische Militär anscheinend gezielt Jour­na­lis­t*in­nen tötet. Fast 200 sind in diesem Krieg bereits ermordet worden.

Die eigene Medienkompetenz schärfen!

Im Vietnamkrieg konnten Kriegs­be­richt­erstat­te­r*in­nen einen Beitrag zur Aufklärung und Beendigung des Kriegs leisten. Nun müssen wir Me­di­en­kon­su­men­t*in­nen ihnen zur Seite stehen, nicht nur, indem wir das Ende der Jour­na­lis­t*in­nen­mor­de fordern, sondern auch, indem wir unsere Medienkompetenz schärfen.

Je­de*r von uns kann Quellen nachverfolgen, ihre Glaubwürdigkeit bewerten und investigativen Journalismus finanziell unterstützen. Wir können stereo­type Feindbilder ablehnen und verharmlosenden Militärjargon erkennen. Wir müssen immer die Möglichkeit der Fälschung im Hinterkopf haben und die eigene Medienblase auf der Suche nach zuverlässiger Berichterstattung verlassen. Dann können Kriegs­be­richt­erstat­te­r*in­nen wieder dazu beitragen, unsere Meinung zu einem Krieg gewissenhafter zu bilden.

Johanna Roering ist Amerikanistin und hat zum Thema Military Blogs an der Universität Tübingen promoviert.

Dieser Artikel ist am 3. Mai 2025 als Teil einer gemeinsamen Sonderbeilage der taz Panter Stiftung und Reporter ohne Grenzen zum Tag der Pressefreiheit erschienen.

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