: Bislang ein eher vorläufiges Gedenken
Lange tat sich Wolfsburg schwer mit seiner NS-Geschichte. Dank ehemaligen Häftlingen, einem Verein und sanftem Druck aus Frankreich entsteht jetzt eine Gedenkstätte

Von Esther Erök
Ein großer Supermarktkomplex und eine unscheinbare Hochhaussiedlung stehen heute zwischen dem Schlesierweg und der Breslauer Straße in Wolfsburg. Ein eigentlich historischer Ort, an dem Menschen unter grausamsten Bedingungen gelitten haben: Hier befand sich von 1944 bis April 1945 das KZ-Laagberg, ein Außenlager von Neuengamme: Eingerichtet worden war es im Auftrag der Volkswagen GmbH.
Die 800 inhaftierten Männer, alles politische Häftlinge, mussten hier Zwangsarbeit leisten. Jahrzehntelang wies nichts auf seine Existenz hin. In den 1960ern setzte man Wohnblocks aufs Grundstück. Erst durch den Einsatz ehemaliger Häftlinge, ihre Angehörigen und einer Bürgerinitiative entstand eine lokale Erinnerungskultur. Mittlerweile gibt es Pläne, dort eine echte Gedenkstätte zu errichten.
Am 7. April 1945 war das Lager aufgelöst und die Häftlinge auf Todesmärschen ins 150 Kilometer entfernte Sterbelager Wöbbelin geschickt worden. Daran erinnert eine Feierstunde am Freitag. Teilnehmen werden an ihr Oberbürgermeister Dennis Weilmann (CDU), aber auch der französische Botschafter François Delattre. Und es gibt Hoffnung, dass sich dieses Gedenken verstetigt.
Erst 2017 waren beim Bau eines Supermarktes die Fundamente des ehemaligen Lagers wiederentdeckt worden. Ein geschichtsträchtiger Fund. Die Funde wurden denkmalpflegerisch dokumentiert. „Teile der Fundamentreste verblieben als Bodendenkmal im Erdreich und sind konserviert“, sagt Historiker Maik Ullmann vom Freundeskreis Gedenk- und Lernort KZ-Außenlager Laagberg. Der Rest der Bausubstanz wurde dann in maßgefertigten Holzkisten an den provisorischen Gedenkort im nördlichen Teil des ehemaligen KZ-Geländes verbracht. Dort wurden die Reste in einem Flachzelt, ab Sommer 2021 dann in einer Zelthalle untergebracht. Die Amicale Internationale KZ Neuengamme (AIN), ein Dachverband ehemaliger Häftlinge des KZ Neuengamme, hätten lieber gehabt, dass die Barackenreste im Erdreich belassen und direkt am Fundort eine Erinnerungsstätte geschaffen würde, also dorthin, wo jetzt der Supermarkt steht.
Wolfsburg tat sich im Nachkriegsdeutschland lange schwer getan mit der eigenen NS-Vergangenheit – auch weil die Stadt keine andere Geschichte hatte. Gegründet worden war sie ja im Juli 1938 als „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“. Die Volkswagen-Werke waren direkt in die nationalsozialistische Kriegswirtschaft und die Zwangsarbeit eingebunden. Während der Autokonzern seit Mitte der 1990er um Aufarbeitung bemüht ist, setzte die Stadt eher aufs Vergessen. Erst ein Ratsbeschluss brachte 2020 den Plan einer Gedenkstätte auf den Weg. Ein Architektenwettbewerb wurde ausgeschrieben, ein Siegerentwurf prämiert.
„Den Entwurf finde ich gut“, sagt Uwe Paulsen, Vorsitzender des Freundeskreises. Aber danach sei lange Zeit nichts geschehen, moniert er. „Ich weiß ja nicht, was bei der Stadt im Hintergrund läuft“, so Paulsen zur taz. Aber seine Sorge war: Das ganze Projekt könnte versanden. Weil sich nichts tat, „sind wir dann 2022 schließlich als Freundeskreis mit der französischen Botschaft in Kontakt getreten“, sagt Paulsen. Denn, wie Historiker Ullmann erläutert: „Gut die Hälfte der Insassen waren Angehörige der Résistance“: Oft waren die Widerstandskämpfer vom mit den Nazis paktierenden Vichy-Regime in Frankreich inhaftiert und dann nach Deutschland ausgeliefert worden. Das mache den „Ort so besonders für die deutsch-französische Erinnerungskultur“, so die Einschätzung des französischen Botschafters Delattre auf Nachfrage der taz.
Entsprechend dieses Stellenwerts hatte er auch den Freundeskreis seinerzeit prompt nach Berlin eingeladen. „Das Gespräch war konstruktiv“, so erinnert sich Paulsen an das Treffen. Und es hatte Folgen: Wolfsburgs Oberbürgermeister Dennis Weilmann bekam ein offizielles Schreiben vom Botschafter. Dem versicherte Weilmann dann, die Gedenkstätte werde 2025 fertig geplant und 2026 schließlich gebaut werden.
Im VW-Werk selbst gibt es bereits seit 1999 eine Gedenkstätte, die an das Leid der rund 20.000 Zwangsarbeiter:innen erinnert, die für den Konzern während des Krieges schuften mussten. Das Gedenken an die Häftlinge des KZ Laagberg – in dem nahezu ausschließlich politische Gefangene eingesperrt waren – muss derzeit noch im von einem Bauzaun gesäumten weißen Zelt auf einer Rasenfläche stattfinden – neben der frisch errichteten Discounter-Filiale.
Paulsen ist immer noch skeptisch, dass sich das in absehbarer Zeit ändert. Delattre zeigt sich hingegen zuversichtlich: „Der Oberbürgermeister von Wolfsburg und sein Team“, so die Antwort auf die Anfrage der taz, „haben mir die genehmigten Baupläne und den genauen Zeitplan der Bauarbeiten vorgestellt und einen Ausblick auf einen möglichen Eröffnungstermin gegeben.“ Nach seiner Einschätzung sind die politischen und finanziellen Mittel „bereits gebündelt und zum Einsatz gebracht“ worden. „Ich fühle mich geehrt, heute bei der ersten Etappe der Umsetzung des Projekts dabei zu sein“, so Delattre. Zugleich kündigte der Diplomat an, dass er dessen weiteren Fortschritt „aufmerksam verfolgen“ werde.
Gedenkfeier am historischen Lagerort, Breslauer Straße, 4. 4., 13.45 Uhr
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