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Neue Koalition legt den Rückwärtsgang ein

Union und SPD einigen sich auf einen Koalitionsvertrag unter dem Titel „Verantwortung für Deutschland“. Personalfragen sind noch offen. Die Regierung soll Anfang Mai stehen.

Aus Berlin Sabine am Orde

Wie so oft in solchen Situationen hatte es die CSU besonders eilig: Um kurz vor 12 Uhr kam ihre Presseeinladung per Mail, die der beiden anderen Parteien folgten umgehend. Da war klar: 45 Tage nach der Bundestagswahl haben sich Union und SPD auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Der ist mit 144 Seiten deutlich dicker als von der CDU anvisiert und trägt den Titel: „Verantwortung für Deutschland“. Bei der Ampel war noch von Fortschritt die Rede gewesen.

Es geht vor allem darum, zu vermitteln, dass die Probleme jetzt angepackt werden

Aber als um kurz nach drei Uhr am Nachmittag dann die vier Par­tei­che­f*in­nen von Union und SPD im Paul-Löbe-Haus vor der Presse stehen, ist schnell klar: Hier geht es angesichts multipler Krisen, Verunsicherung im Land und hoher Zustimmungswerte für die AfD vor allem darum, zu vermitteln, dass die Probleme jetzt angepackt werden – und darum, Zuversicht zu vermitteln.

CDU-Chef Friedrich Merz, der bald Kanzler werden will, spricht von einem „Aufbruchssignal“, der vom Koalitionsvertrag ausgehe und der zeige: „Die politische Mitte dieses Landes ist in der Lage, die Probleme zu lösen.“ Dann ist er schnell bei der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, die nun gestärkt, und der Begrenzung der irregulären Migration, die nun begrenzt werden solle. Merz stand zuletzt parteiintern stark unter Druck, weil die CDU in den Koalitionsverhandlungen angeblich nicht „geliefert“ habe.

Auch SPD-Co-Chef Lars Klingbeil betont die großen Herausforderungen in diesen „historischen Zeiten“. Ein gutes Zeichen sei, dass die künftige Koalition trotz unterschiedlicher Standpunkte in der Lage gewesen sei, Brücken zu bauen. Dann müsse die Gesellschaft doch dazu auch in der Lage sein. Nun müsse man sich an die Modernisierung des Landes machen: „Die Bagger müssen arbeiten, die Faxgeräte entsorgt werden“, so Klingbeil. Das Leben der Menschen müsse einfacher und gerechter werden. Der SPD-Chef betont in Abgrenzung zu Merz aber auch, dass Deutschland ein Einwanderungsland und das Grundrecht auf Asyl „unantastbar“ bleibe.

Die Verhandlungsgruppe posiert für ein letztes Foto vor der Vorstellung der Einigung Foto: Markus Schreiber/ap

CSU-Chef Markus Söder lobt den Koalitionsvertrag als „Antwort auf die Probleme dieser Zeit“. Er betont, dass Bürgergeld und Heizungsgesetz nun grundsätzlich geändert werden und es bei der Migrationspolitik einen Richtungswechsel „zurück vor 2015“ gebe. Und dann frotzelt er noch ein bisschen darüber, dass sich Merz und Klingbeil inzwischen duzen. Was, wie Klingbeils Co-Chefin Saskia Esken im Anschluss sagt, bei Söder und ihr schon seit Jahren der Fall ist.

In den Verhandlungen waren zuletzt neben dem Thema Migration vor allem die Finanzen strittig gewesen. Dabei hatten die drei Parteien mit den Grünen im Bundestag bereits eine Änderung des Grundgesetzes durchgesetzt, die unbegrenzte Schulden für Verteidigung und auch ein Sondervermögen von insgesamt 500 Milliarden Euro für Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz möglich macht. Schwarz-Rot hat also das Geld zur Verfügung, an dessen Mangel die Ampel noch zerbrochen war.

Vorbereitung des Red­ne­r:in­nen­pults vor der Pressekonferenz Foto: Florian Gaertner/photothek/imago

Klar ist nun auch, welche Partei welche Ministerien bekommt: Neben dem Kanzler und dem Kanzleramtschef gehen sechs Fachministerien an die CDU: das Auswärtige Amt, Wirtschaft und Energie, Gesundheit, Verkehr, das neu zu gründende Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung sowie das Ressort Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die CSU bekommt das Innen-, das Landwirtschafts- und das Forschungsministerium. Die SPD erhält sieben Ressorts und damit eins mehr als zuletzt unter Schwarz-Rot: Finanzen, Verteidigung und Justiz, Arbeit und Soziales, Bau, das Umweltressort mit Klima und Verbraucherschutz sowie das Entwicklungshilfeministerium, das jetzt doch erhalten bleibt.

Das Paul-Löbe-Haus im Regierungsviertel platzt aus allen Nähten: Präsentation des Koalitionsvertrages zwischen CDU, CSU und SPD am Mittwoch Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Die entsprechenden Personalien wurden am Mittwoch noch nicht bekannt gegeben. Seit Wochen aber werden CSU-Landesgruppenchef Alexander Do­brindt als Innenminister und SPD-Chef Klingbeil als neuer Finanzminister und möglicher Vize-Kanzler gehandelt, der amtierende SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius könnte womöglich seinen Posten behalten. Über die konkrete Besetzung der Posten aber entscheidet jetzt jede der drei Parteien unabhängig voneinander.

Der Koalitionsvertrag muss von den drei Parteien noch abgesegnet werden. Bei der SPD stimmen die Mitglieder darüber ab, bei der CDU entscheidet ein kleiner Parteitag, bei der CSU reicht ein Beschluss des Parteivorstands. Geht das alles klar, könnte Merz Anfang Mai, vermutlich am 6. oder 7., zum Kanzler gewählt werden.

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