Ausstellung zur Märzrevolution in Berlin: Revolutionärinnen
Kugeln gießen und Vereine gründen: Eine Ausstellung erzählt die Revolution 1848 aus weiblicher Perspektive und als Beginn der Frauenbewegung.

Luitgarde Lorenz stammt aus ärmlichen Verhältnissen. Sie wird 1826 in Wittstock in der Prignitz geboren und sucht als Achtzehnjährige ihr Glück in Berlin – und nennt sich fortan Lucie Lenz. Bald schon wird die Polizei auf sie aufmerksam. In einer der Akten heißt es: „Sie war den ganzen Tag nicht zu Hause, verkehrte viel mit Mannspersonen, und hat den Ruf einer Schwindlerin hier zurückgelaßen.“
„Lucie Lenz ist eine schwierig zu erzählende Person“, sagt Dora Busch. „Sie kommt, ganz klassisch, vom Lande nach Berlin, arbeitet als Dienstmädchen und in anderen Berufen, doch dann steigt sie auf, lernt schreiben und ist eine gute Rednerin.“ Lenz ist aktiv beim „Demokratischen Frauenclub“, hält dort mitreißende Ansprachen. Doch an dieser Stelle, sagt Busch, werde es widersprüchlich. „Zeughaussturm und Demokratischer Frauenclub passen nicht so recht zusammen.“
Männlich geprägte Erzählung
Dora Busch ist Historikerin und hat mit ihrem Kollegen Felix Gräfenberg eine Ausstellung über Frauen in der Märzrevolution kuratiert, die ab Dienstag im Ausstellungscontainer auf dem Friedhof der Märzgefallenen zu sehen ist. „Schwestern, zerreißt eure Ketten“, ist sie betitelt und erzählt am Beispiel von neun beteiligten Frauen die Revolution aus weiblicher Perspektive. Lucie Lenz ist eine von ihnen – und wohl auch eine der spannendsten.
„Die Erzählung der Märzrevolution ist bislang stark männlich geprägt“, sagt Dora Busch und erklärt, dass das auch damit zu tun habe, dass von der Revolution oft im Zusammenhang mit dem ersten deutschen Parlament in der Frankfurter Paulskirche die Rede sei. „Da gab es aber keine Frauen, sie waren nur auf den Zuschauertribünen zugelassen.“
Bei den revolutionären Ereignissen, die der Paulskirche vorangingen, hatten Frauen allerdings oft eine wichtige Rolle gespielt, sagt Busch. Zum Beispiel bei der Kartoffelrevolution 1847, bei der Frauen wegen der hohen Preise Berliner Marktstände gestürmt hatten. Aber auch bei den Barrikadenkämpfen im März waren Frauen aktiv. Ein zeitgenössischer Stich zeigt, wie sie an der Friedrichstraße Ecke Kronenstraße Gewehrkugeln gießen. 255 Menschen kommen bei den Kämpfen am 18. und 19. März 1848 ums Leben. 11 von ihnen sind Frauen.
Eine ganz eigene Aktionsform entwickeln die Frauen nach den Barrikadenkämpfen mit der sogenannten Katzenmusik. „Mit viel Lärm und Spottgesängen hielten sie ungeliebte Entscheidungsträger und Kaufleute nachts vom Schlafen ab“, heißt es auf einer Ausstellungstafel. Eine andere Protestform ist das Sticken von Fahnen. „Durch das Tragen von Schwarz-Rot-Gold drückten Frauen ihre Unterstützung für die Revolution aus.“
„Wir wollen keine Zusatzerzählung machen, wo wir die Frauen neben die Männer stellen“, sagt Busch. Stattdessen sollten auch die Räume ausgeleuchtet werden, in denen vor allem Frauen aktiv waren. Neben dem Kapitel „Kämpfen“ enthält die Ausstellung darum ganz folgerichtig auch die Kapitel „Leben“ und „Gestalten“. Hinzu kommt ein Sonderthema, das auf eine Publikumsabstimmung des vergangenen Jahres zurückgeht, als die Schau schon einmal gezeigt wurde. Zur Auswahl standen die Themen „Antifeminismus“, Frauen im Exil der „Forty-Eighters“ in den USA sowie „Frauen lieben Frauen“. Mit knapper Mehrheit entschied sich das Publikum für Letzteres.
Natürlich war der Alltag von Frauen Mitte des 19. Jahrhunderts stark von der sozialen Zugehörigkeit geprägt. Es ist sicher kein Zufall, dass diejenige der neun porträtierten Frauen, die die freie Liebe predigte, keine Geldsorgen hatte. Louise Aston war nach einer gescheiterten Ehe mit einem Industriellen nach Berlin gezogen und provozierte, weil sie Hosen trug und in der Öffentlichkeit rauchte.
Ganz anders dagegen Caroline Kleinfeldt. Die 1816 geborene Königsbergerin verdingte sich als Dienstmädchen in einem wohlhabenden Haushalt. Nur jeden zweiten Sonntag hatten Dienstmädchen damals frei, an eine eigene Wohnung war nicht zu denken. Kleinfeldt gehört zu den elf Frauen, die auf dem Friedhof der Märzgefallenen begraben sind. Getötet wurde sie von einer Kugel, als sie am 18. März 1848 am Fenster einer Wohnung in der Oberwallstraße stand.
Nicht nur soziale Gegensätze prägten den Alltag der Frauen in der Revolution, sondern auch politischer Streit. „Dafür stehen die beiden Louises“, sagt Kuratorin Dora Busch. Das extravagante Auftreten der Louise Aston kritisierte ihre Vornamensvetterin Louise Otto als unsittlich und schädlich für den Ruf der Frauen.
Als Herausgeberin der Frauen-Zeitung setzte Otto nicht auf Provokation, sondern warb für mehr Rechte und bessere Bildung von Frauen. Für Frauen war damals meist nur die Volksschule vorgesehen, von der sie im Alter von zehn Jahren abgingen. „Töchter aus reicheren Familien gingen zum Teil noch bis zu ihrem 14. Geburtstag auf Höhere Mädchenschulen“, heißt es auf einer Tafel. „Keine Schulform bereitete Mädchen jedoch auf Beruf oder Studium vor, sondern jede auf das Leben als Hausfrau.“
Allerdings durften Frauen Lehrerinnen werden, auch wenn sie diesen Beruf nach ihrer Heirat wegen des „Lehrerinnenzölibats“ wieder aufgeben mussten. Für eine entsprechende Ausbildung setzte sich auch Louise Otto ein. Eine radikale Veränderung von Geschlechterrollen lehnte sie ab. Wie sehr darf man Grenzen überschreiten, ohne die gegnerische Seite herauszufordern? Eine Debatte, die bis heute aktuell ist. Immerhin hat Louise Otto ihre Zeitung bis 1853 herausgeben können. Dann wurde sie verboten.
Beginn der Frauenbewegung
Und wie stand es um Homosexualität? Diesen Begriff, sagt Dora Busch, habe es 1848 nicht gegeben. Von „lesbischem Lieben“ sei aber bereits die Rede gewesen. Interessant sei die rechtliche Situation. „Schon 1851 wird Sex zwischen zwei Frauen in Preußen aus dem Strafgesetzbuch herausgenommen“, betont Busch. Zuvor habe es den sogenannten Sodomieparagrafen gegeben, unter den Sex mit Tieren, Sex zwischen Mann und Mann und zwischen Frau und Frau gefallen war. „1851 steht in diesen Paragrafen nur noch Mann und Mann, aber nicht mehr Frau und Frau“, sagt Busch. „Das ist auch ein Ergebnis der damaligen Diskussion unter Juristen, die der Meinung waren, dass Frauen ohnehin kein Interesse an Sex haben. Sie haben keine Lust darauf und tun es nur dem Mann zuliebe.“
Was nicht existiert, muss folglich auch nicht im Gesetz auftauchen. Für Dora Busch ist das nicht nur eine Erleichterung für lesbische Frauen, weil es keine juristische Verfolgung mehr gab. „Es war auch der Versuch, lesbische Liebe unsichtbar zu machen.“
Neu an der Ausstellung über die Frauen in der Revolution ist auch die grafische Darstellung ihrer Netzwerke. „Das gab es so vorher noch nicht“, sagt Dora Busch. „Da ist viel Forschung reingegangen.“ Für die Kuratorin ist das Netzwerk, das Frauen untereinander gebildet haben, auch eine Vorform der Frauenbewegung. „Da tauschen sich Frauen darüber aus, was ihr Anliegen ist, über ihre Diskriminierungen aufgrund ihres Geschlechts.“
Kleinstarbeit sei das gewesen, die über das Quellenstudium entstanden sei, über Hinweise auf Bekanntschaften in Briefen, in Archiven. „Dabei zeigt sich, dass man ein Netzwerk nur über Frauen bilden kann. Die Frauen haben sich gekannt, sie brauchten da keine Männer dazwischen“, sagt Dora Busch.
Natürlich hat das auch Reaktionen der Männer hervorgerufen. „Gerne hätte ich neben der lesbischen Liebe auch über das Thema Antifeminismus gearbeitet“, sagt Dora Busch.
Auch über Lucie Lenz wäre da einiges zu erzählen gewesen. Als Reaktion auf ihre Popularität ist eine Karikatur veröffentlicht worden, die Lenz lächerlich machen sollte. Unter dem Titel „Das politische Leben der Frau Lucie“ wird Lenz darin als Rednerin gezeichnet, deren weibliches Publikum trinkend und rauchend über die Stränge schlägt.
Nicht nur schwierig zu erzählen ist Lucie Lenz, sie ist auch eine Frau voller Widersprüche, „Weil sie mehrfach den Namen und den Wohnort wechselt, wird sie auch als Hochstaplerin verfolgt“, sagt Dora Busch. Aber die Verfolgung höre oft auf, bevor es zu einem Verfahren kommt. „Deswegen gab es auch das Gerücht, dass sie ein Spitzel sei.“
Dennoch ist Lenz für die Kuratorin eine positive Figur: „Lucie gelang es trotz aller Widrigkeiten, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.“
Die Ausstellung „Schwestern, zerreißt eure Ketten“ ist vom 18. März bis 10. Juli im Ausstellungscontainer auf dem Friedhof der Märzgefallenen zu sehen. Ernst-Zinna-Weg 1, 10249 Berlin. Mehr dazu unter www.friedhof-der-maerzgefallenen.de
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