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Kurzgeschichten von Serhij ZhadanDen Siegern verzeiht man

Die Sprache durchdringend: Wie sich der Krieg in alle Bereiche des Lebens einschreibt, davon erzählt der ukrainische Autor Serhij Zhadan in zwölf Short Storys.

Menschen im Bus, hier in Charkiw im Januar 2023 Foto: Spencer Platt/getty

Der Krieg spielt nicht nur dort, wo die Bomben fallen, wo die Soldaten in Schützengräben verharren, wo das Rattern der Artilleriegeschosse zu hören ist. Er schreibt sich vielmehr in den Organismus einer ganzen Gesellschaft ein, ist subkutan immer da. Diesen Eindruck gewinnt man in zwölf neuen Short Storys von Serhij Zhadan, die nun auf Deutsch unter dem Titel „Keiner wird um etwas bitten“ erschienen sind.

Der wohl berühmteste ukrainische Gegenwartsautor erzählt darin von allzu alltäglich gewordenen Beerdigungen, von der Atmosphäre auf den verlassenen Straßen von Charkiw, von zerstörten Schulen und von Leichentransporten, von Beruhigungs- und Schlafmitteln, mit denen die Menschen ihr Leben meistern. Er erzählt von einem Land im Überlebensmodus.

Serhij Zhadan leistet gerade selbst Kriegsdienst bei den ukrainischen Streitkräften. An der Front kämpfen muss er nicht, er ist in seiner Brigade für Kommunikation zuständig und hat ein Frontradio mit aufgebaut (Radio Khartia).

Für den Schriftsteller, der für sein Werk vielfach ausgezeichnet wurde, haben sich die Prioritäten seit Beginn des russischen Angriffskriegs verschoben, auch sein Schreiben hat sich verändert. Die Geschichten sind mosaik- und momenthafter, oft stellt der 50-jährige Autor das Dasein im Krieg nüchtern, sachlich, in kurzen Dialogen dar.

Das Buch

Serhij Zhadan: „Keiner wird um etwas bitten. Neue Geschichten“. Aus dem Ukrainischen von Sabine Stöhr und Juri Durkot. Suhrkamp Verlag, Berlin 2025, 165 Seiten, 24 Euro

Leere Fußballplätze

Die taz bei der Leipziger Buchmesse

Die taz ist bei der Leipziger Buchmesse vom 27. bis 30. März mit einem eigenen Stand vor Ort in Halle 5, Stand G500. Dort werden auch wieder in zahlreichen Talks taz-Autor:innen lesen und diskutieren. Die taz Talks werden auf dem youtube-Kanal der taz live gestreamt. Zur Buchmesse erscheint am 27. März auch wieder die literataz, eine taz mit 12 Extraseiten. Die vergangenen Ausgaben können Sie hier downloaden.

Unser Programm

🐾 Donnerstag 27.03.25

11:00 Uhr: „Post-“ – Nachruf auf eine Vorsilbe – Dieter Thomä

11:45 Uhr: Lauf, Mama, Lauf! – Mareike Barmeyer

12:30 Uhr: Als wäre es vorbei – Katja Petrowskaja

13:15 Uhr: Macht im Umbruch – Herfried Münkler

14:00 Uhr: Zuhause ist das Wetter unzuverlässig – Carolin Würfel

14:45 Uhr: Das Deutsche Demokratische Reich – Volker Weiß

15:30 Uhr: Ginsterburg – Arno Frank

16:15 Uhr: Klapper – Kurt Prödel

19:00 Uhr @Galerie KUB: Was wäre, wenn wir mutig sind – Luisa Neubauer

🐾 Freitag 28.03.25

11:00 Uhr: Trotteln – Robert Seethaler, Rattelschneck

11:45 Uhr: Fischtage – Charlotte Brandi

12:30 Uhr: Russische Spezialitäten – Dmitrij Kapitelman

13:15 Uhr: Schwebende Lasten – Annett Gröschner

14:00 Uhr: Oh! Dalmatien – Doris Akrap

14:45 Uhr: Reise in die Mediengesellschaft USA – Julia Belzig

15:30 Uhr: Meine Sonnenallee – Jan Feddersen

16:15 Uhr: Digitale Diagnosen – Laura Wiesböck

17:00 Uhr: Traumaland – Asal Dardan

🐾 Samstag, 29.03.2025

10:15 Uhr: Edition Le Monde diplomatique: Indien – Modi und die Farbe der Macht – Sven Hansen, Jakob Farah

11:00 Uhr: Pazifismus, ein Irrweg? – Pascal Beucker

11:45 Uhr: Kipppunkte – Georg Diez

12:30 Uhr: Zuhören – Bernhard Pörksen

13:15 Uhr: Die dunkle Seite der Sprache – Tim Henning, Nikola Kompa, Christian Nimtz

14:00 Uhr: Norwegen, wir kommen auf Umwegen! – Wahrheitsklub mit Harriet Wolff, Andreas Rüttenauer, Rattelschneck aka Marcus Weimer, LAMINATOR

14:45 Uhr: Die Spree – Uwe Rada

15:30 Uhr: Der 7. Oktober und der Krieg in Gaza – Muriel Asseburg

16:15 Uhr: Autoritäre Rebellion – Andreas Speit

17:00 Uhr: Frau Zilius legt ihr erstes Ei an einem Donnerstag –Friederike Gräff

🐾 Sonntag, 30.03.2025

10:00 – 13:00 Uhr: Hilfe in Sachen ePaper und Abo – taz Seitenwende

14:00 Uhr: Wruuum! Crash! Boom! – Comicworkshop mit Michel Esselbrügge

Eine Parabel auf die gegenwärtige Situation der Ukraine ist am ehesten die Geschichte von Bohdan und seinem Sohn Tocha, die durch das kaputte und verwaiste Charkiw ziehen. Der Vater ist ein großer Fußballfan, der Sohn ein Fußballspieler, doch die Stadien und Plätze sind leergefegt, die meisten Mitspieler von Tocha haben das Land verlassen, an Kicken ist nicht zu denken. Sie schauen schließlich zu Hause die Aufzeichnung jenes Matchs der WM 1986 an, bei dem Maradona mit der Hand das Tor erzielte.

Als Bohdan dem Sohn erklärt, warum Maradona in diesem Moment so ein Großer war, scheint es für einen Augenblick, als würde er über den Krieg sprechen: „Weil er gewonnen hat. Er hat gewonnen, verstehst du? Den Siegern verzeiht man viel. Nicht alles natürlich, aber viel. Der Sieg entwaffnet. Denn man schaut auf den Sieger und versteht, wozu er bereit war. Wozu war er bereit? Zu allem. Auf den Platz gehen und diesen verdammten Sieg an sich reißen, wie ein Herz aus einer fremden Brust.“

Auch das, was nicht gesagt wird, tönt sehr laut in den Gesprächen seiner Protagonist:innen. In einer Geschichte besucht eine junge Frau einen ehemaligen Schulfreund, der im Krankenhaus ist und im Rollstuhl sitzt; er ist offenbar im Krieg verletzt worden. Beide unterhalten sich recht einsilbig miteinander: „,Hast du mich wenigstens erkannt?', fragte sie. – ‚Erst nicht.‘ – ‚Hab ich mich verändert?‘ – ‚Alle haben sich verändert. Wie du siehst.‘ – ‚Verstehe.‘“

In diesem Stil schleichen die beiden umeinander herum, sie flirten miteinander, bleiben zugleich auf Distanz. Der Krieg schreibt sich in die Kommunikation der beiden ein, er ist latent immer da, insofern steht diese Story Pars pro Toto für den gesamten Band.

Der Krieg durchdringt die Sprache

Zhadans Geschichten lassen Bilder im Kopf entstehen. Es ist, als sähe man vor sich, wie der alte einsame Lehrer Pal Iwanytsch an seiner zerstörten Schule Wache schiebt, als blicke man in das Hotelzimmer, in dem ein Soldat ein Rendezvous mit einer Soldatin hat und bei dem beide nichts wollen, als einfach nur zu ruhen und zu schlafen, als sei man in der Kirche, in der die Trauerfeier für den Kommandeur stattfindet und die Blicke der Soldaten auf die Blicke der Witwe treffen und die Rede des Priesters an allen vorbeigeht. In der letzten Geschichte kehrt Zhadan zu den Pro­tago­nis­t:in­nen seiner ersten Geschichte zurück, ein Kreis schließt sich.

Wie sehr der Krieg auch die Sprache Zhadans durchdringt, zeigt sich am deutlichsten in den poetischen Beschreibungen, die er einfließen lässt. Er reflektiert den Beginn des russischen Angriffskrieges, „diese ersten Tage vor einem Jahr, die Panik, die in die Lungen floss und einen nicht atmen ließ, die Schwärze, durch die hindurch man nichts erkennen konnte“, er beschreibt eine Aufteilung in ein Davor und ein Danach:

„Es war noch nicht lange her, da war das Leben zerbrochen, war die Zeit zerbrochen, hatte sich das Gefühl des Atmens verändert, sein Rhythmus und seine Regelmäßigkeit.“ Den Krieg fängt Zhadan in Begegnungen und Unterhaltungen ein. Die Front ist weit weg und doch irgendwie da in seinen Storys. Gerade deshalb meint man, hier so viel davon zu verstehen, was es bedeutet, im Kriegszustand zu sein.

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