Endzeit-Musical mit Tilda Swinton: Fröhliche Apokalypse
Ein Musical von Joshua Oppenheimer: Tilda Swinton, Michael Shannon und George McKay geben in „The End“ eine glückliche Familie nach der Klimakatastrophe.

Auf den ersten Blick mag es seltsam erscheinen: Joshua Oppenheimer, der sich mit zwei außergewöhnlichen Dokumentarfilmen einen Namen gemacht hat, legt als nächstes Projekt ausgerechnet ein Musical vor. Der Genresprung des US-amerikanischen Filmregisseurs wirkt umso erstaunlicher, wenn man die Schwere des Themas bedenkt, denen sich seine beiden vorangegangenen Werke verschrieben.
Beide Filme setzten sich mit den indonesischen Massakern von 1965/66 auseinander, bei denen Hunderttausende mutmaßliche Kommunisten und Regimegegner ermordet wurden. „The Act of Killing“ (2012) ist surreal und bizarr, „The Look of Silence“ (2014) intimer und bedrückender – zusammen ergeben sie ein verstörendes, aber unverzichtbares Doppelporträt eines verdrängten Massenmords.
Wenn sich Joshua Oppenheimer nun einer mit reichlich Gesang und Tanz inszenierten Geschichte widmet, hat das allerdings deutlich weniger mit Eskapismus zu tun, als es die Filmgattung vermuten ließe. Im Gegenteil: Statt der Weltflucht zu frönen, erhebt sie „The End“ zum zentralen Sujet, seziert und entlarvt sie.
Das schauerliche Draußen wegkuratieren
Im Endzeit-Musical ist die Erde endgültig in Flammen aufgegangen, die Klimakatastrophe hat in aller Härte zugeschlagen und die Menschheit ist so gut wie ausgestorben. Allerdings geht es nicht um den Überlebenskampf eines kläglichen Überrestes der Zivilisation, sondern vielmehr um ein heimeliges Drinnen, das das schauerliche Draußen sorgsam wegzukuratieren versucht.
Tilda Swinton spielt die namenlose Mutter, die sich in biederen Blüschen und brav gewellter Lockenfrisur mit besonderer Hingabe um einen gepflegten Alltag im Bunker bemüht. Geschützt von einer Salzmine, lebt sie gemeinsam mit ihrem Ehemann (Michael Shannon) und ihrem Sohn (George McKay) im luxuriös eingerichteten Untergrund.
Obwohl sichtbar Platz für mehr Bewohner wäre, ist dort ansonsten lediglich ihre beste Freundin, eine Chefköchin (Bronagh Gallagher), ein Arzt (Lennie James) und ein Butler (Tim McInnerny) zu Hause, die für weitere Annehmlichkeiten sorgen. Die alte Hierarchie wird auch in der Apokalypse aufrechterhalten: Ihre Unterkünfte sind spartanischer – und gedient werden muss selbstverständlich weiterhin.
„The End“. Regie: Joshua Oppenheimer. Mit Tilda Swinton, Michael Shannon u. a. Dänemark/Deutschland/Irland/Italien 2024, 148 Min.
Eine zynische Kritik an sozialen Gefällen und kapitalistischen Logiken, die sogar dann noch weiter am Werk sind, wenn sie alle Lebensgrundlagen letztgültig zerstört haben, schwingt in „The End“ immerzu mit. Mehr noch aber geht es um Verdrängung, Selbstbetrug über die grausame Wahrheit, den eigenen Anteil daran und die trügerischen Erzählungen, mit denen wir uns das Weitermachen ermöglichen.
Damit bleibt Oppenheimer seinen übergeordneten filmischen Kerninteressen also durchaus treu, wenn auch in gänzlich anderer Form – und dieses Mal mit einem viel mehr spöttischen denn tragischen Tonfall. In bezeichnenden Bildern zeigt die bedächtig agierende Kamera Mikhail Krichmans, mit welchen Banalitäten die Eltern sich und ihr erwachsenes Kind vom Eigentlichen abzulenken versuchen: Die Mutter dekoriert mit ihrem Sohn den Salon für den Frühling um, mit den passenden Meisterwerken der Kunstgeschichte. Der Vater wiederum diktiert ihm seine Memoiren, die die eigene Verantwortung am Untergang als Chef eines Ölkonzerns in ein moralisch rechtes Licht rücken sollen.
Unverfroren verkauft er dem Sohn fossile Brennstoffe einzig als Fortschrittstreiber für die Menschheit, ohne ihre negativen Folgen für Umwelt und Gesundheit zu benennen. Der selbst im Bunker geborene Nachwuchs kann die Lügen des Vaters aber nicht als solche erkennen.
Joshua Oppenheimer, der das Drehbuch mit Rasmus Heisterberg („Verblendung“) schrieb, reiht zahlreiche solcher hämischen Miniaturen aneinander, um sich an der Hybris und Heuchelei seiner Figuren abzuarbeiten und damit weit über sie hinaus, auf unsere Gegenwart und ihre Verdrängungsmechanismen im Angesicht der heraufziehenden Katastrophe zu verweisen. Mit den Mitteln des Musicals treibt er den Hohn weiter auf die Spitze, lässt Tilda Swinton, Michael Shannon und George McKay ihr vorgespieltes Glück in schwülstig-schrägen Musicalsongs von Marius de Vries („Coda“) besingen und parodiert damit auch die falsche Heiterkeit eines gerade wieder boomenden Genres.
Schmerzlich mit der Wahrheit vertraut
Gestört wird die illusorische Idylle einzig durch die Ankunft einer ebenfalls unbenannt bleibenden jungen Frau, gespielt von Moses Ingram, die als einziger Teil des Casts tatsächlich singen kann. Ihre Figur, selbst an der Erdoberfläche aufgewachsen und daher mit der Wahrheit schmerzlich vertraut, zwingt die Bunkerbewohner zumindest zu etwas Selbstreflexion.
Einen wahrlich folgenreichen Konflikt löst aber auch sie nicht aus. Joshua Oppenheimer bleibt dabei: Unser Hang zur Harmonie, wenn auch geheuchelt, unser Wille zum „Weiter so“, wie verhängnisvoll auch seine Konsequenzen, obsiegt. So überzeugend diese Analyse auch sein mag – „The End“ tritt letztlich mit ihr, mit uns, auf der Stelle. Damit besticht der erste fiktionale Langfilm des Regisseurs vor allem mit einem reizvoll rigorosen Ton und der Konsequenz seiner bitteren Karikatur. Die monströse Spielzeit von beinahe zweieinhalb Stunden aber trägt das nicht.
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