: Wenn man die gleichen fernen Berge kennt
Der Bahnhof von Tharandt ist nicht das, was man gern einen Ort zum Verweilen nennt. Das in die Jahre gekommene Gebäude ist verschlossen. Schutz bieten Unterstände unter Wellblechdächer und ein kleiner Warteraum mit WC. Wer hier wohnt? 5.200 Menschen laut Wikipedia, von denen zur letzten Kommunalwahl 29 Prozent für die AfD und weitere 29 für die Freien Wähler gestimmt haben. Puh.
Ein Mann mit Rucksack wartet in der Stille. Dann kommt ein junger Mann dazu: Azad. Er schaut den Reisenden an, dann den Schnee. „Schöner Tag, Schnee gut.“ Der Mann stimmt ihm zu. „Mache Sprachkurs. B2. Dann Ausbildung. Ich, Azad.“ Erstaunlich, wie offen der junge Mann die Menschen anspricht. Seit 2024 ist er in Deutschland. Es sei schön hier.
Tharandt
5.200 Einwohner*innen.
Für die deutsche Literatur ist das sächsische Städtchen auch deswegen bedeutsam, weil hier Goethe mehrfach weilte, wenn er den Forstwissenschaftler Heinrich Cotta besuchte. Und Schiller vollendete in Tharandt 1787 seinen „Don Carlos“.
Der Reisende wird neugierig: Woher kommst Du denn? Türkei. Und wo genau? Süden, Kurdistan. Aha, und wo dort? „Du nicht kennen.“ Warum nicht? „Mardin.“ Mardin ist wunderschön, sagt der Reisende und ergänzt: Von der Altstadt oben kann man bis nach Syrien gucken. Das hatte Azad nicht erwartet. Sein Gesicht hellt sich auf: „Eigentlich Kiziltepe.“ Ja, gleich nebenan, erwidert der Mann. Der Zug kommt. Mit strahlendem Lächeln steigt Azad ein. Uwe Pollmann
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