: Merz, Macron und die Sache mit den Autokraten
Europa wartet auf den neuen Bundeskanzler, der Außenpolitik zur Chefsache erklären will. Kann Friedrich Merz das?

Von Sabine am Orde und Tobias Schulze
Am Dienstag hatte Friedrich Merz etwas zu feiern. Das riesige Schuldenpaket für Verteidigung und Infrastruktur, das seiner künftigen Bundesregierung viel mehr Spielraum gibt als der alten, hat den Bundestag passiert. Spät am Abend postet Merz ein Foto: Es zeigt ihn, ein Glas in der Hand, im Gespräch mit Emmanuel Macron, im Hintergrund ist ein Tisch zum Dinner gedeckt. Merz feiert seinen Erfolg mit dem französischen Präsidenten.
Gemeinsam mit ihm hat er Großes vor. „Ich bin fest entschlossen, die verbleibenden zwei Jahre der Amtszeit von Präsident Macron zu nutzen, um gemeinsam mit ihm die Vision eines souveränen Europas zu verwirklichen“, sagte Merz bereits in einer außenpolitischen Grundsatzrede Ende Januar. US-Präsident Donald Trump war da gerade drei Tage wieder im Amt. Noch 2017 war Macrons Appell für ein „Europa, das uns schützt“, verpufft, auch weil er in Berlin keinerlei Widerhall fand.
Große Worte, die Macron so liebt, scheute auch Merz an jenem Donnerstagmittag nicht. Der Christdemokrat war auf Einladung der Körber-Stiftung in den historischen Ballsaal des Hotel de Rome in Berlin-Mitte gekommen, um die Außenpolitik zu erläutern, die er als Kanzler umsetzen will. Unter riesigen Kronleuchtern beschrieb er die Rolle, die Deutschland aus seiner Sicht künftig übernehmen soll: „Wir müssen von einer schlafenden Mittelmacht zu einer führenden Mittelmacht werden.“
Die Welt erlebe mehr als eine „Zeitenwende“, wie es Noch-Kanzler Olaf Scholz nannte. Merz spricht von einem „Epochenbruch“. Er zeichnet einen Systemkonflikt: auf der einen Seite die Achse der Autoritären mit Russland und China an der Spitze, auf der anderen liberale Demokratien und die regelbasierte Ordnung, die es zu verteidigen gilt. Dazu gehört für ihn auch: „Die Ukraine muss den Krieg gewinnen.“ Eine Aussage, vor der Scholz stets zurückschreckte.
Und eine, die schlecht altern könnte. Nach einem ukrainischen Sieg sieht es im Moment nicht aus. Überhaupt geht es für Merz in einem Moment auf die Weltbühne, in dem sich seine alten Gewissheiten auflösen. Er ist eigentlich Transatlantiker, das Verhältnis zu den USA hat ihn geprägt. Er hat für den US-Finanzriesen Blackrock gearbeitet und war zehn Jahre lang Vorsitzender der Atlantikbrücke. Als er im Januar im Hotel de Rome spricht, hat er noch Hoffnung, dass man mit Trump irgendwie klarkommen kann – und sich dieser an die Zusagen der USA hält, auch für die Ukraine.
Das ändert sich im Februar nach der Münchener Sicherheitskonferenz und der Demütigung des ukrainischen Präsidenten im Weißen Haus. „Das gesamte Koordinatensystem, in dem sich unsere Politik bewegt, wird gerade neu geschrieben“, sagte er danach der FAZ. Jetzt also bleibt Europa. „Am ersten Tag meiner Amtszeit als Bundeskanzler werde ich nach Warschau und Paris reisen, um mit Ministerpräsident Donald Tusk und Präsident Emmanuel Macron konkrete gemeinsame Initiativen zu vereinbaren“, das hatte er bereits in seiner Rede im Januar angekündigt. Aber hat er für den großen Wurf wirklich das Zeug?
„Am ersten Tag meiner Amtszeit werde ich …“ – so vollmundig hatte Merz vor der Wahl auch seinen Fünfpunkteplan zur Migration kundgetan, von denen er einige umgehend wieder abgeräumt hat. Innenpolitisch ist er mit großen Worten bereits mehrfach gescheitert. Ob sie komplexen außenpolitischen Lagen gerecht werden, darf man bezweifeln. Und das nötige Verhandlungsgeschick, um wirklich etwas zu erreichen, muss Merz auch erst noch unter Beweis stellen.
Wie schnell man mit großen Gesten scheitern kann, zeigt sich schon im Kleinen. Seinen Minister*innen – auch das kündigte er vor der Wahl schneidig an – will er regelmäßige Anwesenheit in Brüssel verordnen. Er selbst schaffte das diese Woche schon einmal nicht. Eigentlich wollte er am Vortreffen der Konservativen vor dem EU-Gipfel teilnehmen, dann blieb Merz aber doch in Berlin. Zu viel zu tun.
Auch in anderen Fragen wird Merz in den nächsten Monaten lernen müssen, dass sich die Wirklichkeit schwierig gestaltet. Die internationalen Partner müssten wissen, woran sie mit Deutschland sind, sagte er in seiner Ballsaalrede. Schluss mit dem öffentlichen Streit der Regierung. Die Außenpolitik werde intern ausdiskutiert und dann gemeinsam vertreten: „Die Unklarheit in unseren Positionen wird sich unter meiner Führung nicht wiederholen.“
Gegen das Ziel kann keiner etwas sagen, aber wie sieht Merz’ Weg dahin aus? Per Kanzlerdekret lässt sich in einer Konsensmaschine, die eine schwarz-rote Koalition in der Bundesrepublik nun mal ist, keine Linie verordnen.
Eine neue nationale Sicherheitsstrategie soll helfen. In der alten, von der Ampel geschrieben, stünden zwar allerlei schöne Ziele. Merz möchte aber eine neue haben, die Prioritäten benennt und der Regierung Handlungsanweisungen gibt. Und das bitte zügig: „Im ersten Jahr einer unionsgeführten Bundesregierung“ möchte er die neue Strategie vorlegen. Vielleicht sollte er noch mal bei der Ampel nachfragen. Sie wollte mit ihrer Strategie auch binnen eines Jahres fertig werden, hat den Termin aber deutlich gerissen. An so einem Papier ist die halbe Regierung beteiligt, jedes Haus mit seinen eigenen Sichtweisen und Interessen. Man kann sich natürlich beeilen und in ein paar Monaten ein paar Allgemeinplätze zusammenschreiben. Möchte man die grundsätzlichen Konflikte klären und tatsächlich eine Bedienungsanleitung für die eigene Außenpolitik bekommen, funktioniert es nicht zack, zack.
Und so geht es weiter. Ein nationaler Sicherheitsrat soll zu schnelleren Entscheidungen führen. So ein ressortübergreifendes Gremium, angesiedelt im Kanzleramt, wünscht sich die Union schon lange. Innerhalb der Bundesregierung würde sich damit aber die Macht verschieben. Das Auswärtige Amt, möglicherweise in der Hand des Koalitionspartners, würde weiter an Einfluss verlieren. Kann man schaffen, aber nicht ohne Widerstände und nicht im Vorbeigehen. Auf keinen Fall in dem Tempo, das Merz verspricht: Seine ultraschnelle neue Sicherheitsstrategie soll schon unter Federführung des neuen Gremiums entstehen.
Eine Ebene höher, in der Europapolitik, könnte ihm immerhin seine Biografie zugutekommen. Am Anfang seiner politischen Karriere saß er im EU-Parlament. Er sieht sich in der Tradition von Helmut Kohl und dessen Maxime, auch die kleinen Mitgliedstaaten ernst zu nehmen. Das Fingerspitzengefühl, dass er in Berlin bislang nicht zeigt, hat er sich für Europa immerhin vorgenommen. Er wird es brauchen, um so große Ziele durchzusetzen wie eine einheitliche europäische Rüstungsbeschaffung – die sich vor ihm schon viele vorgenommen haben, die aber noch immer an nationalen Interessen scheiterte.
Was in der EU gilt, gilt global erst recht. Ob die Union die Entwicklungspolitik zusammenstreichen wird wie derzeit andere rechte und konservative Regierungen, ist noch nicht gesagt. Zumindest will Merz sie aber streng an Bedingungen knüpfen: Wer keine Abschiebeflüge aus Deutschland ins Land lässt, bekommt kein Geld mehr, sagte er im Ballsaal. Wer „die Ziele Deutschlands und der EU nicht teilt“, erhalte auch nichts, heißt es im CDU-Grundsatzprogramm.
Fresst oder sterbt: Das könnte nach hinten losgehen, wenn sich Empfängerstaaten nach anderen Gebern umschauen, die im Zweifel weniger Bedingungen für ihre Entwicklungsgelder stellen. Zurückgedrängt wäre der Einfluss der Autokraten dann nicht.
Wenn er internationale Allianzen schmieden will, muss Merz schließlich noch seine Unbedingtheit in einer weiteren Frage überdenken: dem Nahostkonflikt. Noch am Abend der Bundestagswahl telefonierte Merz mit Benjamin Netanjahu, dem israelischen Ministerpräsidenten. Er habe Netanjahu nach Berlin eingeladen, verkündete er am darauffolgenden Tag – trotz des geltenden Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshof. Das „faktische Exportembargo der amtierenden Bundesregierung“ will Merz auch „umgehend beenden“. Am ersten Tag seiner Amtszeit noch mehr Waffen für Israel?
Schon die Ampel, die sich mit einem Mittelweg um den Krieg in Gaza herum lavieren wollte, hatte ein Glaubwürdigkeitsproblem: In der Ukraine hält sie Völkerrecht und Menschenrechte hoch, gegenüber Israel sieht sie es aber nicht so eng? Schlägt sich Merz jetzt auf Netanjahus Seite, wird es noch schwieriger werden mit Allianzen gegen Russland, China und Co.
Immerhin kann Merz noch zurückrudern, wenn er erst mal Kanzler ist. Erfahrung darin hat er ja.
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