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Ein Experiment mit dem Schweigen

„Und alle so still“ nach Mareike Fallwickls Roman wird in Hannover zum theatralen Seminar über Ausbeutung und Empowerment

Tonnen schleppen zum Überleben: Nuri (Fabian Dott) in „Und alle so still“ Foto: Kerstin Schomburg

Von Jens Fischer

Die Zu­schaue­r:in­nen sind eingestimmt auf Empowerment. Und so brandet sofort Auf­tritts­ap­plaus auf, wenn die An­lei­ter:in­nen eines dafür gestalteten thea­tra­len Seminars ins Scheinwerferlicht treten. Der Abend am Schauspiel Hannover ist mit „Und alle so still“ betitelt und will über die pointierte Nacherzählung von Mareike Fallwickls gleichnamigem Roman auf einen revoluzzernden Solidaritätskurs einschwören, aber eben über ein Experiment mit der Stille. Weswegen das achtköpfige Ensemble erst mal vor zwei Bühnenbildmauern schweigt, gegen die es später anzurennen gilt, sodass sie im Schlussbild einstürzen und den Blick öffnen. Es könnten aber auch Einfassungen von Schwimmbecken sein.

Denn Elin (Helene Krüger) erzählt vom morgendlichen Bad im Pool des Wellnesshotels ihrer Mutter, bei der die 20-Jährige immer noch lebt. Sie ist Influen­cerin, lässt sich dafür bezahlen, Produkte zu loben, damit ihre 1,2 Millionen Follower:innen sie kaufen. Für dieses zynische Geschäftsmodell muss sie sich den Verhaltenswünschen und dem Marketing ihrer Geld- und Klickgeber anpassen und Hasskommentare und sexistische Beleidigungen ertragen, die auf der Bühne eingesprochen werden.

Zudem leidet Elin darunter, nie Kontakt zu Vater und Großeltern gehabt zu haben. Denn ihre Singlemutter verachtet fa­mi­liä­re Anbindung, hält das Sich-Durchschlagen für Feminismus. Das alles stresst. Zur Entspannung gönnt sich Elin täglich einen Fick mit irgendwem und die Umarmungen des Wassers; lässt sich „schwerefrei, normfrei, schmerzfrei“ treiben. Krüger gestaltet ihre Rolle halb spielend, halb erzählend, was den Duktus für Jorinde Dröses Inszenierung von vorgibt.

Zweite Hauptfigur ist Pflegefachkraft Ruth (Johanna Bantzer). Damit sie bei ihren Ausführungen zumindest ein wenig ins Interagieren kommt, legt sich ein Schauspieler als Patient auf einen Tisch und lässt Ruth Fürsorgearbeit vollziehen, während sie von der Überschreitung ihrer Belastungsgrenze und schlechter Bezahlung berichtet. Die Autorin versteht Elins und Ruths Probleme strukturell: als Folge kapitalistischer Ausbeutung.

Auch Männer unter den Opfern

Bekräftigt wird diese Behauptung durch die dritte Hauptfigur, Nuri (Fabian Dott). Zu Hause sieht er „farbloses Schweigen, Schweigen der Erschöpfung. Schweigen der Gleichgültigkeit.“ Er kommt aus prekären Verhältnissen und absolviert täglich drei Jobs. „Das Patriarchat ist ein Versprechen an die Männer, das nie eingelöst wird“, erklärt dieser Nuri, „es richtet uns Männer zugrunde, und wir merken es nicht. Wir lassen zu, dass wir von allen Emotionen abgetrennt werden, außer von der Wut, wir lassen zu, dass wir benutzt werden, für die Produktion, für Kriege, für einen ewigen Kreislauf aus Gewalt und noch mehr Gewalt. Und wir kapieren nicht, dass wir dabei draufgehen.“

So plakativ anklagend geht hier meist die Rede, die Figuren zu The­sen­trä­ger:in­nen macht, für die es immer wieder Gesinnungsapplaus gibt. Die Männer haben an diesem Abend keine Chance, sind bis auf Nuri allesamt Lachnummern. Aber es geht nicht um den Kampf Frauen gegen Männer, sondern gemeinsam gegen das Patriarchat. Allerdings in Stille. Also erst mal reglos zur Ruhe kommen. Hinlegen auf Treppen, Straßen und Plätze zur Demonstration des kollektiven Burn-outs. „Vollkommen friedlich, seltsam schön“ wirkt das auf der Bühne, auch in Hannovers Innenstadt; Videos davon prägen die eingeblendete Nachrichtensendung.

Naive Planlosigkeit

wieder am 18. 3., sowie am 4.,10. und 30. 4., jeweils 19.30 Uhr, Schauspiel Hannover

Auch hier machen Fallwickl/Dröse vieles richtig, indem sie den ­Verweigerungsschlummer nicht als bewusst gewaltfreien Widerstand glorifizieren. Vielmehr zeigen sie die naive Planlosigkeit, da die Frauen nicht weiter denken als: „Wir machen das für uns.“ Andererseits macht Ruth deutlich, dass in Krankenhäusern und Heimen viele Menschen sterben werden, wenn sich niemand mehr ­kümmert. Weiterzuar­beiten sei ihre menschliche Pflicht.

Position drei zur Stillstandsbewegung ist rohe Gewalt, mit der sich Ehemänner, Polizisten, Soldaten gegen die zerstörerischen Folgen fürs öffentliche wie auch private Leben wehren. Wozu Dröse auch Fotos von Trump, Musk, Weidel und so weiter projizieren lässt. Ihr schwesterliches Miteinander aber wird gefeiert, so dass der Queerchor Hannover final mit dem Ensemble „Give me real power“ schmettert.

„Und alle so still“ ist ein einfach konstruiertes, pathetisch inszeniertes Selbstverständigungsstück, ja geradezu Aufstachelungstheater, das Menschen wohl eine Prise mutiger aus der Vorstellung gehen lässt, als sie in sie hineingegangen sind.

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