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Störungen im WahllokalDie AfD verwechselt Wahlbeobachtung mit Kontrolle

Bei der Bundestagswahl muss damit gerechnet werden: Diskussionen mit extrem Rechten. Eine Verwaltungschefin aus Schleswig-Holstein kennt das schon.

Hier darf je­de:r zugucken: Stimmzettelauszählung nach der Hamburger Bürgerschaftswahl 2000 in der Alsterdorfer Sporthalle Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Bremen taz | Die extrem rechte Partei AfD sowie ihr nahe stehende Organisationen haben zu einer verstärkten Beobachtung der Bundestagswahl aufgerufen, auch in Norddeutschland. Hier sind es neben der AfD etwa die „Kieler Gelbwesten“ oder „Wendezeit Hannover“. Sie wollen bei den Stimmauszählungen dabei sein. Die ehrenamtlichen Wahl­hel­fe­r:in­nen sprechen dort laut aus, was auf den Wahlzetteln angekreuzt wurde. Sie bilden mit fünf bis neun Personen den Wahlvorstand und kontrollieren sich gegenseitig.

Die extrem Rechten suggerieren nun fälschlich, das Wahlgesetz erlaube mit der Wahlbeobachtung eine weitere Prüf­instanz. „Vertrauen ohne Kon­trolle ist naiv“, schreibt der neu gegründete Verein Wabeo auf seiner Homepage. Er stellt gegen eine Gebühr Formulare zur Verfügung, mit denen die Stimmauszählung dokumentiert werden soll. Auch auf der AfD-Homepage kann man seine privaten Auszählungsergebnisse eingeben.

Je­de:r dürfe unangemeldet die Arbeit der Urnen- und Briefwahlvorstände beobachten, schreibt Niedersachsens Landeswahlleiter Markus Steinmetz der taz. „Die Öffentlichkeit ist ein wichtiger Grundsatz demokratischer Wahlen.“ Er wende sich aber gegen das in sozialen Medien verbreitete Narrativ, eine organisierte Wahlbeobachtung sei notwendig, um drohenden Wahlbetrug zu verhindern. „Das ist geeignet, das Vertrauen in die Demokratie zu untergraben.“

Als besonders problematisch bezeichnet er zudem Versuche von Wahlbeobachter:innen, „Druck auf die Mitglieder der Wahlvorstände auszuüben oder diese sogar einzuschüchtern“. Damit sich die Wahl­hel­fe­r:in­nen dagegen wehren können, sei eine von der Bundeswahlleitung erarbeitete Handreichung weitergeleitet worden.

Polizei auf Störungen vorbereitet

Diese listet zulässige und unzulässige Verhaltensweisen von Wahl­be­ob­ach­te­r:in­nen auf und erklärt Sanktionswege. „Bei nicht abstellbaren Störungen ist die zuständige Stelle bei der Gemeinde zu informieren – und im Bedarfsfall die Polizei hinzuzuziehen.“

Im Land Bremen seien die Polizeibehörden auf mögliche Störungen in Wahllokalen vorbereitet, heißt es in einem Schreiben des Innensenators an die parlamentarische Innendeputation, die am Donnerstag getagt hat. Störungen durch Wahl­be­ob­ach­te­r:in­nen seien in den vergangenen Jahren keine gemeldet worden, teilte ein Sprecher des Innensenators mit.

In Niedersachsen habe es in der Vergangenheit „vereinzelt Diskussionen mit Wahlbeobachtern über deren Befugnisse gegeben“, so Landeswahlleiter Markus Steinmetz. Aus Schleswig-Holstein heißt es, es sei in den vergangenen Jahren vereinzelt zu Störungen gekommen.

Was damit gemeint ist, kann Juliane Bohrer erzählen. Sie leitet die Verwaltung des Amts Schrevenborn. Dazu gehören die drei Gemeinden Heikendorf, Mönkeberg und Schönkirchen am Ostufer der Kieler Förde mit zusammen knapp 20.000 Ein­woh­ne­r:in­nen.

Sie wollte Stimmzettel fotografieren

Am Telefon berichtet sie, wie Karin Kaiser, eine AfD-Gemeinderätin, bei den vergangenen vier Wahlen in Schleswig-Holstein des Raumes verwiesen werden musste, weil sie die zulässigen Grundsätze der Wahlbeobachtung überschritten habe.

„Sie hat teilweise den jeweiligen Wahlvorstand bedrängt, wollte Stimmzettel fotografieren oder lief hinter den Wahl­hel­fe­r:in­nen herum, sodass diese nicht sehen konnten, was sie dort machte.“ Das sei auch deshalb nicht akzeptabel, weil niemand außer dem Wahlvorstand Zugriff auf die Unterlagen haben darf.

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Die AfD-Politikerin habe zudem in die Wahlurne schauen und über Entscheidungen diskutieren wollen – wozu sie laut Bundeswahlgesetz nicht berechtigt ist. „Sie wurde teilweise sehr laut“, erzählt die Amtsdirektorin, „einige Wahl­hel­fe­r:in­nen haben sich bedroht gefühlt.“

In einem Fall sei Kaiser mit zwei weiteren Personen erschienen. Sie selbst sei jedes Mal hinzugezogen worden und habe mit der AfD-Politikerin gesprochen, die uneinsichtig geblieben sei. Bei den vergangenen drei Wahlen habe Kaiser die Polizei gerufen, die aber die Entscheidungen des Wahlvorstands durchsetzte.

Stuhlbarrieren gegen AfD-Frau

Nach den ersten Erfahrungen mit ihr hätten die Wahlvorstände vorsorglich mit Stuhlbarrieren dafür gesorgt, dass die AfD-Politikerin nicht hinter ihnen herumlaufen kann. Diese behauptet dazu auf ihrer Homepage, Bohrer habe ihr keine „uneingeschränkte Wahlbeobachtung“ gewährt und sich nicht an die Vorgaben der Bundeswahlleitung gehalten. Das stimmt so nicht. „Ein Anspruch auf Sichtbarkeit jeder Einzelheit besteht nicht“, heißt es etwa in der Handreichung.

Auch ihre Klageversuche sind bisher gescheitert. So wies das Landesverfassungsgericht Schleswig-Holstein ihre Klage gegen die Gültigkeit der Landtagswahl 2022 ab. In erster Instanz entschied das Verwaltungsgericht Schleswig gegen ihre Klage gegen die Kommunalwahl 2023. Und ihr Einspruch gegen die Bundestagswahl 2021 wurde vom Bundestag zurückgewiesen, der sich noch mit ihrem Einspruch zur Europawahl 2024 befassen muss.

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1 Kommentar

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  • Ich befürchte, dass Trump unmittelbar nachdem das Wahlergebnis der Bundestagswahl 2025 bekannt gegeben wird, behauptet, dass die Wahl gefälscht wurde und in Wirklichkeit die AfD die Wahl gewonnen hätte.