Störungen im Wahllokal: Die AfD verwechselt Wahlbeobachtung mit Kontrolle
Bei der Bundestagswahl muss damit gerechnet werden: Diskussionen mit extrem Rechten. Eine Verwaltungschefin aus Schleswig-Holstein kennt das schon.

Die extrem Rechten suggerieren nun fälschlich, das Wahlgesetz erlaube mit der Wahlbeobachtung eine weitere Prüfinstanz. „Vertrauen ohne Kontrolle ist naiv“, schreibt der neu gegründete Verein Wabeo auf seiner Homepage. Er stellt gegen eine Gebühr Formulare zur Verfügung, mit denen die Stimmauszählung dokumentiert werden soll. Auch auf der AfD-Homepage kann man seine privaten Auszählungsergebnisse eingeben.
Jede:r dürfe unangemeldet die Arbeit der Urnen- und Briefwahlvorstände beobachten, schreibt Niedersachsens Landeswahlleiter Markus Steinmetz der taz. „Die Öffentlichkeit ist ein wichtiger Grundsatz demokratischer Wahlen.“ Er wende sich aber gegen das in sozialen Medien verbreitete Narrativ, eine organisierte Wahlbeobachtung sei notwendig, um drohenden Wahlbetrug zu verhindern. „Das ist geeignet, das Vertrauen in die Demokratie zu untergraben.“
Als besonders problematisch bezeichnet er zudem Versuche von Wahlbeobachter:innen, „Druck auf die Mitglieder der Wahlvorstände auszuüben oder diese sogar einzuschüchtern“. Damit sich die Wahlhelfer:innen dagegen wehren können, sei eine von der Bundeswahlleitung erarbeitete Handreichung weitergeleitet worden.
Polizei auf Störungen vorbereitet
Diese listet zulässige und unzulässige Verhaltensweisen von Wahlbeobachter:innen auf und erklärt Sanktionswege. „Bei nicht abstellbaren Störungen ist die zuständige Stelle bei der Gemeinde zu informieren – und im Bedarfsfall die Polizei hinzuzuziehen.“
Im Land Bremen seien die Polizeibehörden auf mögliche Störungen in Wahllokalen vorbereitet, heißt es in einem Schreiben des Innensenators an die parlamentarische Innendeputation, die am Donnerstag getagt hat. Störungen durch Wahlbeobachter:innen seien in den vergangenen Jahren keine gemeldet worden, teilte ein Sprecher des Innensenators mit.
In Niedersachsen habe es in der Vergangenheit „vereinzelt Diskussionen mit Wahlbeobachtern über deren Befugnisse gegeben“, so Landeswahlleiter Markus Steinmetz. Aus Schleswig-Holstein heißt es, es sei in den vergangenen Jahren vereinzelt zu Störungen gekommen.
Was damit gemeint ist, kann Juliane Bohrer erzählen. Sie leitet die Verwaltung des Amts Schrevenborn. Dazu gehören die drei Gemeinden Heikendorf, Mönkeberg und Schönkirchen am Ostufer der Kieler Förde mit zusammen knapp 20.000 Einwohner:innen.
Sie wollte Stimmzettel fotografieren
Am Telefon berichtet sie, wie Karin Kaiser, eine AfD-Gemeinderätin, bei den vergangenen vier Wahlen in Schleswig-Holstein des Raumes verwiesen werden musste, weil sie die zulässigen Grundsätze der Wahlbeobachtung überschritten habe.
„Sie hat teilweise den jeweiligen Wahlvorstand bedrängt, wollte Stimmzettel fotografieren oder lief hinter den Wahlhelfer:innen herum, sodass diese nicht sehen konnten, was sie dort machte.“ Das sei auch deshalb nicht akzeptabel, weil niemand außer dem Wahlvorstand Zugriff auf die Unterlagen haben darf.
Empfohlener externer Inhalt
Die AfD-Politikerin habe zudem in die Wahlurne schauen und über Entscheidungen diskutieren wollen – wozu sie laut Bundeswahlgesetz nicht berechtigt ist. „Sie wurde teilweise sehr laut“, erzählt die Amtsdirektorin, „einige Wahlhelfer:innen haben sich bedroht gefühlt.“
In einem Fall sei Kaiser mit zwei weiteren Personen erschienen. Sie selbst sei jedes Mal hinzugezogen worden und habe mit der AfD-Politikerin gesprochen, die uneinsichtig geblieben sei. Bei den vergangenen drei Wahlen habe Kaiser die Polizei gerufen, die aber die Entscheidungen des Wahlvorstands durchsetzte.
Stuhlbarrieren gegen AfD-Frau
Nach den ersten Erfahrungen mit ihr hätten die Wahlvorstände vorsorglich mit Stuhlbarrieren dafür gesorgt, dass die AfD-Politikerin nicht hinter ihnen herumlaufen kann. Diese behauptet dazu auf ihrer Homepage, Bohrer habe ihr keine „uneingeschränkte Wahlbeobachtung“ gewährt und sich nicht an die Vorgaben der Bundeswahlleitung gehalten. Das stimmt so nicht. „Ein Anspruch auf Sichtbarkeit jeder Einzelheit besteht nicht“, heißt es etwa in der Handreichung.
Auch ihre Klageversuche sind bisher gescheitert. So wies das Landesverfassungsgericht Schleswig-Holstein ihre Klage gegen die Gültigkeit der Landtagswahl 2022 ab. In erster Instanz entschied das Verwaltungsgericht Schleswig gegen ihre Klage gegen die Kommunalwahl 2023. Und ihr Einspruch gegen die Bundestagswahl 2021 wurde vom Bundestag zurückgewiesen, der sich noch mit ihrem Einspruch zur Europawahl 2024 befassen muss.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier