: Sicherheit gegen Rohstoffe
Lithium, Titan, Erdgas: Die Ukraine verfügt über einen bedeutenden Reichtum an Bodenschätzen. Um diesen auszubeuten, sind große Investitionen nötig. Sowohl Invasor Wladimir Putin als auch US-Präsident Donald Trump wollen ihren Teil vom wertvollen Kuchen
Von Mathias Brüggmann
Dass Donald Trumps gewollter Deal zur weitgehenden Übergabe der ukrainischen Rohstoffe an die USA ein Multimilliarden-Geschäft werde, sei eine „Phantastilliarde à la Donald Duck“, meint Harald Elsner. Der Rohstoffexperte bei der deutschen Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover ist überzeugt: „Die Ukraine verfügt über einige Vorkommen, davon sind auch noch einige in den russisch besetzten Gebieten. Aber wir führen die Ukraine nicht als rohstoffreiches Land.“ Sein Urteil basiert vor allem darauf, dass es kaum Bergwerke gibt, die Lagerstätten erkunden oder gar bereits wichtige Rohstoffe fördern.
Wo die Ukraine anerkanntermaßen zu den weltweit führenden Ländern gehört – bei der Gewinnung von Eisenerz und Kohle sowie der Stahlproduktion –, liegen die Förderstätten zumeist in den von Russland eroberten Gebieten und wurden gestoppt, sind abgesoffen oder zerstört. Mit der völkerrechtswidrigen Einnahme der Schwarzmeer-Halbinsel Krim 2014 hat sich Russland den bisher vom prorussischen ukrainischen Oligarchen Dmytro Firtasch gehaltenen Konzern „Krim-Titan“, einen bedeutenden Produzenten des für Flugzeugbau und Medizinprodukte wichtigen Leichtmetalls Titan, einverleibt.
Auch die größten konventionellen Erdölvorkommen sowie 72 Prozent der erkundeten Gasvorkommen liegen im Osten und um die Krim – und sind von Russland okkupiert. Die Stahlwerke in Mariupol sind riesige Schutthalden nach monatelangen Stellungskämpfen mit der ukrainischen Brigade „Azovstal“. Aus den Kohlegruben der Ostukraine wurde wegen Strommangels kein Wasser mehr abgepumpt, so dass sie unwiederbringlich vollliefen.
Doch wer sich durch die Ausschreibungsunterlagen des Ministeriums für Naturschutz und natürliche Ressourcen in Kyjiw gräbt oder mit den Expertinnen des führenden geologischen Instituts in der ukrainischen Hauptstadt spricht und deren Forschungen einsieht, könnte daraus Helmut Kohls „blühende Landschaften“ ablesen. Diesmal für die Ukraine: Rohstoffe im Wert von 11,5 Billionen Euro schlummern demnach unter der berühmten Schwarzerde der Ukraine.
Allein bei Erdgas verfügt die Ukraine schon jetzt mit 1,1 Billionen nachgewiesenen Kubikmetern und 5,4 Billionen wahrscheinlichen Kubikmetern laut Berechnungen der kanadischen SecDev Group über gigantische Reserven – Norwegen hat als der Staat mit Europas größten Vorkommen 1,53 Billionen Kubikmeter. Der britisch-niederländische Ölriese Shell zog sich nach der russischen Invasion aus der Erkundung von Schiefergasvorkommen in der Ukraine zurück. Und auch bei Lithium, das dringend für Autobatterien gebraucht wird, verfügt der größte Flächenstaat Europas über „fünf bis zehn Prozent der Vorkommen auf der Welt“, ist Olena Remesowa, Leiterin des geologischen Instituts in Kyjiw, überzeugt.
Zwei Tage vor Wladimir Putins Großinvasion vor drei Jahren veröffentlichte die Leiterin des Geologischen Instituts an der bedeutendsten Universität des Landes mit ihren Kolleginnen Svitlana Wassylenko und Uliana Naumenko den Forschungsbericht „Perspektiven der Lithium-Rohstoffbasis in der Ukraine“. Die Erkenntnis: Die Ukraine könne eine der bedeutendsten Lieferantinnen des edlen Stoffs werden und verfüge über ein Drittel der europäischen Reserven. Und das zudem noch in Magmagestein statt in Salzen eingelagert. Das vermeide den gigantischen Wasserverbrauch und die Salzberge wie in Südamerika bei der Lithiumgewinnung.
Die Grünen-Politikerin Viola von Cramon ist sich sicher, dass Wladimir Putin vor einem möglichen, von Trump vermittelten Waffenstillstandsabkommen noch den sogenannten „Lithiumgürtel einnehmen will“. Dieses Gebiet liegt zwischen Donezk und dem von Moskau bereits offiziell annektierten, aber noch keineswegs eroberten Saporischschja. Schon 2014 habe Putin so lange vor den Minsker Abkommen kämpfen lassen, „bis Russland Gebiete mit bekannten Vorkommen von Schiefergas in der Ostukraine erobert hatte“, sagt die bis 2024 als stellvertretende Vorsitzende des Parlamentarischen Assoziierungsausschusses des Europaparlaments mit der Ukraine amtierende Expertin. Putin selbst machte an der Bergbau-Hochschule in seiner Heimatstadt St. Petersburg mit einer Arbeit über die strategische Bedeutung von Rohstoffen seinen Doktor der Wirtschaftswissenschaften.
Der Kampf um Rohstoffe sei für Putin „sicherlich mitentscheidend“, meint von Cramon. Doch das gilt vielleicht auch auf der anderen Seite: Krieg für Öl – das warfen Friedensaktivisten den USA als Motiv für ihre Irak-Invasion gegen Diktator Saddam Hussein vor. Jetzt könnte es heißen: Sicherheitsgarantien für Rohstoffe.
Denn das vor dem Eklat zwischen Trump, seinem Vize JD Vance und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am vorigen Freitag erwartete Rohstoffabkommen zwischen den USA und der Ukraine sei ein „negativer Präzedenzfall“, meint Mark Williams. Der Professor an der Boston University’s Questrom School of Business meint: „Es ist so strukturiert, dass die USA als opportunistischer Geschäftspartner auftreten und nicht als Führungsmacht der Welt und Beschützer der Souveränitätsrechte.“
Trump will schon lange an die vermuteten überreichen Rohstoffe der Ukraine: Bereits im März 2024 hätten Trump-Unterhändler in Gesprächen mit sehr ranghohen Vertretern der EU-Kommission deutlich gemacht, dass sie auf ein Rohstoff-Abkommen mit der Ukraine bestünden. „Das war keinesfalls eine Idee oder ein Entgegenkommen Selenskyjs“, so ein Brüsseler Insider gegenüber der taz.
Die USA jedenfalls vermuten wie die Ukraine gewaltige Vorkommen an Öl, Erdgas, Lithium, Titan, dem für Batterien notwendigen Graphit, Uran, 12 Prozent der weltweiten Manganvorkommen, Kobalt, Germanium und seltenen Erden in dem Land.

Die Vorsitzende des ukrainischen Geologenverbandes, Hanna Liwenzewa, hat errechnet, dass die Ukraine zwar nur 0,4 Prozent der Erdoberfläche bedecke, aber über rund 5 Prozent der weltweiten Mineralressourcen verfüge und bei mehreren Rohstoffen unter den ersten zehn der Welt rangiere. Den Wert taxiert der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags auf 11,5 Billionen Dollar.
Auch deshalb hatten noch 2023 das australische Unternehmen European Lithium und der chinesische Konkurrent Chengxin Lithium versucht, an die bisher unberührten ukrainischen Vorkommen des wertvollen Rohstoffs zu kommen. Gerade die Konkurrenz zu China und Pekings Dominanz bei seltenen Rohstoffen machen die Ukraine zu einem Objekt der Begierde im Wettrennen der Supermächte. „Es ist wichtig, sich diese Rohstoffe strategisch zu sichern, damit kein anderer darankommt“, betont Nico Lange, Senior Fellow der Münchener Sicherheitskonferenz, die westlichen Interessen.
Doch auch mangelndes Wissen über die genaue Lage und Menge der Vorkommen machen den Zugang schwer: Russland wisse besser als die Ukraine, wo welche Rohstoffe in der Ukraine lägen, sagt Geologin Remesowa. Die Erforschung sei meist durch Sowjet-Institute in Moskau geleitet und die Ergebnisse seien dort gelagert worden. Zwar wurden auch in Kyiw seit 20 Jahren Titan- und Lithium-Lagerstätten erforscht, „aber wegen fehlender Mittel ging es nicht voran und viele Experten sind ins Ausland gegangen“.
Die Ukraine verfügt über ein Bruttoinlandsprodukt von 189 Milliarden Dollar und steht laut der Weltbank vor Wiederaufbaukosten von 524 Milliarden Dollar. Mit einem Rohstoffreichtum von vielleicht über 11,5 Billionen Dollar sitzt sie allerdings auf einer Schatzkiste, Inhalt unerforscht. Mit Trump im Nacken und China als Konkurrent weiß sie zudem nicht, wie daranzukommen ist.
Bisher produziert und exportiert die Ukraine Gallium, Graphit und Titan für etwa 200 Millionen Dollar jährlich. Laut Analysten der in London ansässigen Beratungsfirma Capital Economics gehöre zur Wahrheit, dass „die meisten Rohstoffvorkommen dort vor allem kurzfristig nicht ökonomisch sinnvoll erkundet werden können“. Das Land hatte im Jahr 2023 Lizenzeinnahmen für den Rohstoffabbau in Höhe von 1,1 Milliarden Dollar, vor allem für die Erdgasförderung, ein deutlicher Rückgang durch den Krieg.
Das ArcelorMittal Stahl- und Hüttenwerk in Selenskyjs Heimatstadt Krywyj Rih konnte voriges Jahr, als größter auf dem von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiet verbliebener Bergbaukonzern, nur noch mit Verlusten arbeiten. Als Gründe nannte ArcelorMittal-CEO Mauro Longobardo kürzlich Stromausfälle, daraus resultierende Brände in einem Hochofen und wegen des Krieges deutlich verteuerte Logistik. Das Stahlwerk hat eine Kapazität von mehr als 6 Millionen Tonnen Stahl, mehr als 5 Millionen Tonnen Walzstahl und mehr als 5,5 Millionen Tonnen Roheisen jährlich.
Um die potenziell reichen Vorkommen an seltenen Erden und Rohstoffen kommerziell sinnvoll erkunden und fördern zu können, braucht es Investitionen in Höhe hunderter Millionen Euro, heißt es einhellig bei Fachleuten. Damit Unternehmen solche Summen in die Hand nehmen im Schatten russischer Besatzung, sind stabile Verhältnisse erforderlich. Dafür braucht es ein verlässliches Friedensabkommen. Denn: Projektentwicklung im Rohstoffsektor dauere durchschnittlich 18 Jahre „und verschlingt viel Geld, von dem niemand weiß, ob es je zurückkommt“, sagt ein seit vielen Jahren in der Ukraine engagierter Experte.
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