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Archiv-Artikel

Die heimliche Kulturhauptstadt Polens

In Poznań/Posen drückt die junge, freie Szene der Stadt ihren Stempel auf. Das bleibt natürlich nicht ohne Folgen für die Berliner Künstler. In der Clubszene sind gegenseitige Auftritte von Berliner und Posener DJs längst zum Alltag geworden

AUS POSEN TOMEK JANAS

Die Kulturstadt Posen, das ist zweierlei. Zunächst einmal die Kunst aus Posen selbst. Von hier kommt und hier debütierte der weltberühmte Jazzmusiker Krzysztof Komeda; in Posen leben aber auch die Künstler des Theaters „Biuro Podróży“ (Reisebüro), deren visionäres, vom Krieg in Bosnien inspiriertes Spektakel „Carmen Funebre“ zahlreiche internationale Preise gewann.

Auf der anderen Seite steht der Einfluss der deutschen und hier vor allem der Berliner Szene. Ohne sie wäre weder die internationale Skulpturenbiennale denkbar noch die lebendige Musik- und Clubszene.

In Posen wimmelt es geradezu an Künstlern mit Vorstellungskraft und Charakter, und dennoch kennt man die Stadt vor allem als Messestandort. Dabei sind es gerade die Messen und die damit verbundene Internationalität, die dem kulturellen Leben der Stadt zusätzliche Kraft verleihen. Komeda, bis heute der wichtigste Jazzmusiker in Polen, stand am Anfang einer langen Tradition, die der Stadt ein neues Gesicht verpasste. Posen ist nicht nur die Heimat der sprichwörtlichen Geizhälse (sie selbst nennen sich am liebsten Haushälter). Seine Gegenwart ist auch geprägt von jungen Künstlern aus der Offszene.

Ein Beispiel dafür ist die Theaterszene. Das klassische Theater in allen Ehren – das aufregendste Theaterereignis in Polen ist heute das unabhängige Festival des Straßentheaters „Malta“. Dieses Festival hat seit Anfang der 90er-Jahre ganz wesentlich zur Entwicklung einer freien Szene in der Stadt beigetragen. Gegenwärtig arbeiten über zehn Theatergruppe in der Stadt, von denen neben „Biuro Podróży“ das „Teatr Óśmego Dnia“ (Theater des achten Tages) weit über die Grenzen Polens hinaus bekannt ist. Unter den Akteuren findet man aber auch Ensembles wie das Theater „Strefa Ciszy“ (Ruhezone), das für seine ironischen Kommentare zur Lage der polnischen Gesellschaft bekannt ist. Das Maltafestival, das jedes Jahr Ende Juni und Anfang Juli stattfindet, ist ein Ereignis, das die ganze Stadt auf Trab bringt – angefangen vom Maltasee, wo es entstanden ist, bis in die Gassen der Posener Altstadt.

Mittlerweile ist die Posener freie Theaterszene auch in Berlin bekannt. Sowohl das „Reisebüro“ als auch das Theater „Ruhezone“ gastierten im vergangene Jahr beim Festival junger polnischer Kunst, „Terra Polska“, in der Kulturbrauerei und auf dem Alexanderplatz.

Noch intensiver ist der Austausch in der Clubszene. Hier verdichten sich Posen und Berlin zu einem engen Raum gegenseitiger Kooperation. Im Klub Eskulap finden regelmäßig Events statt, in denen DJs aus Deutschland auflegen. Im Gegenzug werden die DJs aus Posen nach Deutschland eingeladen. Inzwischen ist die Zusammenarbeit zum Alltag geworden. Allein in den letzten Wochen waren die Berliner DJs Xing, Dixon und Phonique zu Gast in Posen.

Dank der geografischen Nähe der beiden Städte sind auch die Beziehungen zwischen der Jazzszene in Posen und Berlin enger geworden. Viele Künstler, die in Deutschland touren, kommen anschließend auch nach Posen und umgekehrt. Das Festival „Poznań Jazz Fair“, das in den Neunzigerjahren eines der wichtigsten Jazzereignisse in Polen wurde, ist sogar explizit als deutsch-polnisches Festival ins Leben gerufen worden.

Heute hat der Jazz viele Gesichter, wofür das Werk von Zbigniew Łowżył ein gutes Beispiel ist. Auf der Basis eines klassischen Jazztrios stößt er immer wieder in neue Räume der zeitgenössischen Musik vor. Mit der Band Kultikula nähert er sich der Avantgarde, mit der Formation Nisani dagegen greift er auf die Traditionen des Nahen Ostens zurück. Seine „Drum Machina“ ist ein Vulkan rhythmischer Energie im Geiste der Weltmusik, während die Formation „Bracia Karamazow“ die Faszination der elektronischen mit der der zeitgenössischen Musik vereint.

Die jungen Posener Musiker, die in der „Drum Machine“ von Łowżył spielen, haben auch eigene interessante Projekte, in denen mit neuen und elektronischen Klängen experimentiert wird. Beispiele dafür sind die Gruppen „Locostar“ oder „Viksa Kovac“. Auch sie haben von der Zusammenarbeit mit deutschen Künstlern profitiert.

Mit großem Enthusiasmus wurden in den letzten Jahren in Posen die deutschen Vertreter der unabhängigen elektronischen Musik empfangen. Das gilt sowohl für die Konzerte von Barbara Morgenstern als auch für die Bands Tarwater, To Rococo Rot, Mapstation, das Kammerflimmer Kollektif und nicht zuletzt Paul Wirkus, der, obwohl er aus Polen stammt, erst in Deutschland zu seiner Musik gefunden hat. Großen Beifall gab es auch für die Gigs von Lali Puna und Donna Regina. Vorgestellt wurde nicht zuletzt eine Reige von Konzerten der Berliner Avantgarde, unter ihnen die Bands Kinn, Gaston, Masonne. Erfolg hatten aber nicht nur die Berliner in Posen, sondern auch die Posener in Berlin. Das betrifft vor allem die Punk und Rockszene, die von der unabhängigen und anarchistischen Szene in Berlin profitierte.

Bei der Internationalen Skulpturenbiennale in Posen ging der Hauptpreis im vergangenen Jahr an eine Berliner Studentin – Ira Hanusch. Hätte es nicht die guten Kontakte des Posener Bildhauers Robert Sobociński in Berlin gegeben, hätte sich das Posner Festival nicht zu dem entwickelt, was es heute ist – eine der wichtigsten internationalen Ereignisse in der Stadt. Unter den Gästen, die ihre Arbeiten in der städtischen Galerie Arsenal und auf dem Marktplatz präsentierten, waren auch Stefan Basil, Maximilian Verhardt und Michael Schoenholz.

Posen ist mit anderen Worten eine kulturelle Verlockung, die von Mal zu Mal größer wird. Am besten, Sie überzeugen sich selbst. MITARBEIT:MONIKA PIOTROWSKA, POZNAN

aus dem Poln. von Uwe Rada