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Die Melodien des Parks

Für den Jazzmusiker Paul Brody ist der Gleisdreieckpark eine Inspirationsquelle. So sehr, dass seine Musik mittlerweile ein akustisches Abbild des Parks geworden ist. Auf Klangsuche mit einem ungewöhnlichen Künstler

Raschel-raschel, Klick-klick-klick Fotos: Mark Carlson

Von Raweel Nasir

Die Sonne lacht über dem Gleisdreieckpark. Paul Brody lauscht konzen­triert den Klängen. Er nimmt das Zusammenspiel von Menschen, Tieren, Insekten, Zügen, U-Bahnen, der Wiese und dem Spielplatz wahr und leitet Melodien daraus ab. Während sein Fuß zu den Stimmen der Kinder steppt, schwingt seine Hand zu dem Takt der U-Bahn über ihm. Mit seinem Mund ahmt er den Gesang der Vögel nach. Sein ganzer Körper ist ein akustisches Abbild des Parks geworden.

Seit nun bald 40 Jahren ist der Deutsch-Amerikaner als „Klangkünstler“ tätig, in verschiedenen Projekten. 30 Jahre lebt Brody bereits in Berlin. Die Kunstszene hier fand er schon immer lebendig, sagt er. Brody ist Jazzmusiker, das Komponieren und Spielen auf der Trompete sind sein Spezialgebiet. In dieser Funktion arbeitete er unter anderem mit dem Badischen Staatstheater, John Zorn, dem Sänger Clueso, der Band 17 Hippies, dem WDR und dem SWR zusammen. Ein international gestandener Musiker also.

Was verschlägt diesen Künstler ausgerechnet in den Gleisdreieckpark, mit seinem tristen, kahlen, eher urbanen statt idyllischen Flair? Diesen Blick auf den Park kann Paul Brody ganz und gar nicht teilen. Vielmehr verbindet ihn eine tiefe Freundschaft mit der einst stillgelegten Bahnanlage. Als der Park vor über zehn Jahren eröffnete, war er für Brody zunächst einfach gut gelegen. Da er morgens Zuhause komponierte, begab er sich für seine nachmittäglichen Übungssessions gerne ins Freie. Brody fing an, durch den Park zu wandern und den verschiedenen Klängen zu lauschen.

In den folgenden Jahren sollte so der Gleisdreieckpark für ihn zu einer entscheidenden Inspirationsquelle werden. Einen designierten Lieblingsplatz, an dem er besonders gut spielen kann, hat er bis heute nicht. Inspirieren lässt er sich manchmal unter einem Baum, manchmal bei der Parcouranlage, auf der großen Wiese, auf der Brücke zur Yorckstraße oder sogar direkt unter der U-Bahn, die hier oberirdisch fährt. Inzwischen sei der Park wie ein zweites Wohnzimmer für ihn, sagt Brody.

„Obwohl ich eigentlich zum Trompeteüben herkam, wurde ich durch die vielen Geräusche abgelenkt und fing an zu improvisieren“, erzählt er. Skateboards zum Beispiel hätten „so einen Klick-klick-klick-Sound, das hat einen guten Groove“. Menschen zuzuhören, wie sie vorbeilaufen, vorbeifahren oder vorbeiskaten, wurde zu seiner neuen Lieblingsbeschäftigung. Er versuchte, den Rhythmus ihrer Körper zu verstehen und herauszufinden, was sie emotional kommunizieren. Und zu diesem Klang auf der Trompete zu spielen.

„Man kann die Stimmung eines Men­schen auf einem Ins­tru­ment spielen“

Paul Brody

Wenn man die Schritte von Menschen als verschiedene Beats höre, erkenne man, dass jeder Mensch einen ganz eigenen Rhythmus hat, sagt Brody. Ob jemand schnell schreitet, eher schluderig schlendert oder erhobenen Hauptes stolziert. All das erzeuge eine eigene Melodie. Dabei gebe es große Unterschiede zwischen den Generationen. Junge Menschen würden zum Beispiel eher zum Hopsen neigen. „Die Stimmung der Menschen dient als eine Ergänzung. Man kann auch die Stimmung eines Menschen auf einem Instrument spielen“, verrät er.

Paul Brodys Begeisterung ist ansteckend – und für alle und je­de:n erfahrbar. Je­de:r interessierte Person, sofern sie ein Smartphone besitzt, kann den Park durch Brodys Augen und Ohren erkunden. Denn der Senat hat gemeinsam mit dem Verein Campus Stadt Natur eine Audiotour durch den Gleisdreieckspark mit Geschichten, Expert:inneninterviews, historischen Fakten und musikalischer Untermalung entwickelt.

Aufgezeichnet wurde jeder der 27 Teile des Storywalks von Brody selbst, sowohl die Interviews mit den Ex­per­t:in­nen, als auch die dazugehörige Musik. So lernen die Teil­neh­me­r:in­nen unter anderen die Geschichte der Fledermäuse kennen, die im Park leben und sich dem Leben der Menschen angepasst haben. Die Tour ist auf Deutsch, Englisch und Türkisch verfügbar.

Urbaner Park, urbane Geräusche Foto: Mark Carlson

Beim Spaziergang durch den Park erzählt Brody, er könne nicht nur Menschen, sondern auch Tiere musikalisch nachahmen. Eine der schönsten Dinge im Frühling sei es, wenn die Vögel wieder von ihrem Winterflug zurückkehren, sagt er. Nachtigallen – bekannt für ihre schönen Gesänge – hätten etwa keinen angeborenen Gesang, sondern passten sich an ihre Umgebung an, würden auch viel von anderen Vögeln übernehmen. „Die Nachtigallen im Park haben fast schon eine technische Komponente“, sagt Brody. Ein bisschen klinge das „wie Technomusik“, sagt er. Überraschen tut das in einem Berliner Park nicht.

Einmal habe er sein Equipment um drei Uhr morgens in den Park mitgenommen, um die Nachtigallen zur besten Zeit aufnehmen zu können. Dafür habe er das Mikrofon an einem Besenstil befestigt und es in die Nähe eines Baumes gehalten. Plötzlich habe er eine aufgeschreckte Stimme gehört: „Hey Frank, lass uns abhauen, hier ist jemand mit’nem Mikro!“ Schneller als er habe gucken können, seien zwei Punks auf ihren Fahrrädern verschwunden, erzählt er lachend.

Foto: Wer ist lauter? Foto: Paul Brody

Anschließend sei die Polizei an ihm vorbeigefahren und habe ihn misstrauisch gemustert. Als er erklärte, was er hier tat, hätten ihn die Be­am­t:in­nen nur perplex angeschaut. „Ich finde die Anekdote deshalb so amüsant, weil in diesem Park Punks und Polizei zugleich nicht verstehen konnten, wie jemand so beeindruckt von der Natur und den Klängen des Parks sein kann, dass er sie gerne aufnimmt“, sagt Brody.

Und die lautesten Be­su­che­r:in­nen des Parks? „Die Stimmen von Kindern sind viel melodischer als von Erwachsenen“, sagt Brody. „Sie sprechen oft in Terzen und in Pentatonik. Dabei ist ‚Mama‘ oft eine große oder kleine Terz. Da da da da da Mama.“

Brody erklärt sich dieses Phänomen dadurch, dass bei Kindern, bevor sie richtig sprechen können, nicht so wichtig ist, was sie genau sagen, sondern wie. Viel von dem, was sie ausdrücken wollen, sei also abhängig von ihren, wie Brody es nennt, „stimmlichen Gestikulationen“. „Meine These ist: Je mehr Wörter ein Kind lernt, desto mehr flachen diese stimmlichen Gestikulationen ab und gehen in komplexe Wörter über“, begeistert sich Brody weiter.

Ein weiteres Geräusch, das ihn faszinierte, dürfte je­de:r kennen: Das eines Kindes, das einen Fußball gegen einen Metallzaun schießt. Paul Brody war von dem Echo fasziniert: „Ich fragte ihn, ob er den Ball nochmal dagegen schießen könnte, damit ich es aufnehmen kann. Er sagte nur: ‚Was auch immer.‘“ Nach ein paar Versuchen, in denen Brody den Jungen bat, den Ball gegen einen anderen Zaun oder etwas doller zu schießen, sagte der Junge: „Na gut, aber das ist das letzte Mal.“ Brody stand mit seinem Audioequipment direkt hinter dem Zaun und nahm dann den perfekten Schusssound auf. „So etwas kann man nicht mit normalen Instrumenten erzeugen, so was gibt’s nur im Gleisdreieckspark“, ist Brody sich sicher.

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