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Shakespeare in GTA-WeltSein oder offline sein

Die animierte Doku „Grand Theft Hamlet“ inszeniert das legendäre Theaterstück wie ein Videospiel. Das ist abgefahren – und sehr gelungen.

Die realen Gesichter der Figuren bleiben unsichtbar, doch ihre Gefühle sind echt Foto: Mubi

Berlin taz Shakespeare ist immer eine Herausforderung, ganz gleich in welchem Medium. Ob auf der Bühne, der Kinoleinwand, im Impro-Theater oder in der Literatur – seit über 400 Jahren ist die Kunst fasziniert von seinen Stücken und erfindet sie immer wieder neu. Doch kaum eine Shakespeare-Adaption ist so gewagt und skurril wie „Grand Theft Hamlet.“

Die animierte Dokumentation zeigt, wie ein Schauspieler während der Pandemie versucht, Hamlet innerhalb eines Online-Videospiels mit fremden Mit­spie­le­r:in­nen zu inszenieren. Der kuriose Ansatz des Films sticht heraus, genauso wie die Echtheit der Emotionen.

Es ist 2021 und Corona-Lockdowns haben die Kulturszenen zum Erliegen gebracht. Künst­le­r:in­nen sind in ihren vier Wänden gefangen, abgeschnitten von ihrem Publikum. Der reale Schauspieler Sam Crane findet im Videospiel „GTA V“ und dessen Mehrspieler-Modus „GTA Online“ den nötigen Eskapismus.

Die fiktive Stadt Los Santos – von Los Angeles kaum zu unterscheiden – lässt ihn und einen Freund in Casinos um Geld spielen, das Gesetz brechen, vor strahlender Sonne im Meer schwimmen und ihre Langeweile für einen Moment vergessen. Während einer Flucht vor der Polizei stolpern die beiden über ein großes, offenes Theater.

Film

„Grand Theft Hamlet“, läuft auf Mubi

Sam kommt auf eine abwegige Idee: Hier will er Shakespeares „Hamlet“ aufführen, in dem Online-Modus eines Spiels, auf einer virtuellen Theaterbühne, mit fremden Spieler:innen.

Nicht-Gamer werden umso beeindruckter sein von den narrativen Möglichkeiten

Er und sein Freund organisieren Proben mit wildfremden Spielenden, verteilen Rollen und Texte und suchen in der Spielwelt nach geeigneten Schauplätzen. Dazu kommt Sams Freundin und Dokumentarfilmemacherin Pinny Grylls, die die Produktion dokumentarisch festhält – sollte sie jemals fertig werden.

„Grand Theft Hamlet“ ist besonders für die interessant, die die erzählerische Kraft von Videospielen noch nicht kennen. Nicht-Gamer werden umso beeindruckter sein vom Dokumentarfilm, der die narrativen Möglichkeiten von Spielen zeigt, aber auch von den interessanten Interaktionen zwischen Spielenden.

Doch es ist nicht nur ein Film über ein Videospiel, es ist ein Zeugnis darüber, wie kreativ der Mensch sein kann – und es in Krisenzeiten sein muss. Es ist ein Film über die Kraft des Theaters, der Kunst und auch der Unterhaltung.

Jenseits von Genregrenzen

Die Doku ist überraschend emotional. Es wird spürbar, wie sehr die Krea­tiven unter den Restriktionen leiden und wie viel Hoffnung sie in ihr anfangs noch wahnwitziges, an Größenwahn grenzendes Projekt stecken. Und obwohl man bis zum Abspann nicht die realen Gesichter hinter den digitalen Figuren sieht, sind ihre Gefühle und Dialoge echt.

Wenn sie sich darüber freuen, dass Leute auftauchen und die Proben beginnen, wenn sie traurig sind, als das Stück ins Wanken gerät – „Grand Theft Hamlet“ bietet in knapp 90 Minuten mehr Emotionen als die meisten großen Filmproduktionen.

Dass ein solches Projekt außerhalb jeder Norm liegt, wissen die beiden MacherInnen. Im taz-Interview haben Sam Crane und Pinny Grylls darüber gesprochen, wie oft sie die Hoffnung in „Grand Theft Hamlet“ verloren haben.

Doch entgegen ihren Erwartungen haben sich genügend Leute gefunden – sowohl auf der Bühne als auch davor, um das virtuelle Theaterstück zum Erfolg zu machen. „Wir haben die Hoffnung immer dann nicht verloren, wenn wir mit anderen Leuten zusammen waren und zum Beispiel geprobt haben“, so Grylls.

Dass ihr Film Genregrenzen sprengt, sieht Sam Craine als Bereicherung: „Es gibt die Leute, die sagen, man müsse Shakespeare so und so inszenieren. Oder solche, die sagen, man muss Film auf diese Art machen und Dokumentationen auf diese. Ich denke, es ist gut, diese Grenzen zu zerschlagen.“

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