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Liberale auf Sinnsuche

Die Führung der FDP verabschiedet sich nach dem verpassten Einzug in den Bundestag. Auch für eine Fehleranalyse steht Lindner nicht zur Verfügung

Das Ende der Ära Lindner: Seit 2013 führte er die Partei Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Aus Berlin Cem-Odos Güler

Die Karte, auf die Christian Lindner alles gesetzt hat, heißt: Christian Lindner. Der FDP-Chef ist mit seiner Strategie gescheitert, den Liberalen bei der Wahl zu einem Überraschungserfolg zu verhelfen. Mit 4,3 Prozent der Stimmen fliegt die FDP aus dem Bundestag. Ein Großteil der bislang bekannten Liberalen kündigte seinen Rückzug aus der FDP an, darunter auch der Parteichef selbst. Lindner wollte am Montag nicht einmal für eine Analyse seines verpatzten Wahlkampfs zur Verfügung stehen.

„Ich werde mich an der öffentlichen Analyse nicht beteiligen“, sagte der amtierende Parteichef nach der Sitzung der FDP-Gremien in Berlin. „Vielleicht wenn ich etwas Distanz gewinne.“ Lindner kündigte an, die Geschäfte in der FDP-Zentrale bis zum Parteitag im Mai nur noch formal führen zu wollen. „Ich habe schon gesagt, dass ich nicht zur Verfügung stehe für eine Fortsetzung meiner politischen Arbeit in der FDP.“ Neben ihm erklärten auch Generalsekretär und Ex-Justizminister Marco Buschmann sowie die ehemalige Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger ihren politischen Rückzug.

Die Liberalen müssen nun mit dem doppelten Problem umgehen, dass sie nicht nur aus dem Bundestag fliegen, sondern auch führungslos dastehen. Vorbereitet scheint dieses Szenario nicht. Bislang wagten sich die prominente Europapolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Parteivize Wolfgang Kubicki mit Äußerungen aus der Deckung, sich den Job prinzipiell vorstellen zu können.

Dabei kamen Kubickis Äußerungen als Überraschung: Noch am Wahlabend hatte er gesagt, es übersteige „seine Kräfte und sein Wollen“ als bald 73-jähriger Mann, das Comeback der FDP zu organisieren. Nur wenige Stunden später schien er dann doch noch irgendwo Energiereserven aufgespürt zu haben. Er sei in der Nacht von vielen Menschen aus der Partei und von Unterstützern gebeten worden, die Führung der Partei zu übernehmen. „Ich denke ernsthaft darüber nach, im Mai zu kandidieren, um die Partei zusammenzuhalten und neu zu motivieren“, schrieb Kubicki bei X.

Zu all diesen Vorgängen wollten weder Lindner noch Buschmann sich äußern. Er sei Kubickis Freund und nicht sein Sprecher, sagte der Parteichef. „Ich habe nicht wahrgenommen, dass in den Gremien heute überhaupt jemand eine Kandidatur erklärt hätte.“

Lindner führte die FDP nun mehr als 11 Jahre lang. Er übernahm die Partei im Dezember 2013 aus der Rolle der außerparlamentarischen Opposition, nachdem sie damals aus dem Bundestag geflogen war. Lindner richtete die Liberalen gemeinsam mit Verbündeten wie Kubicki nach seinem wirtschaftsliberalen Profil aus. Sein Charisma und seine rhetorische Stärke verhalfen der FDP zu neuem Leben, nachdem die Liberalen zuvor in einer schwarz-gelben Koalition unter Angela Merkel sich aufgerieben und an Profil verloren hatten.

Lindner führte 2017 die FDP erst mit neuen Zugewinnen in den Landtag von Nordrhein-Westfalen und löste dort mit der Union die SPD-geführte Regierung ab. Im Herbst des selben Jahres gelang ihm dann der Wiedereinzug in den Bundestag, 2021 erreichte Lindner auch sein Ziel, Finanzminister zu werden.

„Ich denke ernsthaft darüber nach, im Mai zu kandidieren“

Parteivize Wolfgang Kubicki

Linder wich der Frage aus, ob er seinen Nach­fol­ge­r*in­nen Tipps mitgeben könnte – schließlich würde die Person die Partei in einer ähnlichen Verfassung übernehmen, wie er damals. Das Einzige, wozu sich der Parteichef hinreißen ließ, war: „Man muss überzeugt sein von dem, was man tut, Widerworte gibt es jeden Tag.“

Dabei ist die Frage, ob der Parteichef in den vergangenen Monaten den skeptischen Bemerkungen genug Raum gegeben hat, berechtigt. Lindner hat die FDP eigenwillig aus der Ampel-Regierung geführt, wie sich im Nachhinein herausstellte, sollen die Liberalen dabei die Koalition in ihren letzten Monaten aktiv hintertrieben haben. In Folge dieses „D-Day“-Skandals musste Generalsekretär Bijan Djir-Sarai seinen Posten räumen, Christian Lindner jedoch blieb fest im Sattel. Zuletzt hatte sich der Parteichef auch ideologisch auf Abwege begeben, als er davon schwadronierte, es gelte manchmal mehr Disruption im Sinne libertärer Figuren wie Javier Milei und Elon Musk zu wagen. Diese Äußerungen sorgten bereits für leichte Irritationen innerhalb seiner Partei. Zum endgültigen Bruch kam es jedoch, als er einem restriktiven Migrationsgesetz der CDU mit AfD-Stimmen im Bundestag zur Mehrheit verhelfen wollte. Große Teile seiner Fraktion verweigerten ihm bei der Abstimmung die Gefolgschaft, darunter prominente gesellschaftlich liberale Abgeordnete wie Johannes Vogel und Konstantin Kuhle.

Vogel und Kuhle waren auch unter den Namen, die zuletzt immer wieder als mögliche Nachfolger von Lindner gehandelt wurden. Doch in den nächsten Monaten geht es nicht nur um die personelle Neuaufstellung. Es wird auch darum gehen, wie die Partei jenseits des Wirtschaftsliberalismus Themen bedienen kann. Der Gang in die außerparlamentarische Opposition schnürt die Partei nun von Geld und anderen Ressourcen ab. Doch in der Partei der Eigenverantwortung, wie Linder stets betonte, könnte das als dornige Chance gewertet werden.

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