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Ausgehen und rumstehen von Marielle KreienborgSagt Ihnen der Name Schicklgruber etwas?

Puppenspiel?“, fragt meine Nachbarin, als ich ihr am Briefkasten von meinem Ausflugsziel erzähle, „ist das nicht … mehr was für Kinder?“ Eine Stunde später reiche ich die Frage weiter an einen Studenten, der sich an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch zum Puppenspieler ausbilden lässt.

Gemeinsam mit einem Dozenten führt er Interessierte wie mich einmal pro Monat durch den seit vierzig Jahren immer größer anwachsenden Puppen- und Maskenfundus der Hochschule. „Puppenspiel“, antwortet der Student, „ist mehr als Augsburger Puppenkiste und Kasperletheater, auch wenn das immer alle als Erstes kennen. Der hier zum Beispiel“, sagt er und setzt eine vor Schmerz verzerrte Gesichtsmaske auf, „dem geht’s ja nicht gut. Aber wenn dem jetzt etwas wahnsinnig Schönes widerfährt – wie stelle ich das dar? Weil das hier“, er klopft auf das gequälte Maskengesicht, „kann sich ja nicht verändern. Wie organisiere ich also meinen Körper so, dass auch diese Figur einen wunderschönen Moment erleben kann?! „Das lernen die Studierenden in einem Fach, „das es so nirgendwo anders auf der Welt gibt: Puppenführungstechnik. Am Anfang, bevor man überhaupt eine Puppe auf der Hand hat, hält man monatelang erst mal einfach nur die Hände hoch und schaut: Wie lange halte ich das hier oben aus? Nach einer Minute werden mir schon die Arme schwer. Und meine Hand: Welche Gelenke gibt’s da?“ Wir Teil­neh­me­r:in­nen tun es ihm gleich und erkunden unsere Hand- und Fingerknochen ebenfalls, bewegen alle Glieder einzeln. „Ich schaff’s schon auf Konzerten kaum“, sagt ein Mädchen neben mir, „ein ganzes Lied lang die Arme zu schwenken.“ „Und wie kommt man darauf, Puppenspiel zu studieren?“, frage ich, die ich bis vor wenigen Wochen nicht einmal wusste, dass ein solches Studium existiert. Viele Bewerber:innen, erklärt uns der Dozent, seien bereits älter, mit Vorerfahrungen aus der bildenden Kunst oder der Bühnenplastik. „Die Studierenden werden bei uns in ihrer eigenen künstlerischen Autorenschaft gefordert. Also selber etwas zu entwickeln, selber Texte zu schreiben, nicht so dieses Primat des dramatischen Textes.“ Darauf folgt eine Frage, die mir seit Beginn der Führung auf der Zunge brennt: „Und was macht man dann damit?“ „Über die Hälfte unserer Ab­sol­ven­t:in­nen geht in ein Ensemble. Bis auf Koblenz und Gelsenkirchen sind das alles Theater im Osten.“ Man müsse nämlich stark unterscheiden zwischen den „neuen“ und den „alten“ Bundesländern: „In den „neuen“ Bundesländern gibt es ganz viele kommunale Puppentheater: Halle, Bautzen, Chemnitz, Gera, Dresden. Das hat mit Kulturpolitik zu tun. Städte hatten Puppentheater. Nach der Wende sind viele dann in andere Organisationsformen überführt worden. Kommt denn hier jemand aus dem Osten?“ Stille. Ich schüttele den Kopf. „Und hat jemand von Ihnen schon einmal Puppentheater gesehen?“ Wieder Stille, ich schüttele abermals den Kopf, traue mich kaum, die beiden begeisterten Puppenspieler anzuschauen. „Aber den Lars Eidinger“, sagt einer der Teilnehmer, „den habe ich schon öfter auf der Bühne gesehen. Der kommt doch auch hier aus dem Haus.“ „Wo in Berlin gibt’s denn Puppentheater?“, fragt das Mädchen mit dem Arm-Muskelkater. „Ist das nicht …’ne ziemliche Nische? Und auch eher … also … auf dem absteigenden Ast?!“ „Neiiiiiiiiin!“, protestiert die blonde vorlaute Klappmaulpuppe in der Hand des Studenten. Sein Professor antwortet diplomatisch: „In der Schaubude in der Greifswalder Straße im Prenzlauer Berg. Und im Mai spielt am Deutschen Theater auch wieder Nikolaus Habjan, ein österreichischer Puppenspieler. „Schickl­gruber heißt sein Stück“, ergänzt der Dozent, während er uns Elon Musks und Jeff Bezos’ unheimlich unmenschliche Puppenköpfe präsentiert, „Sagt dieser Name Ihnen vielleicht was?“

Wie organisiere ich meinen Körper so, dass auch die gequälte Figur einen wunderschönen Moment erleben kann?

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