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Tabula rasa in Mitte?

In Mitte könnte nicht nur das Denkmal für die „Trostfrauen“ weichen müssen. Auch andere Erinnerungsorte wie die Stelen zum Gedenken an Magnus Hirschfeld sind gefährdet

Von Marina Mai

Bleiben die Stelen stehen? Oder soll auch das Denkmal für den Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld am gleichnamigen Ufer verschwinden – so wie das für die „Trostfrauen“?

Wie die taz berichtete, sind mehrere Denkmäler im Bezirk Mitte von Abriss bedroht. Der Grund: Privat initiierte Erinnerungsorte sollen nach dem Willen des Bezirkes nur temporär stehen. Zu diesem Ergebnis kam das Bezirksamt, als der Korea-Verband gegen den geforderten Abbau der Trostfrauenstatue vor Gericht klagte.

Der Queer-Beauftragte des Senats, Alfonso Pantisano, hat nun in einem Brief an den Bezirk nach dem Verbleib der Stelen am Magnus-Hirschfeld-Ufer gefragt. Auch der Lesben- und Schwulenverband LSVD würde den Abriss der Stelen nicht einfach so hinnehmen, heißt es. Die Stelen erinnern an die erste homosexuelle Emanzipationsbewegung, die mit dem Namen des Sexualwissenschaftlers verbunden ist.

Die Stelen sind nicht das einzige Denkmal, das von der neuen Praxis betroffen wäre. Auch die „Memoria Urbana“ soll nach Ansicht des Bezirksamts verschwinden. Dabei handelt es sich um eine Rekonstruktion aus Stahl und Licht der im 18. Jahrhundert erbauten und 1963 durch die DDR abgerissenen Kirche der böhmischen Glaubensflüchtlinge am Betlehemkirchplatz.

„Die Bezirke sollen nach einer dauerhaften Lösung suchen“

Melanie Kühnemann-Grunow, SPD

Der Bezirk Mitte fordert von der kirchennahen privaten Stiftung den Abriss der Rekonstruktion, weil in Mitte privat initiierte Kunstwerke nur temporär im öffentlichen Raum stehen dürfen – es sei denn, sie sind Ergebnis eines künstlerischen Wettbewerbs.

Die Entscheidung über die Kircheninstallation liegt derzeit beim Berliner Verwaltungsgericht. Bis das entschieden hat, darf sie stehenbleiben.

Manuela Schmidt, die kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion, bedauert, dass „so wichtige Initiativen aus formalen Gründen einfach gecancelt werden“. Ihrer Meinung nach müsse Mitte ein Gremium aus Vertretern des Bezirkes und der Zivilgesellschaft einsetzen, das über die Zukunft von Denkmälern entscheide. Dies sei in anderen Bezirken bereits Praxis.

Immerhin: Anders als die Stelen ist das Blumendenkmal am Hirschfeld-Ufer angeblich nicht gefährdet Foto: Christian Ditsch

Auch Schmidts SPD-Kollegin Melanie Kühnemann-Grunow betont, dass ihre Partei den Ansatz der dezentralen Erinnerungskultur in den Bezirken wie auch bürgerschaftliches Engagement vor Ort schätze. „Die Bezirke sind angehalten, Denkmäler nicht einfach abzureißen, sondern jeden Einzelfall zu prüfen und nach einer dauerhaften Lösung zu suchen“, so Kühnemann-Grunow.

Beide Politikerinnen setzen sich auch für einen Verbleib der Trostfrauenstatue ein, die die Auseinandersetzung in Mitte ausgelöst hatte und an die Zwangsprostitution asiatischer Frauen im Zweiten Weltkrieg erinnert. Manuela Schmidt sagt: „Der Korea-Verband hat den Finger in die Wunde gelegt, indem er das Thema sexualisierte Gewalt in kriegerischen Auseinandersetzungen öffentlich thematisierte. Das ist ein schöner Erfolg.“

Unterdessen hat der Landesbeirat für Partizipation in einem Antrag an die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gefordert, das Trostfrauendenkmal sowie das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma unter Denkmalschutz zu stellen. Letzteres ist wegen des Baus der neuen S-Bahnstrecke zum Hauptbahnhof an seinem jetzigen Standort nahe des Brandenburger Tors gefährdet.

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