: Storch soll Abflug machen
Vor jeder Wahl müssen sich Schulen überlegen: Laden wir die AfD zu einer Podiumsdiskussion ein? An einem Gymnasium in Berlin-Lichtenberg gibt es wegen des Auftritts von Beatrix von Storch Protest, doch die Meinungen gehen auseinander
![](https://taz.de/private/picture/6065193/516/1372492.jpg)
Aus Berlin Ralf Pauli und Marco Fründt
Auf dem kleinen Schulhof des Hans-und-Hilde-Coppi-Gymnasiums in Berlin ist was los an diesem Dienstagmittag: Die Schule hat die Berliner AfD-Politikerin Beatrix von Storch wie andere Direktkandidat:innen für eine Podiumsdiskussion eingeladen. Etwa 300 Menschen sind gekommen, um dagegen zu protestieren. Auch die Polizei fährt groß auf: insgesamt zwölf Mannschaftswagen sind um das Schulgelände in Position. Neben den Schüler:innen sind auch Eltern, Großeltern und Freund:innen gekommen, um gegen die Normalisierung der AfD zu protestieren – vor allem an einer Schule, deren Namensgeber:innen von den Nazis ermordet wurden. „Deshalb müssen wir gegen den Auftritt von von Storch protestieren“, ruft die Elftklässlerin Leni in die Menge.
Mit jeder Wahl stellt sich für Schulen aufs Neue die Frage: Wie umgehen mit der AfD? Die Ministerien machen hierzu keine Vorgaben. Sie begründen das mit dem in den Schulgesetzen festgeschriebenen Gleichheitsgebot. Solange die AfD nicht vom Bundesverfassungsgericht verboten werde, könne die Partei nicht pauschal von Schulveranstaltungen ausgeschlossen werden, heißt es dazu beispielsweise aus Sachsen. So sieht es auch der Berliner Senat. Auf taz-Anfrage teilt ein Sprecher mit: „Schulen sind im Rahmen ihres demokratischen Bildungsauftrags verpflichtet, den Schülerinnen und Schülern ein breites Spektrum politischer Standpunkte zu vermitteln, ohne eine Partei zu bevorzugen oder zu benachteiligen.“
Sabine Achour von der Freien Universität Berlin sieht darin ein bildungspolitisches Versagen: „Viele Schulen wünschen sich klare Vorgaben, wann sie die AfD zu Veranstaltungen einladen und wann nicht“, sagt die Politikwissenschaftlerin der taz. Aber anstatt hier juristisch wasserfeste Guidelines zu erarbeiten, drückten sich die Ministerien vor einer klaren Positionierung. Achour gehört zu denjenigen, die die AfD nicht zu Podiumsdiskussion an Schulen einladen würden. „Stellen Sie sich vor, Schüler:innen begegnen Politiker:innen, die genau diese Jugendlichen ‚remigrieren’ möchten“. Für genau diese Schüler:innen hätten die Schulen eine Fürsorgepflicht.
Wie es gelingen kann, mit solchen Situationen umzugehen, weiß der Kölner Lehrer für Sozialwissenschaften Ingo Arntz. Vor Europa- und Bundestagswahlen wurden an seiner Schule in der Vergangenheit schon mehrfach AfD-Abgeordnete eingeladen. Es brauche dabei aber klar kommunizierte Grenzen: „Bei menschenfeindlichen oder rassistischen Äußerungen kann jede Schule das Hausrecht geltend machen und das sofortige Verlassen der Schule veranlassen“, so Arntz. Um seine Schüler:innen macht sich der Lehrer ohnehin nicht zu große Sorgen: Etwa die Hälfte habe Migrationshintergrund, viele Jugendliche an dem Gymnasium seien eher links eingestellt. „Da macht die AfD ohnehin keinen Stich“.
Arntz könne zwar sehr gut nachvollziehen, dass Schüler:innen und Lehrkräfte die AfD nicht an der Schule haben wollen. Trotzdem hält er unmittelbare Auseinandersetzung mit der AfD für wichtig – auch, damit sich die Partei nicht sofort in die Opferrolle begeben könne.
In diesem Jahr allerdings fällt die Podiumsdiskussion mit Parteienvertreter:innen aus – wie schon vor der Europawahl im vergangenen Jahr. Das liegt an einem De-facto-Verbot für Wahlveranstaltungen an Schulen, das in Nordrhein-Westfalen wie in anderen Bundesländern in den letzten sechs Wochen vor der jeweiligen Wahl gilt. Im Januar erinnerte das Schulministerium von Dorothee Feller (CDU) in einem Schreiben daran, dass die 6-Wochen-Frist auch trotz der Kurzfristigkeit der anstehenden Bundestagswahlen gelte.
Bei Lehrer Arntz stößt das auf Unverständnis. „In dieser Woche beispielsweise finden an unserer Schule U18-Wahlen statt, am Freitag zählen wir die Stimmen aus.“ Eine Podiumsdiskussion mit Direktkandidat:innen aus Köln wäre hier eine optimale Ergänzung gewesen. Er sehe „keinen rationalen Grund“ für die 6-Wochen-Frist. Eine Podiumsdiskussion zwei Monate vor der Wahl ergebe wenig Sinn: „Da gibt es in der Regel auch noch keine Wahlprogramme, mit denen sich die Schüler:innen vorbereiten können.“
Das Ministerium in Düsseldorf verweist auf die Grundsätze schulischer Neutralität und Unparteilichkeit, die es kurz vor Wahlen besonders einzuhalten gelte. Die oppositionelle FDP hingegen kritisiert, dass die politische Bildung so auf der Strecke bliebe – und politische Debatten noch stärker in die sozialen Medien verlagert würden. Mittlerweile hat das Ministerium offenbar seine Haltung überdacht. Auf taz-Anfrage betont ein Ministeriumssprecher, dass Schulen auch in den sechs Wochen vor der Wahl Podiumsdiskussionen veranstalten dürften, wenn sie dabei „besonders sensibel“ vorgehen und die „Chancengleichheit der Parteien“ wahrten.
Ingo Arntz, Kölner Lehrer
Die Politikwissenschaftlerin Achour sieht in dem Hin und Her eine „Kapitulation“. Aus ihrer Sicht haben die Ministerien das Kontroversitätsgebot des Beutelsbacher Konsenses als Neutralitätsgebot komplett missverstanden. Der Konsens definiert Grundregeln der politischen Bildung. „In der Zeit vor Wahlen finden noch die meisten Angebote für politische Bildung an Schulen statt – da gehört die Konfrontation mit den Parteien und ihren Wahlversprechen doch unbedingt dazu“, sagt Achour. Zudem wünschten sich viele Schüler:innen solche Podiumsdiskussionen und übernähmen auch gerne die Organisation und Vorbereitung. Wenn dieses Interesse so von oben ausgebremst werde, sei das auch „eine Entmündigung“ der Jugendlichen. Achour appelliert seit Jahren an die Politik, die junge Generation ernster zu nehmen – und Schulen zu Orten gelebter Demokratie zu machen.
Wie wenig das auch an dem Berliner Coppi-Gymnasium der Fall war, berichten Schüler:innen der taz: So habe es zwar eine Abstimmung darüber gegeben, ob von Storch zur Podiumsdiskussion erscheinen solle, erzählt der Elftklässler Kilian. Das Ergebnis hätten die Schüler:innen jedoch nicht erfahren. „Die Abstimmung war dann wohl egal“, vermutet er.
Ihr Ziel, dass die Schulleitung von Storch auslädt, haben die Protestierenden zwar nicht erreicht. Die Anwesenden zollen den Schüler:innen für ihren Protest aber dennoch Respekt. Als die Schüler:innen für die Podiumsdiskussion ins Gebäude verschwinden, erhalten sie donnernden Applaus.
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