Dresden 1945: Besser gar nicht als falsch gedenken
Der Bombenangriff auf Dresden im Februar 1945 wird gerne als Opfermythos erzählt. Ein Bündnis plädiert für einen Verzicht auf das Gedenken.
Im Vergleich der Opferzahlen traf es Städte wie Hamburg oder Pforzheim im Zweiten Weltkrieg härter als Dresden. Doch die „starke propagandistische symbolische Aufladung“ und die politische Vereinnahmung der Zerstörung vom 13. und 14. Februar 1945 bleiben eine Besonderheit der Elbmetropole, stellte der Historiker und Friedensaktivist Matthias Neutzner schon vor 20 Jahren fest.
Auch heute schwelt der Streit um Deutungshoheit und angemessenes Gedenken an das Dresdner Inferno. Das Bündnis „WiEdersetzen“ hält die öffentlichen Erinnerungsrituale für verlogen und fordert ihre Abschaffung. Bereits vor einem Jahr organisierte das überparteiliche Bündnis Großdemonstrationen nach den „Correctiv“-Enthüllungen über eine rechte „Remigrationskonferenz“ sowie Proteste für Demokratie vor der Landtagswahl im Sommer.
Neu ist die Forderung nicht. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um den rechten Missbrauch des Gedenkens – etwa bei den bis 2011 größten Naziaufmärschen Europas – skandierte die Antifa „No tears for Krauts“. Doch „WiEdersetzen“ untermauert seine Ablehnung angesichts des Rechtsrucks in der Gesellschaft nun mit Argumenten. „Braucht es eine bombardierte deutsche Gauhauptstadt, um zu zeigen, wohin Krieg und Faschismus führen?“, sagt Sprecherin Anne Herpertz der taz.
Das Bündnis vermisst klare Hinweise auf die Verbindung zwischen dem besonders in Dresden florierenden Faschismus und seinen brutalen Folgen – nicht nur für die Stadt selbst. „Man muss immer sagen: Dort kommt es her und das ist im Ergebnis dessen passiert“, sagt Co-Sprecherin Rita Kunert.
Heute machen die Rechten sogar bei Menschenketten mit
In Dresden brannten schon fünf Wochen nach der Machtergreifung die ersten Bücher. 1933 folgte die erste Ausstellung „Entartete Kunst“. Reichspropagandaminister Goebbels lobte 1934 bei den ersten Reichstheatertagen die besondere Führertreue der Dresdner. Gauleiter Martin Mutschmann hatte bereits den Grundstein für ein riesiges Gauforum gelegt. In Dresden produzierten Zwangsarbeiter Rüstungsgüter, und der Rangierbahnhof Friedrichstadt diente als Verkehrsknoten für Kriegslogistik und Deportationen. Dennoch hält sich der Mythos von der unschuldigen Stadt.
„Das städtische Gedenken wird nicht von den Rechtsextremen missbraucht, sondern das offizielle Gedenken ist per se anschlussfähig. Es baut auf den gleichen Opfererzählungen auf“, begründet Sprecherin Herpertz die Ablehnung. Längst mischen sich AfD und andere Rechtsextreme unter die Teilnehmer der jährlichen Menschenkette am 13. Februar. Auf einem Foto ist Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) gewiss unbeabsichtigt neben einem bekannten Mitglied der „Freien Sachsen“ zu sehen.
„WiEdersetzen“ folgt sinngemäß dem Postulat von Christian Lindner nach den gescheiterten Bildung einer Jamaika-Koalition 2017: Besser gar nicht gedenken, als falsch zu gedenken! „Um das Übel bei den Wurzeln zu packen, müssen wir an die Gedenkkultur und Erinnerungspolitik heran“, rief Anne Herpertz, die auch für die Piraten im Stadtrat sitzt, bei einer Aktion am 3. Februar. Auf einem 21 Meter langen Banner rief das Bündnis dabei zum Widerstand gegen geplante Naziaufmärsche am 13. und 15. Februar auf. Dabei soll ein 39-jähriger Dresdner eine Frau geschlagen haben, die sich schützend vor die Rednerin stellte. Laut Herpertz reichte ein Polizist dem Angreifer anschließend sogar die Hand.
Hinter den Versöhnungsrufen mit der Vergangenheit vermutet „WiEdersetzen“ die Sehnsucht der Dresdner – und der Deutschen generell – nach einem Schlussstrich. Beispielhaft sei dafür das Jahr 2008 genannt, als das Staatsschauspiel Dresden mit der Inszenierung „Die Wunde Dresden“ einen Bogen von 1934 bis zur Weihe der wiederaufgebauten Frauenkirche 2005 schlug. „Sie bedeutet im kollektiven Bewusstsein: Die Nachkriegszeit ist zu Ende, die DDR eine Episode der Geschichte, Deutschland ist wieder eins, die Schuld ist bezahlt und die Wunde Dresden geschlossen“, erinnert sich der damalige Chefdramaturg Stefan Schnabel an die Intentionen.
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