: Viertletzte wird Sechste
Emma Aicher geht mit Lospech in die Abfahrt der Ski-WM. Doch das Talent fährt auf einen Platz weit vorn. Weltmeisterin wird Breezy Johnson aus den USA
Aus Saalbach-Hinterglemm Elisabeth Schlammerl
Manchmal ist es ganz gut, dass Emma Aicher ist, wie sie ist. Dass die Skirennläuferin nichts aus der Ruhe bringt, aber schon gar nichts. Und dass sie Dinge, die nicht gut laufen, schnell abhakt. Bei der Frauen-Abfahrt der Ski-WM am Samstag hätten sich vermutlich die meisten ihrer Konkurrentinnen wenigstens ein bisschen geärgert, sich vielleicht auch ziemlich aufgeregt über eine Auslosung, die nicht immer gerecht zu sein scheint. Aber Emma Aicher kommentierte dies mit einem Achselzucken. „Passt schon. Es ist mir wurscht, mit welcher Startnummer ich fahre.“
Vielleicht war es aber bei dieser Abfahrt nicht ganz wurscht. Emma Aicher hatte als 30. ins Rennen gehen müssen und damit als Viertletzte – da hatte die Piste am Zwölferkogel schon etwas gelitten. Hinter ihr kamen nur noch drei Athletinnen, die, nun ja, meilenweit von der Weltelite entfernt sind. Das Kuriose aber war, dass auch vor ihr ein paar Frauen gelost worden waren, die meilenweit von der Spitze entfernt sind. Emma Aicher hat bis Samstag in der Abfahrt auch nicht zu den Besten gehört, aber sie war doch viel, viel näher dran gewesen als die für Kenia startende Sabrina Simader oder Jordina Caminal Santure aus Andorra, die noch nie ein Weltcup-Rennen bestritten hatte.
Es ist müßig zu spekulieren, wo sie gelandet wäre, hätte sie mehr Losglück gehabt. „Wir werden es nie herausfinden“, sagte Aicher, die bei der Hälfte des Rennens noch auf Medaillenkurs lag, aber im unteren Teil in Rückstand geriet und wie zwei Tage zuvor beim Super-G auf dem sechsten Platz landete. Am Ende fehlten 27 Hundertstelsekunden auf Bronze und eine knappe halbe Sekunde auf Gold, das überraschend die mit Nummer eins gestartete Breezy Johnson aus den USA gewann – vor der Österreicherin Mirjam Puchner und Esther Ledecka aus Tschechien.
Emma Aicher
Emma Aicher hatte am Samstag im Ziel zwar nicht wie noch beim Super-G gejubelt, aber immerhin die Faust geballt. Schließlich schaffte sie bei der WM ihre besten Saisonergebnisse – und dass sie in der Abfahrt nach den drei überzeugenden Trainingsfahrten sogar zu den Medaillenkandidatinnen gezählt hatte, war für sie schon ein Erfolg. „Ich bin zufrieden, denn ich konnte machen, was ich mir vorgenommen hatte.“ Keine Spur von Ärger über das verpasste Edelmetall.
Dies als fehlenden Ehrgeiz auszulegen wäre ungerecht. Sie weiß ziemlich genau, was sie kann. Und was nicht. Manchmal ist sie in der Interpretation des eigenen Könnens sogar etwas besser als das Betreuerteam um sie herum. Wenn sie auf dem Weg zu einer guten Platzierung wieder einmal ausscheidet, dann, erzählte Frauen-Cheftrainer Andreas Puelacher einmal, beruhigt sie ihr Umfeld mit den Worten: „Macht euch keine Gedanken, das wird schon.“ Puelacher nennt diese Unaufgeregtheit der Tochter einer Schwedin und eines Deutschen „skandinavisches Naturell“.
Diese Resilienz ist keine schlechte Voraussetzung für ihre weitere Karriere. Mit 21 Jahren standen zwar andere Athletinnen schon auf dem Podest, aber Aicher hat einen Weg eingeschlagen, der ein wenig mehr Zeit bedarf. Als Vier-Disziplinen-Fahrerin ist das Training für jeden Wettbewerb eine zeitliche Herausforderung. Man müsse Geduld haben, sagt deshalb Puelacher, sie „Schritt für Schritt“ entwickeln, dann, ist er sicher, werde sie bald durchstarten: „Ich behaupte, sie wird eine Rakete.“
Im Slalom schien Aicher bis zu diesen Weltmeisterschaften den größten Sprung gemacht zu haben. Wenn sie ins Ziel kam, landete sie stets unter den besten zehn. In dieser Disziplin ist sie Puelacher bereits „eine Stockerlfahrerin“, eine potenzielle. In den schnellen Disziplinen fehlt ihr noch die Erfahrung. Das Timing stimme da noch nicht, sagt Puelacher. Bei Abfahrten mit engen Kurven jedenfalls. Die WM-Abfahrt war eine mit langen, flüssigen Kurven, „das passt ganz gut zu mir“, fand Aicher.
Besser als zur anderen deutschen Starterin, Kira Weidle-Winkelmann, die Zwölfte wurde und vor der WM als Partnerin der besten deutschen Slalomfahrerin, Lena Dürr, bei der erstmals ausgetragenen Teamkombination am Dienstag vorgesehen war. Nun hat Cheftrainer Puelacher aber umgeplant. Aicher wird nun zusammen mit Dürr starten. Das ist die nächste Medaillenchance für Aicher und den DSV.
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